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Der Wärmetod des Wirtschaftsuniversums

08.11.2017  |  Dr. Keith Weiner
In der Physik ist man sich einig, dass sich das Universum ausdehnt. Es wird jedoch hitzig debattiert, ob die Ausdehnungsgeschwindigkeit hoch genug ist, um die Schwerkraft zu überwinden - d. h., ob sie die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Das scheint ein eher obskures Thema zu sein, aber die Folgen sind in jedem Fall fatal. Ist die Ausdehnungsgeschwindigkeit zu gering, verlangsamt sich die Expansion des Universums immer weiter, bis sie eines Tages ganz aufhört und sich umkehrt. Dann beginnt das gesamte All unter der Wirkung der eigenen Gravitationskraft in einem "Big Crunch" zu kollabieren.

Dieses Szenario ist schon schlimm genug. Das andere mögliche Schicksal des Universums ist jedoch noch unangenehmer. Wenn die Ausdehnungsgeschwindigkeit hoch genug ist, setzt sich die Expansion immer weiter fort und alle Materie wird kälter und kälter, bis schließlich ein Zustand erreicht ist, der als Wärmetod bezeichnet wird.

Wenn es auf den Feld der Ökonomie doch nur ähnlich eindrucksvolle Kontroversen gäbe. Immerhin steht auch die Wirtschaft vor existentiellen Problemen. Es gibt im Wirtschaftsuniversum sogar eine Analogie zum Wärmetod: Wird das Kreditvolumen ewig weiter wachsen, und mit ihm die Wirtschaft? Oder gibt es eine Kraft, ein ökonomisches Naturgesetz, welches das Wachstum bremsen und schließlich stoppen wird?

Eine solche Kraft gibt es tatsächlich, und es handelt sich dabei nicht um das moralisierende Argument, das den Menschen ihr Streben nach mehr materiellem Komfort zum Vorwurf macht und ihren Wunsch nach Wachstum als Anmaßung verurteilt. Jeder braucht Wachstum. Selbst Umweltschützer verkleiden ihre auf Wachstumsrücknahme ausgerichteten Ideen. Sie wollen, dass wir unseren Energieverbrauch drastisch senken, aber es ist schwierig, Energiearmut offen als Ideal zu bewerben. Folglich sprechen sie von Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit ist ein interessantes Konzept. Ein Prozess oder ein System ist erst dann wirklich nachhaltig, wenn nichts gegen seine ewige Fortsetzung spricht (zumindest bis sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufbläht und die Erde verschluckt, was womöglich gar nicht geschehen wird, weil sich die Milchstraße schon zuvor auf Kollisionskurs mit der Andromeda-Galaxie befindet...).

Sind unsere Wirtschaft und unser Währungssystem also nachhaltig? Wie kann man eine solche Frage überhaupt gründlich und exakt untersuchen?

Wir müssen dabei einen wichtigen Punkt berücksichtigen: Um Schulden bedienen zu können, muss ein Einkommen erzielt werden. Wenn es dem Schuldner nicht wenigstens gelingt, die Zinsen zu zahlen, bedeutet das für den Kreditgeber große Verluste. Zudem verringert sich dadurch seine Bereitschaft zur Vergabe weiterer Kredite. Das schadet wiederum den Unternehmen, die Kapital benötigen, um wachsen zu können. Es ist also von entscheidender Bedeutung, so viel Einkommen zu generieren, dass die fälligen Zinszahlungen beglichen werden können. Wir würden dem noch die Notwendigkeit hinzufügen, auch die Kreditsumme selbst zurückzuzahlen.

Die Analogie vom Wärmetod der Universums lässt sich recht gut auf die Wirtschaft übertragen. Die Physiker betrachten nicht nur eine einzelne Sonde, die sich von Sonnensystem entfernt und langsam auf den absoluten Nullpunkt abkühlt, wenn ihr Treibstoff verbraucht ist. Sie betrachten auch keine einzelnen Himmelskörper wie den Pluto, sondern das gesamte Universum, einschließlich aller Sterne und allen Lebens auf sämtlichen Planeten.

Gleichermaßen müssen wir als Ökonomen das Wirtschaftsuniversum in seiner Gesamtheit, mit allen Unternehmen und allen darin arbeitenden Menschen betrachten. Wenn ein Unternehmen z. B. ein veraltetes Produkt verkauft (beispielsweise ein Handy, mit dem man nur telefonieren kann), wird es scheitern und Insolvenz anmelden müssen. Daran kann kein Zweifel bestehen. Die Frage ist jedoch: Kann es auch der gesamten Wirtschaft so ergehen? Wenn ja, dann würde in diesem Fall das Währungssystem zusammenbrechen und alle Menschen würden ihre Ersparnisse verlieren.

Unter welchen Bedingungen könnte dieses Szenario eintreten?

Bisher haben wir festgestellt, dass das Einkommen (d. h. das Nettoeinkommen, nach Produktionskosten und anderen Aufwendungen) höher sein muss als die fälligen Zinszahlungen. Außerdem sollte man wahrscheinlich auch gewisse Raten zur Rückzahlung der Schulden selbst berücksichtigen. Diese beiden Größen in der Gesamtwirtschaft zu messen oder sogar für künftige Jahre und Jahrzehnte zu schätzen wäre eine enorme Herausforderung - so wie das Messen der Geschwindigkeiten und Entfernungen zwischen allen Objekten im Universum.

Glücklicherweise gibt es für uns eine einfachere Möglichkeit. Wir wissen, dass die Wirtschaft immer in Bewegung ist, daher müssen wir uns nur den derzeitigen Trend ansehen. Wenn das Einkommen mindestens genauso schnell steigt wie die Kosten des Schuldendienstes, können wir sagen, dass die Wirtschaft nachhaltig ist.

In unseren letzten Beträgen haben wir diesen Trend bereits behandelt, auch wenn wir ihn nicht in diesem Kontext beschrieben haben. Die Variable, die wir für unsere Analysen benötigen, ist nichts anderes als die Grenzproduktivität der Schulden. Diese misst, wie hoch das zusätzliche Bruttoinlandsprodukt ist, das sich mit einem neu geliehenen Dollar erzielen lässt. Die entsprechende Grafik, die Sie unten sehen, hatten wir bereits im Newsletter vom 15. Oktober veröffentlicht:

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Abgesehen von der vorübergehenden Anomalie, als die Grenzproduktivität der Schulden im Anschluss an die Finanzkrise steil anstieg, ist eindeutig ein Abwärtstrend zu erkennen. Nach 2010 setzte sich der Rückgang ausgehend von einem höheren Niveau fort. Der Trend umfasst mehrere Jahrzehnte, es handelt es sich also keineswegs nur um zufällige Schwankungen.

Sinkt die Grenzproduktivität der Schulden, generieren wir mit jedem geliehenen Dollar weniger Einkommen, d. h. weniger BIP. Anders ausgedrückt müssen wir mehr und mehr Dollars leihen, um einen Dollar BIP zu erzielen. Das ist wichtig, denn das Nettoeinkommen kann nicht schneller wachsen als das BIP (wahrscheinlich wächst es sogar viel langsamer, aber das ist ein ganz anderes Thema). Der Graph zeigt jedenfalls, dass das Verhältnis von Einkommen zu Schulden sinkt.


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