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Die EZB hat es nicht eilig, ihren Kurs zu ändern

22.07.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Wenn die EZB die Schuldpapiere verkauft, wird dem Bankenapparat Liquidität in Form von Zentralbankgeld entzogen, und es wäre mit einer Aufwärtsbewegung der Wertpapierrenditen zu rechnen. Aber ganz entscheidend dabei ist, wer die Wertpapiere kauft. Recht problemlos wäre es, wenn die Banken die Käufer sind. Dann kommt es "lediglich" zu einem Aktivtausch in deren Bankbi-lanzen: Wertpapierbestände nehmen zu, Zentralbankgeldguthaben nehmen ab.

Wenn aber Nichtbanken aus dem In- und Ausland als Käufer auftreten, ändert sich das Bild. Erwerben beispielsweise Versicherungen, Investmentfonds und Privatinvestoren die Papiere, die die EZB verkauft, schrumpfen die umlaufenden Geldmengen: Die Käufer überweisen den Kaufpreis an die EZB. Dadurch sinkt nicht nur die Zentralbankgeldmenge im Banksektor, sondern auch die für die Nachfrage relevanten Geldmengen M1 beziehungsweise M3 schrumpfen.

Das hätte deflationäre Folgen. Die Marktakteure müssten, um an Geld zu kommen, verstärkt Güter anbieten. Das drückt die Preise. Und gehen die Preise zurück - beispielsweise für Grundstücke, Häuser und Aktien -, geraten Schuldner in Bedrängnis. Die Beleihungswerte für die Kredite verlieren an Wert. Banken fordern neue Sicherheiten, werden vorsichtiger bei der Kreditvergabe. Ein neuerlicher Abwärtszyklus kommt in Gang, die nächste Krise steht vor der Tür.

Zu (2): EZB bleibt auf gekauften Papieren sitzen

Das Gleiche passiert, wenn die Schuldner ihre Zins- und Tilgungszahlungen, die sie auf ihre Anleihen zu zahlen haben, an die EZB leisten. Die Überweisungen an die EZB vermindern die aus-stehenden Geldmengen und üben Abwärtsdruck auf die Preise aus. Wenn das nicht gewollt ist, muss die EZB die Papiere in ihrer Bilanz behalten und mit den zufließenden Zins- und Tilgungsbeträgen neue Anleihen kaufen. Die EZB wird so zum dauerhaften Kreditfinanzier der Staaten.

Zu (3) Abschreiben der Schulden

Die EZB könnte allerdings auch ein Schuldenmoratorium aussprechen und den Schuldnern Aufschub für ihre Zins- und Tilgungszahlungen gewähren. Oder sie könnte die Schuldenrückzahlung auch ganz erlassen. Die Verluste würden gegen das bilanzielle Eigenkapital der EZB abgeschrieben. Reicht das knappe Eigenkapital der Bank nicht aus - es beläuft sich einschließlich der Neubewertungsrücklagen auf etwa 474 Mrd. Euro -, wäre die EZB überschuldet und das Eigenkapital würde auf der Aktivseite der EZB-Bilanz ausgewiesen.

Für jeden ordentlichen Kaufmann ein Graus. Nicht so für die EZB. Sie wäre weiterhin in der Lage, uneingeschränkt alle ihre Zahlungen zu leisten. Denn schließlich ist sie der Monopolist der Euro-Geldproduktion. Sie kann im wahrsten Sinne des Wortes nicht Pleite gehen, egal ob mit oder ohne bilanzielles Eigenkapital. Ein sehr verlockendes Angebot für alle Staaten, die ihre Schulden loswerden wollen - in einer Zeit, in der geldpolitische Prinzipien und Regeln bedenkenlos geopfert werden, um über den drängenden Problemen der Gegenwart zu entkommen.

Das Ergebnis eines solchen Schuldenerlasses wäre eine in ihrem Ausmaß gewaltige Zwangsumverteilung von Einkommen und Vermögen, die sich nicht nur zwischen den Bürgern der einzelnen Teilnehmerstaaten, sondern auch zwischen den Bürgern aller Teilnehmerstaaten abspielt. Übrigens eine Zwangsumverteilung, für die es keine demokratische Legitimierung gibt, sondern die von einer supranationalen Institution, der EZB, die außer Reichweite der betroffenen Bürger und ihrer Volksvertreter liegt, entschieden und durchgeführt wird.


Nächste Ankaufswelle

Das Anleiheaufkaufprogramm der EZB, selbst wenn es vorübergehend eingeschränkt oder abgeschaltet werden sollte, wird noch gravierendere Folgen haben: In der nächsten Krise - und sie kommt ganz bestimmt - ist die nächste Ankaufswelle vorprogrammiert. Schon jetzt setzen die Finanzmärkte darauf, dass die EZB systemrelevante Staaten und Banken in jedem Falle zahlungsfähig halten wird, komme, was da wolle; dass also auf das Sicherungsnetz, dass die Zentralbank aufgespannt hat, auch künftig verlass sein wird.

Gäbe es nicht diese und weitere weitreichenden Eingriffe der EZB in das Kapitalmarktgeschehen, wäre die Euro-Schuldenpyramide vermutlich schon längst in sich zusammengefallen. Die Zinspolitik der EZB steht längst nicht mehr im Dienste der Konjunktur und niedriger Inflation, sondern sie soll das Einheitswährungsprojekt vor dem Auseinanderfallen bewahren. Der Anleger, der auf eine "Zinswende", auf eine Rückkehr zu "normalen Zinsen" hofft, wird daher vermutlich enttäuscht.

Selbst wenn die EZB die Zinsen auf ein leicht höheres Niveau heraufschleusen sollte, ist das noch kein Grund zum Aufatmen für Anleger. Die Aussicht auf eine Rückkehr zu positiven Realzinsen - die sich errechnen aus Nominalzinsen abzüglich der Inflation - ist gering. Und solange die Realzinsen im Negativbereich verharren, werden die Ersparnisse, die in Bankeinlagen und Schuldpapieren angelegt sind, entwertet.

Und das ist es, was viele Ökonomen, die die Regierungen beraten, vorschwebt, und was vielen Politikern vermutlich gefällt: "Maßvoll" negative Realzinsen, weil auf diesem Wege die Schuldenlasten ohne große politische Widerstände im Zeitablauf abgebaut werden können. Vor allem aber ist zu beachten, dass ein Rückfall in eine erneute Niedrig- beziehungsweise Negativzinspolitik kein unwahrscheinliches Szenario ist: Steigende Zinsen, auch wenn sie gering ausfallen, erhöhen nun einmal die Wahrscheinlichkeit eines Konjunktureinbruchs.



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