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Die letzten Jahre des Dollars

18.06.2004  |  Dr. Bruno Bandulet
- Ein globales Spiel um Schulden, Geld und Macht -

Wenn man heute sieht, wie die USA Rußland und China einkreisen, wie sie den Ring ihrer Militärstützpunkte immer enger um die beiden Großmächte ziehen, wie sie die Nato zu einem Dienstleistungsbetrieb ihrer expansiven Außenpolitik umfunktionieren, wie sie Europa zu spalten versuchen, wie sie das legale Gewaltmonopol der UNO mißachten, wie in Washington Präventivkriege gerechtfertigt werden und selbst der Ersteinsatz von Nuklearwaffen nicht mehr ausgeschlossen wird - dann kann man nur noch von einer imperialen Politik sprechen, nicht mehr von einer Hegemonie.

Denn der Hegemon ist ja nur der Erste unter Gleichen. Er übt Macht aus, aber er wendet keine Gewalt an. Seine Stellung beruht auf Zustimmung und beiderseitigen Interessen.
Dazu ein Beispiel, das von den deutschen Medien, soviel ich weiß, übersehen wurde. Seit Februar sind Vorausteams der amerikanischen Streitkräfte in Polen, Bulgarien und Rumänien unterwegs, um neue Standorte für die in Europa stationierten US-Truppen auszusuchen. Inspiziert werden Häfen, Flugplätze und Manövergelände. Und diese Reise ist nur die erste von mehreren Erkundungsmissionen in den nächsten Monaten.


Supermacht und Schuldner

Das bedeutet doch nichts anderes als eine Mißachtung der Souveränität der EU und ihrer jetzigen und künftigen Mitglieder. Stellen Sie sich einmal vor, die EU würde Erkundungsteams quer durch die USA schicken, um dort nach Gutdünken geeignete Militärbasen auszusuchen. In Europa findet das, wenn es in umgekehrter Richtung geschieht, niemand bemerkenswert, und niemand fragt sich, wozu die Vereinigten Staaten eigentlich noch Stützpunkte in Deutschland und anderswo in Europa benötigen, wo doch der Kalte Krieg längst vorüber ist.

Kaum jemand nimmt auch wahr, in welchem Ausmaß das internationale Währungssystem auf die amerikanischen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Kaum jemand wundert sich darüber, daß die einzige Supermacht zugleich der größte Schuldner der Welt ist.

Als England, der Vorläufer der USA, die Welt beherrschte, war die Insel nicht nur die Fabrik der Welt, sondern auch ihr größter Gläubiger.


Nixon und das Papiergeld

Die jetzige Situation ist historisch einmalig. Sie ist paradox. Das Paradoxon besteht darin, daß die militärische Übermacht der USA stärker wurde, während die wirtschaftliche Hegemonie schwand, daß der Aufwand des Imperiums von denen mitfinanziert wird, die von ihm kontrolliert werden oder sogar - wie China - als seine künftigen geopolitischen Gegenspieler gelten müssen.

Im folgenden werde ich das Weltwährungssystem mit seinen Finanzströmen so beschreiben, wie es tatsächlich funktioniert, und anschließend untersuchen, ob es in dieser Form auf Dauer haltbar ist. Verständlich wird die Situation nur, wenn man sich über die Natur des Papiergeldes im klaren ist. Es waren schließlich die USA, die der Welt 1971 den totalen Papiergeldstandard oktroyiert haben, als Präsident Nixon damals im August das sogenannte Goldfenster schloß.

Bis dahin war eine abgespeckte Form des alten Goldstandards in Kraft – so, wie sie in Bretton Woods, einem kleinen Ort in Neuengland, 1944 beschlossen worden war. Zwar waren die Banknoten unter diesem System nicht mehr für jedermann einlösbar in Gold, aber der Dollar war fest an das Gold gebunden, der Unzenpreis war bei 35 Dollar fixiert, und jede am System beteiligte ausländische Notenbank konnte ihre Dollar-Schuldscheine in Washington präsentieren und dafür die Herausgabe von Gold verlangen. Die USA mußten bis 1971, das war ausschlaggebend, notfalls mit einem Geld zahlen, das in der Natur sehr selten vorkommt und zu hohen Kosten aus der Erde geholt werden muß - mit Gold nämlich.

Übrigens waren auch die europäischen Währungen nach dem Krieg fest an den Dollar und damit auch an das Gold gebunden. Z.B. wurde der Wechselkurs der D-Mark am 28. September 1949 auf 4,20 zum Dollar festgesetzt. Nebenbei bemerkt, war die damalige leichte Unterbewertung der Mark und war vor allem das System der festen Wechselkurse eine äußerst wichtige Voraussetzung für das deutsche Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre.


Wo das deutsche Gold liegt

Als sich die Vereinigten Staaten in den 60er Jahren immer tiefer in den Vietnamkrieg verstrickten, als die Regierung Kanonen und Butter gleichzeitig versprach und sich zu verschulden begann, stellte sich für die Europäer zum ersten Mal die Frage der transatlantischen Bündnistreue.

De Gaulle wagte es, von Washington die Herausgabe von Gold gegen Dollar zu verlangen, er schickte sogar seine Kriegsschiffe über den Teich, um das Metall abzutransportieren. Die Deutschen hatten keine derartige Handlungsfreiheit. Als auch die Bundesbank mit dem Gedanken spielte, Dollar in Gold einzutauschen, kam aus Washington der dezente Hinweis, daß doch Berlin auf den amerikanischen Schutz angewiesen sei.

Das deutsch-amerikanische quid pro quo bestand darin, daß die Bundesbank nicht nur kein amerikanisches Gold verlangte, sondern daß sie darüber hinaus durch den Ankauf von Treasury Bills die amerikanischen Ausgaben mitfinanzieren half. Immerhin weigerte sich die Bonner Regierung, deutsche Soldaten nach Vietnam zu schicken.
Zudem versprach der damalige Bundesbankpräsident Blessing in einem Brief den Amerikanern, die in New York liegenden deutschen Goldreserven nicht zurückzuholen, solange US-Truppen in Deutschland stationiert waren. Dabei ist es bis heute geblieben. Immer noch behalten die Amerikaner das unter dem Pflaster von Manhattan bei der Federal Reserve Bank of New York liegende deutsche Gold als eine Art Pfand, wie mir ein früheres Mitglied der Bundesregierung verriet.

Indem Nixon im August 1971 die vertragliche Goldeinlösungspflicht einseitig aufkündigte, stoppte er den Goldabfluß. Das war die unmittelbare Konsequenz. Darüber hinaus stellte er sicher, daß die USA fortan völlige Handlungsfreiheit besaßen, Geld zu drucken und fast beliebig große innere und äußere Defizite zu fahren, um Kriege zu führen, Rezessionen zu bekämpfen, die Ölrechnungen zu bezahlen und den Lebensstandard der Amerikaner aufrecht zu erhalten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.


Das amerikanische Zwillingsdefizit

Seit den achtziger Jahren sind die enormen amerikanischen Leistungsbilanzdefizite, also ein negativer Saldo beim Handel und bei den Dienstleistungen, der Normalzustand. Zuletzt war die Leistungsbilanz 1991 vorübergehend im Plus. Derzeit liegt das jährliche Außendefizit der USA bei etwa 550 Milliarden Dollar. Das sind rund 5% des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Zusammen mit dem Haushaltsdefizit, das seit dem 11. September und der Invasion des Irak geradezu explodiert ist, ergibt sich ein Zwillingsdefizit in einer Größenordnung von mindestens 10% der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA, also des BIP. Ein Vergleich: Als sich Nixon gezwungen sah, das Goldfenster zu schließen, steuerte das amerikanische Außendefizit gerade einmal auf 0,5% des BIP zu. Das galt damals als gefährliche Finanzkrise!

Logischerweise hat sich durch die ständigen Außendefizite der internationale Vermögensstatus der USA drastisch verschlechtert. Das Land verschuldet sich in einem atemberaubenden Tempo beim Rest der Welt. Noch im Jahr 2000 lagen die Netto-Schulden bei 2.187 Milliarden Dollar, 2003 wurden schätzungsweise 3.700 Milliarden erreicht. Dies unter dem Vorbehalt, daß derartige Statistiken - das gilt auch für die Zahlungsbilanz - nie wirklich genau sein können. Beim amerikanischen Vermögensstatus machen übrigens die Direktinvestitionen, bei denen es sich ja nicht um konventionelle Schulden handelt, etwa 10% aus.


Das Ausland finanziert 40%

Nach Angaben des US-Schatzamtes wurden im Dezember 2003 amerikanische Staatsschulden in Höhe von 1.531 Milliarden Dollar von ausländischen Notenbanken gehalten. Das war ein Anstieg um 50% innerhalb von drei Jahren! Ein ähnlich großer Anteil entfällt auf ausländische Privatinvestoren, so daß die amerikanische Staatsschuld derzeit zu fast 40% vom Ausland getragen wird. Nach einer Berechnung von BNP Paribas absorbieren die USA drei Viertel der Nettoersparnisse der gesamten Welt.

Klar ist, daß dieses System nur im Rahmen der amerikanischen Finanzhegemonie existieren kann. Washington beherrscht die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) und diese wiederum diktieren die Wirtschaftspolitik der auf Hilfe angewiesenen Länder der Dritten Welt. Daß der IWF immer wieder die Türkei so großzügig mit frischem Geld versorgt und damit vor dem Konkurs bewahrt, ist natürlich kein Zufall. Denn die Türkei ist ein unverzichtbarer strategischer Partner der USA.

Hinzu kommt, daß fast alle wichtigen Rating-Agenturen amerikanisch sind. Sie benoten die Kreditwürdigkeit der Länder und entscheiden damit über die Höhe der Zinsen, die diese zahlen müssen. Als die Türkei den amerikanischen Truppen den Durchmarsch in den Irak verweigerte, wurde in Washington laut darüber nachgedacht, die Bonität, also die Kreditwürdigkeit Ankaras herabzustufen. Ein Zufall kann das nicht gewesen sein. Bestandteil dieser Finanzhegemonie ist sicherlich auch die Leitbörse Wall Street, an der sich Europa immer noch orientiert - obwohl es dafür keinen triftigen Grund mehr gibt.


Der Dollar als Leitwährung

Entscheidend freilich ist die Rolle des Dollars als internationale Leit- und Reservewährung, auch als Öl-Währung. Nur so ist garantiert, daß die USA den Vorzug genießen, sich in der eigenen Währung verschulden zu können - einer Währung also, die sie selbst jederzeit in der benötigten Menge produzieren können. Das Verhängnis Argentiniens war es ja gerade, daß sich das Land nicht in Peso verschulden konnte, sondern dies in Dollar tun mußte. Würden die amerikanischen Schulden auf Euro oder auf Gold oder auf Yen lauten, dann hätte die Großmacht schon bald ein argentinisches Problem.

Andere Überlegung: Würden die Araber (was Saddam Hussein tatsächlich gewagt hat und womit er den Zorn Washingtons auf sich herabrief) ihre Ölrechnungen in Euro und nicht mehr in Dollar ausstellen, dann würde erstens eine ständige, zuverlässig garantierte Dollarnachfrage versiegen - und zweitens müßten sich die Amerikaner erst einmal Euro besorgen, um ihre Ölrechnungen bezahlen zu können.

Auf das quid pro quo zwischen Deutschland und den USA aus den Zeiten des Kalten Krieges habe ich bereits hingewiesen. Ein vergleichbares Arrangement, nur in einer ganz anderen Größenordnung, besteht heute mit China und Japan. Den Asiaten wird erlaubt, Amerika mit billigen und oft auch hochwertigen Produkten zu überschwemmen, die Amerikaner geben dafür Dollars, und diese wiederum werden postwendend in Treasury Bills und Treasury Bonds investiert. Wie Sie sehen, ist Globalisierung kein Zufall und kein Schicksal, sondern gewollte Politik.

Auf den ersten Blick profitieren beide Seiten davon. Japan sichert seine Arbeitsplätze, und China könnte ohne den freien Handel sein langfristiges Ziel nicht so schnell erreichen, zur wirtschaftlichen, politischen und militärischen Großmacht aufzusteigen. Auf den zweiten Blick vollzieht sich hinter dem Geldschleier ein realer Gütertransfer in die USA, für den mit nichts als Papier gezahlt wird - mit einem Papier, das die Amerikaner wie schon in der Vergangenheit nach Belieben entwerten können. Vergessen Sie nicht, daß der Dollar einmal 4,20 Mark kostete und bis 1995 auf 1,37 absackte - ein Tiefstand, der im Verlaufe dieses Jahrzehnts wieder erreicht, wahrscheinlich sogar unter-schritten werden wird.


Asien hat zu viele Dollars

Selbstverständlich wird das erwähnte Arrangement nicht von Dauer sein. Asien wird einen eigenen großen Kapitalmarkt entwickeln und einen asiatischen Währungsfonds einrichten (was Japan bereits in der Asien-krise 1997/98 zur Irritation Washingtons vorgeschlagen hatte). Asien wird die Vorteile seines riesigen Binnenmarktes voll ausspielen und auf die Idee kommen, die eigenen Ersparnisse bevorzugt zu Hause zu investieren.

Asien wird außerdem seine Währungsreserven neu ordnen wollen. Sie sind heute extrem dollarlastig und damit risikobehaftet. Außerdem ist der Goldanteil verschwindend gering. Nach den offiziellen Zahlen von Ende 2003 betrug der Anteil des Goldes an den japanischen Devisenreserven nur 1,5% und im Falle Chinas nur 1,9% (die tatsächlichen Goldreserven Chinas dürften allerdings höher liegen, vielleicht doppelt so hoch). Demgegenüber halten die USA 58,2%, Frankreich 55,2% und Deutschland 45,3% ihrer Devisenreserven in Gold.

Voraussehbar sind auch Umschichtungen von Dollar in Euro - auch dies, um das mit dem Dollar verbundene Bonitätsrisiko auszugleichen. Aber auch deswegen, weil die heutige Zusammensetzung der Währungsreserven nicht mehr im geringsten den wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen und den Handelsströmen entspricht. Das Dollarsystem steuert nicht nur deswegen in eine Krise, weil Leistungsbilanzdefizit und Verschuldung nicht beliebig ausgeweitet werden können, sondern auch, weil die Tage des Dollars als mit Abstand führende Weltreservewährung gezählt sind.

Nach Auffassung der Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als Bank der Zentralbanken fungiert, ist normalerweise die Schmerzgrenze bei einem Außendefizit von 5% des BIP und bei einer Nettoverschuldung von etwa 20% des BIP erreicht. (Siehe dazu den Jahresbericht 2003 der BIZ.) Dann ist ein sogenannter Anpassungsprozeß fällig, der entweder eine drastische Abwertung des Dollars oder eine Rezession in den USA oder beides erfordert. (Die Abwertung hilft dem Export, die Rezession verringert die Importe.)


Die kommende Finanzkrise

Wenn im Zuge dieses Anpassungsprozesses die Abwertung in eine Panik ausartet und das Ausland seine Dollarbonds auf den Markt wirft, explodieren die langfristigen Zinsen in den USA, und die Rezession kann sich zu einer Depression ausweiten. Durchaus vorstellbar ist, daß die nächste große Finanzkrise nicht (wie in den neunziger Jahren in Rußland und Asien) an der Peripherie ausbricht, sondern im Zentrum des Systems, nämlich in New York. Aber selbst unabhängig von einem solchen Katastrophenszenario stehen die Aussichten für den Dollar schlecht, weil seine Rolle als Leitwährung nicht mehr den globalen Realitäten entspricht. Dazu folgende Zahlen:

(1) Laut BIZ bestanden die offiziellen Weltwährungsreserven (und zwar ohne den Goldanteil) Ende 2002 zu 73% aus Dollars. Der Rest entfiel zum größeren Teil auf den Euro, aber auch auf Yen und Pfund. Der Euro-Anteil war vier Jahre nach Einführung der Einheitswährung nur unwesentlich höher als vor 1999 der Anteil der einzelnen europäischen Währungen zusammengenommen.

(2) Im krassen Gegensatz dazu erreichte die Wirtschaftsleistung Europas einschließlich Rußlands im vergangenen Jahr 16.200 Milliarden Dollar, während die des nordamerikanischen Wirtschaftsraumes (USA, Kanada, Mexiko) bei 12.100 Milliarden lag. Selbst im Pro-Kopf-Einkommen haben die Europäer die Nordamerikaner inzwischen leicht überholt. Sicherlich ist die jüngste Verbesserung wechselkursbedingt. Aber der Euro war auch 2003 noch nicht überbewertet.

(3) Im Welthandel liegt Europa weit vor den USA und auch deutlich vor Asien. Allein Deutschland exportiert ungefähr soviel wie die Vereinigten Staaten.

(4) Dazu kommt der enorme Unterschied in der Vermögensposition. Zusammen mit Kanada und Mexiko hat Nordamerika Netto-Schulden von 4.250 Milliarden Dollar, während Europa mit 1.380 Milliarden im Plus ist und die Region Nordost-Pazifik mit 2.170 Milliarden.

Die Zahlen stammen aus einer neuen Studie des regierungsunabhängigen Pestel Instituts in Hannover, in der die drei ökonomischen Zentren der Welt miteinander verglichen werden: die nordamerikanische Freihandelszone, Europa einschließlich Rußland sowie die wirtschaftlich hochaktive Region im Nordosten des Pazifik, bestehend aus Japan, Korea und den chinesischen Küstenprovinzen. Die Bevölkerungszahl dieser drei Regionen: 429 Millionen Nordamerikaner, 555 Millionen Europäer und 600 Millionen Asiaten.


Das neue ökonomische Zentrum

Auf den Kern des langsamen ökonomischen Niedergangs der USA stößt man, wenn man sich den Stellenwert des produzierenden Gewerbes in den drei ge-nannten Regionen anschaut. In Nordost-Pazifik liegt die Produktion bei 38% des Regionalproduktes, in Europa bei 29% und in Nordamerika nur noch bei 23%. Seit 1950 ist der Anteil der amerikanischen Industrieproduktion an der Weltproduktion von 60 auf 25% zurückgegangen. 2003 waren nur noch 10,7% der amerikanischen Arbeitnehmer in der Produktion beschäftigt. Die nackte Wahrheit lautet, daß sich die USA selbst entindustrialisiert haben - und zwar auf ein derart tiefes Niveau, daß sie den Bedarf der eigenen Bevölkerung nicht mehr decken können.

Mit anderen Worten: Die militärische Supermacht, die jederzeit in der Lage ist, jeden Punkt der Erde zu bombardieren, steht auf schwachen ökonomischen Füßen. Und die Rolle des Dollars als Leitwährung, die zur Finanzierung des Supermachtstatus unentbehrlich ist, hat sich weit von den Realitäten des Welthandels und der Weltwirtschaft entfernt.
Vor diesem Hintergrund kommt das Pestel Institut zu dem Schluß, daß sich das ökonomische Zentrum der Welt verschoben hat - und zwar nach Europa, nicht etwa nach Asien. Vorerst jedenfalls. Das militärische Potential und der Umsatz an Finanztiteln (gemeint ist das Casino an der Wall Street) könnten, so das Institut, nicht mehr als Indikatoren für die Rolle als ökonomisches Weltzentrum herangezogen werden.

Gestützt wird die These auch durch die Beobachtung, daß die Preise für den wichtigsten monetären Rohstoff, nämlich Gold, und für den wichtigsten Energieträger, nämlich Öl, seit etwa 2001 in Euro gerechnet mehr oder weniger stabil sind. Seitdem "ruht der Euro in sich selbst", und der Dollar hat sich von der Rolle des "ruhenden Pols" verabschiedet.


Ein Nagel in der Wand

Sicher ist jedenfalls, daß sich die Welt beständig wandelt, daß Währungen kommen und gehen. Im 19. Jahrhundert konnte man überall in der Welt, in Zentralafrika ebenso wie in Peking, mit dem Pfund Sterling zahlen. 1960 wurden an den Devisenmärkten mehr Pfund und mehr Schweizer Franken gehandelt als D-Mark oder Yen. Auch der Dollar wird - nicht anders als zuvor das Pfund Sterling - seine Funktion als Leitwährung mit der Zeit abgeben. Und damit wird das amerikanische Imperium seine wohl wichtigste Stütze verlieren - auch wenn der Machtwille der US-Führung keinesfalls unterschätzt werden darf.

Selbstverständlich handelt es sich um einen langwierigen Prozeß. Aber man muß ihn als Anleger beizeiten erkennen und Dollaranlagen konsequent meiden. Denn wer gegen einen langfristigen Trend investiert, wird unweigerlich bestraft. Ob der Abschied vom Dollar eine rundweg gute Sache ist, das ist eine ganz andere Frage. Die Gefahr besteht, daß die USA wie in den siebziger Jahren Inflation exportieren und vor allem, daß sie die Welt in den Strudel einer großen Finanzkrise ziehen.

Schon deswegen wird auch der Euro an Kaufkraft verlieren, er kann sogar irgendwann in späterer Zukunft in einer Währungsreform untergehen. Alle ungedeckten Papierwährungen sind schlechtes Geld. Es wird durchaus Phasen geben, in denen der Euro auch einmal gegen den Dollar zurückfällt.

Übrigens halte ich es, zusammen mit dem Nobelpreisträger Robert Mundell, für durchaus möglich, daß am Ende das Vertrauen in die Währungen nur durch eine neuerliche Bindung an das Gold wiederhergestellt werden kann. Damit, wie der unvergessene Wirtschaftspublizist Wolfram Engels sagte, endlich wieder ein Nagel in die Wand des Weltwährungssystems eingeschlagen wird.


© Dr. Bruno Bandulet
Quelle: aus "DeutschandBrief", Ausgabe April 2004


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