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Crash-Timing

27.10.2019  |  Manfred Gburek
Beim Sichten der interessantesten aktuellen Charts ist mir eines besonders aufgefallen: das vom frappierend ähnlichen Kursverlauf des Dow Jones in den Jahren 1972 und 2019, wiedergegeben auf der Internetseite von wellenreiter-invest.de. Der Clou: Kommt es auch aktuell zu einer entsprechenden Entwicklung, können Börsianer mit einem Anstieg der amerikanischen Aktienkurse bis zum nächsten Februar rechnen. Danach gäbe es demzufolge einen heftigen Kursrückgang.

Werden damit die vielen Crash-Propheten, die zuletzt wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, schon im Voraus bestätigt? Natürlich nicht, denn das Crash-Timing - darum geht es bei dem hier erwähnten Chart - ist etwas anderes als eine allgemeine Crash-Prognose ohne zeitlichen Bezug. Dieses Timing entspringt einem Gedankenspiel, abgeleitet von Erfahrungen aus der Vergangenheit mit all ihren Überraschungen statt aus volkswirtschaftlichen Daten der Gegenwart.

Kein Crash ist zeitlich vorhersehbar, weil an der Börse das menschliche Verhalten von Millionen Groß- und Kleinanlegern eine wichtigere Rolle spielt als das Addieren und Subtrahieren irgendwelcher volkswirtschaftlicher Daten. Menschliches Verhalten, das bedeutet: Gier, Angst, Eitelkeit, Manipulationen, Zwänge und Irrtümer. Insofern tun mir all die Fondsmanager leid, die im Rennen um die beste Performance gezwungen sind, neben fundamentalen Daten auch solche Verhaltensweisen zu berücksichtigen.

Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt? Für große Fondsgesellschaften, Vermögensverwalter und Family Offices auf jeden Fall, denn sie können ab einem bestimmten zu verwaltenden Volumen Geld verdienen, auch wenn es um die Performance ihrer Manager nicht zum Besten bestellt ist. Das liegt daran, dass Fonds in der Regel als Story verkauft werden, etwa wegen eines zu erwartenden Megatrends oder weil Sicherheit zur Priorität Nummer eins erklärt wird. Oder, indem zum Beispiel behauptet wird:

International anlegende Aktienfonds ließen Anleger am globalen Wirtschaftsaufschwung teilhaben, Geldmarktfonds taugten als Alternative zu den mit Strafzinsen behafteten Spar- und Festgeldkonten oder in Zukunft seien Fonds als chancenreich einzustufen, wenn sie sich bei ihren Anlageschwerpunkten dem Klimawandel widmen. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, der Vielfalt an Storys auch nicht.

Doch aufgepasst: Selbst wenn man Fonds üblicherweise einer Gruppe (peer group) zuordnet, handelt es sich fast immer um spezialisierte Unikate - sonst würde sich ja jegliches Performancerennen erübrigen. Dieses Merkmal bringt uns wieder zum Crash-Thema. Denn die Spezialisierung führt zu schwankenden Fondspreisen. Deren Auf und Ab birgt Chancen, aber eben auch Risiken. Wobei private Anleger Letztere mindern können, indem sie ihre Fondsanteile rechtzeitig verkaufen.

Spezialitätenfonds haben zuletzt kurz nach der Jahrtausendwende besonders tiefe Löcher in die Taschen der Anleger gerissen. Vorausgegangen war damals eine wilde Spekulation in vermeintlichen Technologieaktien, die sich bereits nach kurzer Zeit als großer Schwindel erwiesen. Dann dauerte es über zwei Jahre, bis an der Börse das Schlimmste ausgestanden war und die Anleger endlich wieder normale Zustände vorfanden. Danach kamen die Profis zum Zuge, bis 2008 ein globaler Kurssturz einsetzte. Die Zeit danach war - und ist weiterhin - von einer gigantischen Geldschwemme geprägt, die immer noch anhält.

Jeder Börsentrend hat seine Eigenheiten. Das sollten sich besonders solche Anleger einprägen, die meinen, der seit 2009 stattfindende, jeweils nur kurz unterbrochene Aufschwung der Aktienkurse ginge immer weiter. Ein Crash ist aus den genannten Gründen zwar nicht vorhersehbar, aber man beachte: Fonds haben über mehr als ein Jahrzehnt lang Geld eingesammelt und viele Anleger reich gemacht. Ein solches Szenario reizt zu Gewinnmitnahmen.

Was das Timing betrifft: Der eingangs erwähnte Vergleich mit dem Jahr 1972 ist frappierend. Angenommen, er wird in den kommenden Monaten bestätigt. Dann erscheint es sinnvoller, Aktien während dieser Zeit nach und nach zu verkaufen, als im Zuge einer kräftigen Abwärtsbewegung der Kurse von einem Crash überrascht zu werden.

Richtiges Timing ist ein ganz wesentlicher Teil des Anlageerfolgs. Dazu erweisen sich Charts oft als hilfreich. Nur sollte kein Anleger glauben, damit jedes Mal eine Punktlandung hinzubekommen. Deshalb empfiehlt sich grundsätzlich der sukzessive Aktienkauf (diese Phase liegt hinter uns) und der ebenfalls sukzessive Aktienverkauf (diese Phase kommt auf uns zu), das Ganze jeweils gestreckt über zwei bis drei Monate.

Die Verkaufsgelegenheit dürfte um die kommende Jahreswende herum günstig sein. Dann werden nämlich viele Fonds ihre Portfolios mittels window dressing aufhübschen, also bei niedriger Liquidität so hohe Aktienbestände wie möglich vorweisen - für private Anleger eine günstige Gelegenheit, um sich flexibel von einem großen Teil der Aktien zu trennen.

Eine Frage, die vor allem die Edelmetallfans interessiert: Ist das hier beschriebene Szenario positiv oder negativ für die Preise von Gold und Silber zu beurteilen? Börsianer stellen die Frage oft so: Gibt es eine negative Korrelation zwischen den Aktienkursen und den Preisen der beiden Edelmetalle? Antwort: überwiegend, aber nicht immer ja. Aus der aktuellen Entwicklung ergibt sich keine eindeutige Antwort. Immerhin haben die Edelmetallpreise seit Jahresbeginn ordentlich an relativer Stärke gewonnen. Und weil sie während der jüngsten Pause ihres Aufwärtstrends nicht eingeknickt sind, dürften sie erst mal unabhängig von den Aktienkursen ihren Preisanstieg fortsetzen, vorübergehende Rücksetzer inbegriffen.

In Sachen Timing lohnt nochmals ein Blick zurück in die 70er Jahre. Was die Aktien betrifft: Sie waren geprägt von Schaukelbörsen mit zwei markanten Kurseinbrüchen 1970 und 1974. Die Edelmetallpreise glänzten von 1970 bis 1974, brachen 1975 ein und schwangen sich danach bis Anfang 1980 in die Höhe - mit dem Faktor 24 in der Zeit von 1970 bis 1980. In derselben Zeit schafften die Aktienkurse, gemessen am Dow Jones, nicht viel mehr als den Gleichstand. "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich", behauptete einst der Schriftsteller und Tausendsassa Mark Twain. So ist es, gerade an der Börse.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

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