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Normale Korrektur oder mehr?

14.06.2006  |  Klaus Singer
Inzwischen mehren sich die Stimmen, die bezweifeln, ob sich die Aktienmärkte noch in einer normalen Korrektur befinden. Immer weniger Beobachter halten daran fest und weisen darauf hin, dass in einzelnen großen Indizes die bis März 2003 zurück zu verfolgenden Aufwärtslinien noch nicht gebrochen sind (es werden immer weniger). Die einen Analysten feiern noch den Einbruch bei den Rohstoffen als weitere Kaufgelegenheit und schwören dem Bullenmarkt hier ewige Treue. Die anderen verweisen auf den Verlauf des CRB-Index, wo der Kurs nun mit seiner Aufwärtslinie in Kontakt kommt.

Viel der gegenwärtigen, scharfen Korrektur dürfte dem Umstand zuzuschreiben sein, dass die großen Zentralbanken in einer konzertierten Aktion Liquidität verknappen, die nach dem Platzen der Internet-Blase und den Ereignissen vom 11. Sep. 2001 in die Märkte gepumpt wurde. Hiervon besonders betroffen sind alle Investment-Modelle, die auf kreditbasierten Hebeleffekten beruhen. Zu nennen sind insbesondere Hedge-Fonds. Es dürfte sich insgesamt um ein weltweites Volumen von rund einer Trillion Dollar handeln (eine "1" mit 12 Nullen), das hier unterwegs ist.

Dieses Geld tummelte sich bislang vor allem in den Segmenten Gold, Energie, Rohstoffe und Währungen (Dollar). Und genau hier sehen wir besonders massive Korrekturen.

Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass US-Haushalte mit einem Einkommen von unter 50.000 Dollar ihre Konsumausgaben deutlich einschränken. Angesichts der hohen Energiepreise war das zu erwarten, aber er hat jetzt auch den Anschein, dass Haushalte mit einem Einkommen von bis zu 150.000 Dollar diesem Verhalten folgen. Damit macht sich aber das Wachstum des US-BIP auf den Weg zu Jahresraten unterhalb von 3 Prozent, wie es z.B. Bill Gross von Pimco schon seit längerem erwartet. Wenn auch noch die Haushalte mit einem Einkommen oberhalb von 150.000 Dollar ihren Konsum einzuschränken beginnen, dürfte es wirklich "haarig" werden für den Wachstumsausblick der amerikanischen Wirtschaft und mithin der Weltwirtschaft.

Der Goldpreis ist in den vergangenen Tagen förmlich kollabiert. Anlässe hierfür gab es genug, die Dynamik, mit der dies geschah, spricht dafür, dass es sich um eine hochspekulative Blase handelt. Bei gut 580 notiert aktuell die EMA200, ihr Bruch löste gestern weitere Verkaufsorders aus. Mit einem Unterschwinger von 10 bis 15 Prozent ist zu rechnen, was dann einen Zielkorridor von 500 bis 530 Dollar ergibt.

Trugen die Kursabschläge zu Beginn dieser Korrektur noch alle Züge von Gewinnmitnahmen, so scheinen die Kursstürze zuletzt eher auf Zwangsliquidierungen zurück zu gehen. Entweder wurden Positionen in Panik liquidiert oder Darlehensgeber haben ihre Kredite zurückgezogen, mit denen Positionen in den Finanzmärkten finanziert worden waren. Möglicherweise muss man nun mit Schieflagen einzelner Institutionen rechnen - Anklänge an den Zusammenbruch des LTCM-Fonds im Jahre 1998 werden wach.

Zahlreiche Beobachter verweisen in Zusammenhang mit der laufenden Korrektur auf die Inflationsgefahren. Fed-Chef Bernanke wurde zuletzt nicht müde, die Befürchtungen in dieser Richtung anzuheizen. Verwunderlich ist dann allerdings, warum sich der Goldpreis nicht besser hält, wo doch Gold angeblich der beste Inflationsschutz ist. Ebenfalls verwunderlich ist, dass zuletzt der Kurs des TBond-Future aus seinem seit Januar diesen Jahres bestehenden Abwärtstrend ausgetreten ist. Üblicherweise sind langlaufende Staatsanleihen eher im Verkaufs-Mode, so lange über steigende Inflation mit weiteren Zinserhöhungen zu rechnen ist. Außerdem sollten sich industrielle und agrarische Rohstoffe (auch in einer Korrektur im Bullenmarkt) besser halten, wenn das inflationäre Szenario stimmig ist.

Ich hatte zuletzt in meinem Artikel "Stagflation voraus?" überlegt, ob wir tatsächlich etwa auf eine Stagflation zusteuern wie Stephen Roach von Morgan Stanley meint. Meiner Meinung nach gibt es nach wie vor keine wirklich fundierten Anhaltspunkte dafür und das nicht nur, weil die Notenbanken daran arbeiten, die Liquidität zu verknappen. Die gesamte wirtschaftliche Perspektive spricht meiner Meinung nach eher nicht für Inflation, sondern für Deflation.

Der Fed scheint es zu gelingen, die spekulative Übertreibung aus den Rohstoffmärkten herauszunehmen. Dies zeigt sich auch am Rohölpreis, der trotz aller geopolitischen Bedenken zuletzt deutlich zurück gekommen ist. Mitte April notierte der Öl-Future (LC) noch bei über 75 Dollar, am 12. Mai waren es noch 71,75, aktuell sind um 68,50 Dollar zu bezahlen. Falls es tatsächlich dazukommt, dass die Wachstumsraten in den USA um bis zu 20 Prozent zurückgehen (von für das Gesamtjahr 2006 erwarteten rund 3,5 auf unter 3 Prozent), dann dürfte ein Ölpreis von 66,50 für das Barrel Oil Brent, wie er im August 2005 und im Januar 2006 gezahlt wurde, deutlich unterschritten wurden. Nimmt man wieder das Verhältnis zur EMA200 als grobe Richtschnur, wäre mit einem Niveau von 57 Dollar und darunter zu rechnen.

Sind die erwarteten Wachstumsraten der amerikanischen Wirtschaft in dem Umfang zu reduzieren wie dargestellt, müssen auch die Aktienkurse hierauf ausgerichtet werden. In der Perspektive kann dann durchaus mit einem analogen Rückgang gerechnet werden (mindestens). Die Hälfte dieses Weges hätten wir im Dow und im S&P500 zurückgelegt, im NDX deutlich mehr.

Der gestrige Tag zeigte erneut Rekordvolumen im Aktiengeschäft, VIX, PCR und TRIN bestätigten den Kursverfall ebenfalls. Der SPX notiert mittlerweile klar unter seiner EMA200 und unter seinem 62er Retracement des Bärenmarkt-Einbruchs bis Herbst 2002. Andererseits zeigten der NDX und die High-Beta-Indices BTK und SOXX gestern relative (!) Stärke. Der NDX steht an einem wichtigen Support (1520), er ist zwar angekratzt, aber noch nicht signifikant unterschritten.

Die Indices sind sämtlich stark überverkauft - eine technische Gegenreaktion liegt in der Luft. Aber das konnte man in den vergangenen Tagen an jedem einzelnen Tag sagen. Wie in der Zeit vorher so gilt auch weiterhin, dass keiner der betrachteten Indikatoren aktuell ein belastbares Wendezeichen von sich gibt.

Was wird kurzfristig geschehen? Zwei Fragen hinterher: Sind alle aktuell bedeutsamen Umstände auf dem aktuellen Niveau eingepreist? Und sind die Akteure willens und in der Lage, auf dem aktuellen Niveau erneut zuzugreifen?

Die erste Frage dürfte wohl schon heute Nachmittag beantwortet werden, wenn der amerikanische Verbraucherpreis-Index für Mai veröffentlicht wird. Die Erwartungen sind insbesondere bezogen auf das, was man zuletzt immer wieder von Bernanke hören musste, merkwürdig gemäßigt. Hier könnte eine negative Überraschung lauern, die zunächst eine weitere Verkaufswelle auslöst. Durchaus denkbar, dass die Akteure dann zu der Überzeugung kommen, dass nun alles Negative bekannt ist. Ein Reversal müsste den NDX auf jeden Fall wieder über das oben genannte Niveau tragen, zudem sollte er seine relative Stärke ausbauen.

Die Situation wird verzerrt und besonders schwer kalkulierbar durch die Tatsache, dass am Freitag dreifacher Hexensabbat ist. Üblicherweise gehen die Märkte mit eher abnehmenden Schwankungen in diesen Termin. Da die Zeiten vorher turbulent waren, ist die Gefahr groß, dass potente Akteure im Vorfeld schief liegen. Mithin tritt das, was wahrscheinlicher ist, aktuell wohl gerade nicht ein.

Aufwärtsreaktion heute oder erst in einigen Tagen: Ich denke, der Boden in den Aktienmärkten ist nicht mehr weit weg und eine Gegenreaktion sollte heftig ausfallen. Eine Hausse wie die seit Herbst 2002, bzw. März 2003 kippt normalerweise nicht so einfach weg.

Also: Vordergründiger Anlass für die scharfe Korrektur an den Märkten mag der Liquiditätsentzug sein, tatsächlich dürfte der Grund aber auf dem Zenith des aktuellen Konjunkturzyklus in der Reduktion der Wachstumserwartungen liegen. Insofern geht der Wortbestandteil "Stagnation" bei Roachs Stichwort "Stagflation" in die richtige Richtung (siehe mein Artikel vom 11. Juni).

Man kann spekulativ noch einen Schritt weitergehen: Die Fed nimmt jetzt Liquidität aus dem Markt, um zusätzlich Manövrierspielraum zu bekommen, sprich, um (im Falle einer schweren Krise) wieder Liquidität in den Markt pumpen zu können. Weiß man dort mehr? Oder handelt es sich nur um eine Überreaktion eines geldpolitischen Akademikers ohne Gefühl für die Befindlichkeit der Finanzmärkte? Ich tendiere zur ersten Alternative.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de







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