Warum ein sinkender Ölpreis die Kriegsgefahr erhöht
19.04.2016 | Ernst Wolff
Am Wochenende trafen sich in der katarischen Hauptstadt Doha die Vertreter von 18 Ölförderländern der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), um über eine Begrenzung der Fördermengen zu sprechen. Eine solche Begrenzung hätte einen Anstieg des Ölpreises bedeutet, der seit Mitte 2014 mehr als zwei Drittel seines Wertes verloren hat. Doch die Konferenz wurde ergebnislos vertagt, was den Ölpreis erneut unter Druck setzt.
Ölproduzenten kämpfen an zwei Fronten
Die Ölproduzenten haben derzeit mit zwei großen Problemen zu kämpfen. Auf der einen Seite dümpelt die Nachfrage wegen der weltweiten wirtschaftlichen Stagnation vor sich hin, so dass ein gewaltiges Überangebot entstanden ist. Die Öllager sind randvoll, vor vielen Häfen bilden sich immer längere Schlangen von Öltankern, die ihre Ladungen nicht löschen können.
Auf der anderen Seite werden derzeit weltweit Höchstmengen gefördert. In Iran, nach Saudi-Arabien der größte Ölförderer im Nahen Osten, läuft die Produktion nach der Aufhebung der Sanktionen heiß. Aber auch alle übrigen Länder fördern bis zum Anschlag, um ihren Anteil an dem heftig umkämpften Markt zu behaupten.
Der gegenwärtig niedrige Ölpreis von knapp unter 40 US-Dollar beschert vielen dabei enorme Verluste. Venezuela z.B. nahm 2013 noch 42 Mrd. US-Dollar für seine Ölexporte ein, 2015 nur noch 12 Mrd. US-Dollar. Nigeria, Angola und Aserbaidschan haben bereits angekündigt, dass sie in naher Zukunft auf Notfallkredite zurückgreifen müssen. Russland hat seinen Reservefonds wegen des niedrigen Ölpreises im Jahr 2015 halbiert und wird ihn bei bleibendem Preisniveau bis Ende 2016 aufgebraucht haben.
Das Auge des Sturms liegt in den USA
Das Auge des Sturms liegt allerdings weder in Afrika, noch in Asien, sondern in den USA. Dort haben sich seit der Jahrtausendwende mehrere hundert Firmen trotz aller bekannten Umweltprobleme der Erdölförderung mittels Fracking verschrieben. Die Finanzindustrie erkannte schnell gute Verdienstmöglichkeiten, da sich abzeichnete, dass die USA von Erdölimporten unabhängig und über das Fracking sogar zu einem der globalen Marktführer beim Erdöl werden könnten.
Es folgte eine Art neuer Goldrausch, während dem die Finanzindustrie bis Anfang 2015 mehr als 200 Mrd. US-Dollar an Krediten in den Fracking-Sektor pumpte.
Seit Mitte 2014 aber zeigt sich die entscheidende wirtschaftliche Schwachstelle des Fracking: Trotz aller Versuche, die Produktionskosten zu senken, wird es mit dem Rückgang des Ölpreises immer weniger profitabel. Da der Preisverfall seit mittlerweile mehr als eineinhalb Jahren anhält und keine grundlegende Umkehr in Sicht ist, scheuen viele Banken vor weiteren Krediten an die Fracking-Industrie zurück und verlangen die Rückzahlung alter Kredite.
Diese Entwicklung hat bereits 50 Unternehmen in den Bankrott getrieben. Weitere 150 Unternehmen sind entweder nicht in der Lage, laufende Kredite zu bedienen oder werden bei gleichbleibendem Ölpreis bis Ende 2016 in Konkurs gehen.
Das ist den Spekulanten am Markt nicht entgangen, und so tun viele das, was sie bereits ab 2006 in der Subprime-Hypothekenkrise getan haben: Sie spekulieren auf einen Absturz des Marktes und schließen Kreditausfallversicherungen auf diese Firmen und auf den Fracking-Markt als Ganzes ab.
Genau beziffern lässt sich das Volumen dieser Versicherungen nicht, da es sich großenteils um OTC (Over-the-counter) Geschäfte handelt, die in den Bilanzen der Finanzunternehmen nicht auftauchen. Man kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Betrag im einstelligen Billionenbereich liegt und damit im Ernstfall zu einer Gefahr für das globale Finanzsystem werden würde.
Nicht mit der Finanzwelt Vertraute mögen nun fragen, wieso Finanzinstitute solche Versicherungen angesichts des Beinahe-Crashs von 2008 überhaupt herausgeben. Die Antwort ist simpel: Die Entwicklung seit 2008 hat gezeigt, dass Politik und Zentralbanken restlos alles tun, um das System als Ganzes am Leben zu erhalten. Die Herausgeber von Kreditausfallversicherungen (die allesamt zu den größten Marktteilnehmern zählen) gehen also einfach davon aus, dass man auch sie im Notfall retten wird.
Der Ölpreis muss auf Biegen und Brechen in die Höhe getrieben werden
Dennoch steht die Finanzindustrie für den Fall, dass der Ölpreis nicht in absehbarer Zukunft wieder in die Höhe geht, in ihrer Gesamtheit vor einer ähnlichen Situation wie 2007 / 2008 - mit einem Unterschied: Gegen den Zusammenbruch des Häusermarktes in den USA gab es kein Mittel, gegen den weiteren Rückgang des Ölpreises schon.
Kaum war die Konferenz von Doha nämlich beendet, da wurde bekannt, dass internationale Söldner, ausländische Kämpfer und islamistische Terror-Milizen in Syrien in Kürze eine Großoffensive starten wollen. Die USA reagierten prompt und erklärten umgehend, den Milizen im Fall des Bruchs der Waffenruhe Waffen liefern zu wollen.
Es mag ein zufälliges Zusammentreffen der Ereignisse gewesen sein, deckt sich aber in auffälliger Weise mit der Interessenlage der US-Finanzindustrie: Eine Ausweitung des Syrienkonfliktes, die zu einem flächendeckenden Brand in der Region und zur Zerstörung von Ölquellen im Nahen Osten führen würde, wäre der perfekte Turbo für den Ölpreis und würde die Fracking-Industrie umgehend wieder konkurrenzfähig machen.
Da eine andere Ursache für einen erneuten und kräftigen Anstieg des Ölpreises nicht in Sicht ist, kann man derzeit mit Fug und Recht behaupten, dass die Kriegsgefahr, und zwar nicht nur die eines Krieges im Nahen Osten, sondern auch die eines sich daran entzündenden globalen Krieges, derzeit mit jedem Dollar, um den der Ölpreis sinkt, zunimmt.
Die Schuld daran teilen sich gewissenlose Spekulanten an den Finanzmärkten mit den all den Politikern, die seit 2008 nichts unternommen haben, um ein Treiben zu beenden, das trotz aller gegenteiligen Behauptungen von Jahr zu Jahr weiter ausufert und das im Falle eines durch den Ölpreis ausgelösten Krieges zu einer Gefahr für die Zukunft der gesamten Menschheit werden könnte.
© Ernst Wolff
Freier Journalist und Buchautor ("Weltmacht IWF")
Ölproduzenten kämpfen an zwei Fronten
Die Ölproduzenten haben derzeit mit zwei großen Problemen zu kämpfen. Auf der einen Seite dümpelt die Nachfrage wegen der weltweiten wirtschaftlichen Stagnation vor sich hin, so dass ein gewaltiges Überangebot entstanden ist. Die Öllager sind randvoll, vor vielen Häfen bilden sich immer längere Schlangen von Öltankern, die ihre Ladungen nicht löschen können.
Auf der anderen Seite werden derzeit weltweit Höchstmengen gefördert. In Iran, nach Saudi-Arabien der größte Ölförderer im Nahen Osten, läuft die Produktion nach der Aufhebung der Sanktionen heiß. Aber auch alle übrigen Länder fördern bis zum Anschlag, um ihren Anteil an dem heftig umkämpften Markt zu behaupten.
Der gegenwärtig niedrige Ölpreis von knapp unter 40 US-Dollar beschert vielen dabei enorme Verluste. Venezuela z.B. nahm 2013 noch 42 Mrd. US-Dollar für seine Ölexporte ein, 2015 nur noch 12 Mrd. US-Dollar. Nigeria, Angola und Aserbaidschan haben bereits angekündigt, dass sie in naher Zukunft auf Notfallkredite zurückgreifen müssen. Russland hat seinen Reservefonds wegen des niedrigen Ölpreises im Jahr 2015 halbiert und wird ihn bei bleibendem Preisniveau bis Ende 2016 aufgebraucht haben.
Das Auge des Sturms liegt in den USA
Das Auge des Sturms liegt allerdings weder in Afrika, noch in Asien, sondern in den USA. Dort haben sich seit der Jahrtausendwende mehrere hundert Firmen trotz aller bekannten Umweltprobleme der Erdölförderung mittels Fracking verschrieben. Die Finanzindustrie erkannte schnell gute Verdienstmöglichkeiten, da sich abzeichnete, dass die USA von Erdölimporten unabhängig und über das Fracking sogar zu einem der globalen Marktführer beim Erdöl werden könnten.
Es folgte eine Art neuer Goldrausch, während dem die Finanzindustrie bis Anfang 2015 mehr als 200 Mrd. US-Dollar an Krediten in den Fracking-Sektor pumpte.
Seit Mitte 2014 aber zeigt sich die entscheidende wirtschaftliche Schwachstelle des Fracking: Trotz aller Versuche, die Produktionskosten zu senken, wird es mit dem Rückgang des Ölpreises immer weniger profitabel. Da der Preisverfall seit mittlerweile mehr als eineinhalb Jahren anhält und keine grundlegende Umkehr in Sicht ist, scheuen viele Banken vor weiteren Krediten an die Fracking-Industrie zurück und verlangen die Rückzahlung alter Kredite.
Diese Entwicklung hat bereits 50 Unternehmen in den Bankrott getrieben. Weitere 150 Unternehmen sind entweder nicht in der Lage, laufende Kredite zu bedienen oder werden bei gleichbleibendem Ölpreis bis Ende 2016 in Konkurs gehen.
Das ist den Spekulanten am Markt nicht entgangen, und so tun viele das, was sie bereits ab 2006 in der Subprime-Hypothekenkrise getan haben: Sie spekulieren auf einen Absturz des Marktes und schließen Kreditausfallversicherungen auf diese Firmen und auf den Fracking-Markt als Ganzes ab.
Genau beziffern lässt sich das Volumen dieser Versicherungen nicht, da es sich großenteils um OTC (Over-the-counter) Geschäfte handelt, die in den Bilanzen der Finanzunternehmen nicht auftauchen. Man kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Betrag im einstelligen Billionenbereich liegt und damit im Ernstfall zu einer Gefahr für das globale Finanzsystem werden würde.
Nicht mit der Finanzwelt Vertraute mögen nun fragen, wieso Finanzinstitute solche Versicherungen angesichts des Beinahe-Crashs von 2008 überhaupt herausgeben. Die Antwort ist simpel: Die Entwicklung seit 2008 hat gezeigt, dass Politik und Zentralbanken restlos alles tun, um das System als Ganzes am Leben zu erhalten. Die Herausgeber von Kreditausfallversicherungen (die allesamt zu den größten Marktteilnehmern zählen) gehen also einfach davon aus, dass man auch sie im Notfall retten wird.
Der Ölpreis muss auf Biegen und Brechen in die Höhe getrieben werden
Dennoch steht die Finanzindustrie für den Fall, dass der Ölpreis nicht in absehbarer Zukunft wieder in die Höhe geht, in ihrer Gesamtheit vor einer ähnlichen Situation wie 2007 / 2008 - mit einem Unterschied: Gegen den Zusammenbruch des Häusermarktes in den USA gab es kein Mittel, gegen den weiteren Rückgang des Ölpreises schon.
Kaum war die Konferenz von Doha nämlich beendet, da wurde bekannt, dass internationale Söldner, ausländische Kämpfer und islamistische Terror-Milizen in Syrien in Kürze eine Großoffensive starten wollen. Die USA reagierten prompt und erklärten umgehend, den Milizen im Fall des Bruchs der Waffenruhe Waffen liefern zu wollen.
Es mag ein zufälliges Zusammentreffen der Ereignisse gewesen sein, deckt sich aber in auffälliger Weise mit der Interessenlage der US-Finanzindustrie: Eine Ausweitung des Syrienkonfliktes, die zu einem flächendeckenden Brand in der Region und zur Zerstörung von Ölquellen im Nahen Osten führen würde, wäre der perfekte Turbo für den Ölpreis und würde die Fracking-Industrie umgehend wieder konkurrenzfähig machen.
Da eine andere Ursache für einen erneuten und kräftigen Anstieg des Ölpreises nicht in Sicht ist, kann man derzeit mit Fug und Recht behaupten, dass die Kriegsgefahr, und zwar nicht nur die eines Krieges im Nahen Osten, sondern auch die eines sich daran entzündenden globalen Krieges, derzeit mit jedem Dollar, um den der Ölpreis sinkt, zunimmt.
Die Schuld daran teilen sich gewissenlose Spekulanten an den Finanzmärkten mit den all den Politikern, die seit 2008 nichts unternommen haben, um ein Treiben zu beenden, das trotz aller gegenteiligen Behauptungen von Jahr zu Jahr weiter ausufert und das im Falle eines durch den Ölpreis ausgelösten Krieges zu einer Gefahr für die Zukunft der gesamten Menschheit werden könnte.
© Ernst Wolff
Freier Journalist und Buchautor ("Weltmacht IWF")