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Das Delirium der Euro-Billionen

28.11.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Anleihekäufe der EZB werden vermutlich noch schwindelerregende Dimensionen annehmen - mit weitreichenden Folgen.

Viel hilft viel. Nach diesem Motto handelt die US-Zentralbank (Fed). Im Zuge ihrer Anleihekäufe (“QE”) hat sie die US-Banken mit neuem Geld in Höhe von 2.600 Mrd. US-Dollar versorgt. Die Geldhäuser haben dadurch jetzt mehr in der Kasse als ihre täglich fälligen Zahlungsverbindlichkeiten in Höhe von 1.700 Mrd. US-Dollar. Damit sind sie jederzeit zahlungsfähig und gegen einen "Bank Run" immunisiert.

Die Europäische Zentralbank (EZB) eifert der Fed nach. Im Januar dieses Jahres hat sie angekündigt, in der Zeit von März 2015 bis Herbst 2016 Anleihen in Höhe von 1.140 Mrd. Euro aufzukaufen und dafür mit neu geschaffenen Euro zu bezahlen.

Das aber ist nur die Spitze des Eisberges. Denn die Euro-Banken haben täglich fällige Verbindlichkeiten in Höhe von sage und schreibe 5.400 Mrd. Euro - und liquide Mittel von nur 680 Mrd. Euro.

Der Euro-Bankenapparat ist latent insolvent: Im Fall der Fälle kann er die Bargeldauszahlungswünsche der Kunden nicht vollumfänglich erfüllen. Um Bankenpleiten auszuschließen, versucht die EZB, die "Liquiditätslücke" in Höhe von 4.720 Mrd. Euro zu schließen. Dazu muss sie Anleihen - vor allem Staatsanleihen - kaufen und mit neu geschaffenen Euro bezahlen. Vielen Regierungen im Euroraum kommt das sehr gelegen.

Denn auf diese Weise lassen sich die Euro-Staatsschulden in die Bilanz der EZB verschieben, um sie dann mit extrem niedrigen Zinsen zu refinanzieren oder gar ganz zu streichen. Geht die EZB so weit wie die Fed, wird sie auch Termin- und Spareinlagen mit neu geschaffenem Zentralbankgeld unterfüttern. Das liefe auf einen gesamten Anleihekaufbetrag von 8.100 Mrd. Euro hinaus. Ungefähr 86 Prozent der Euro-Staatsschulden würden dann monetisiert.

Derart gewaltige EZB-Anleihekäufe werden die Euro-Kapitalmarktzinsen absehbar weiter in Richtung der Nulllinie zerren. Begleitet von einem negativen Einlagezins, den die EZB den Banken auferlegt, ist sogar damit zu rechnen, dass die Renditen vieler Staatsschulden in den Negativbereich gezogen werden. Das dürfte eine Kapitalflucht aus dem Euro provozieren - und den Euro-Außenwert in die Tiefe reißen.

Künstlich herabgedrückte Zinsen verzerren zudem die Preise auf den Produkt- und Faktormärkten. Die Euro-Volkwirtschaften verlieren gewissermaßen ihren Kompass. Sparen, Konsumieren und Investieren werden zum Blindflug. Kon-sumenten und Unternehmer werden zu Fehlentscheidungen verleitet. Kapitalverzehr stellt sich ein: Man lebt von der Substanz, weil der gegenwärtige Wohlstand auf Kosten künftigen Wohlstandes erkauft wird.

Und nicht zuletzt sorgen die EZB-Anleihekäufe für ein - im internationalen Vergleich - gewaltiges Anschwellen der Euro-Geldmenge. Anders als man zunächst glauben möchte, lässt sich die Preiswirkung der Geldmengenvermehrung im Vorfeld nur schwer abschätzen. Sie hängt nämlich davon ab, wem die EZB die Schulden wann abkauft, und ob die EZB versuchen wird, die Geldmengenflut einzudämmen - beispielsweise dadurch, dass die Geldmenge "stillgelegt" wird.

Dass es letztlich doch zu steigenden Preisen kommen wird, liegt nahe. Denn eine "etwas höhere" Inflation ist nicht politisch gewünscht, sie ist auch unverzichtbar, wenn die Euro-Schuldenpyramide nicht in sich zusammenfallen soll. Und letztlich kann eine Zentralbank die Geldmenge jederzeit in jeder gewünschten Höhe ausweiten und auf diese Weise für Inflation sorgen.

Sparer und Investoren sollten sich die Wirkung einer Geldmengenausweitung wie die eines Wasserrohrbruchs im Haus vorstellen. Erst tröpfelt es in der einen Ecke, dann in der anderen, und nach und nach sind alle Wände und Decken durchnässt. Bei einer großangelegten Geldmengenausweitung steigen die Preise nach und nach, erst die einen, dann die anderen. Es kommt aber nicht nur zu einer Geldwertverschlechterung.

Es kommt auch zu einer weitreichenden, kaum übersehbaren Zwangsumverteilung von Einkommen und Vermögen. Einige Personen und Nationen werden auf Kosten anderer bessergestellt. Diejenigen, die das neu geschaffene Geld als erste bekommen, werden reicher. Sie können Güter zu noch unveränderten Preisen kaufen. Diejenigen, die das neue Geld erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten, oder die gar nichts davon abbekommen, werden ärmer: Sie können Güter nur noch zu bereits erhöhten Preisen kaufen.

Um den Euroraum vor dem Zusammenbruch zu bewahren, wird es jedoch nicht ausreichen, die Schulden der Überschuldeten auf die Schultern der bislang weniger Verschuldeten zu verlagern. Früher oder später wird auch das Entwerten des Geldes durch Inflation politisch akzeptabel, um sich der Schuldenlasten zu entledigen. Es ist ein Menetekel, dass die EZB die Volkswirtschaften im Euroraum bereits nach und nach, Schritt für Schritt in das Delirium der Euro-Billionen treibt.

Open in new window"Sie sitzen in ihren Büros und schauen auf die Papiere, die vor ihnen liegen, und auf diesen Papieren sind Zahlen geschrieben, die ebenfalls Papiere repräsentieren … Sie schreiben Nullen nieder, und neun Nullen bedeuten eine Milliarde. Eine Milliarde kommt ruhig und leicht von der Zunge, aber niemand kann sich eine Milliarde vorstellen.

Was ist eine Milliarde? Hat der Wald eine Milliarde Blätter? Sind da eine Milliarde Grashalme in einer Wiese? Wer weiß es? Wenn der Tiergarten abgeholzt würde, und Weizen würde auf seinem Grund gesät, wie viele Halme würden dann wachsen? Zwei Milliarden!"


Walther Rathenau, Berliner Tageblatt, 9. Februar 1921. Zitiert nach Adam Ferguson, When Money Dies (2010 [1975]), S. 39; eigene Übersetzung

Anhang: Zum besseren Verständnis für den Umfang mit vielen Nullen

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© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


Dieser Beitrag wurde am 20. November 2015 in der Wirtschaftswoche veröffentlicht.



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