Spielgeld auf Rundreise
07.06.2020 | Manfred Gburek
Wie viel Konjunktur nehmen die Aktienkurse gerade vorweg, wie viel Spielgeld ist im Umlauf? Das sind zwei Fragen, auf die Groß- und Kleinanleger nach dem Stimulus durch Bundesregierung und EZB gerade Antworten zu finden versuchen. Die originellste Antwort war indes als Suggestivfrage in einer Überschrift der Neuen Zürcher Zeitung zu finden, und zwar unter Vorwegnahme der Milliarden-Entscheidungen aus Berlin und Frankfurt bereits eine Woche früher: "Wer hat noch nicht, wer will noch mehr?" Besser als so lässt sich die Stimmung unter Politikern, Zentralbankern und Börsianern kaum wiedergeben.
Und nun? Keine Frage, das Spielgeld dürfte bis auf Weiteres seine Runden drehen. Es wird mal Aktien, mal Edelmetalle, mal beide zusammen favorisieren. Zuletzt haben nicht nur Anleihen mit positiver AAA- bis A-Bewertung durch Ratingagenturen von der überbordenden Börsenstimmung profitiert, sondern sogar auch Junk Bonds, also Ramschanleihen. Das ganze Spiel erinnert fatal an ein anderes: Reise nach Jerusalem. Aber bitte keine Panik! Denn die Rundreise des Spielgelds wird sich mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen wohl noch eine ganze Weile hinziehen.
Wie lange? Bis das Spielgeld verbraucht ist, indem es realen Investitionen zugute kommt. Sagen wir, bis zum Herbst dieses Jahres. Der Rest ist Psychologie. Und falls die realen Investitionen ausbleiben? Dann werden wohl weitere Konjunktur- und Geldpakete geschnürt. Sie liegen schon auf Abruf bereit und lassen sich einerseits mit dem seit Jahrzehnten vielfach verwendeten englischen Begriff für Staatsschulden umreißen: deficit spending, hochtrabend Fiskalpolitik genannt. Wem das zu volkswirtschaftlich klingt, greift zu einem deutschen Begriff: Leben auf Pump. Oder, ausgesprochen vom derzeitigen deutschen Finanzminister Olaf Scholz, wahlweise "Bazooka" oder einfach nur "Wumms" genannt.
Kommen wir noch kurz zur 1,35 Milliarden Euro schweren Andererseits-Alternative: Geldpolitik. Auch für sie gibt manch spaßigen Begriff, zum Beispiel Koronabonds oder Helikoptergeld. In diesem Fall geht es aktuell darum, die - symbolisch formuliert - nimmermüde Gelddruckmaschine am Laufen zu halten und damit Bazooka-Wumms-Scholz nebst den Finanzministern anderer EU-Länder nach Kräften zu unterstützen. Das nennt man dann so: Auf dem Umweg über Anleihenkäufe durch die EZB verschmelzen Geld- und Fiskalpolitik miteinander.
Das deutsche Konjunkturpaket ist unter anderem verbraucherorieniert, wie etwa die Senkung eines Teils der Mehrwertsteuer oder die Prämie für den Kauf von Elektroautos und Plugin-Hybriden belegt. Ob daraus später mal nennenswerte Investitionen über die Brandenburger Tesla-Fabrik hinaus zustande kommen, ist aus aktueller Sicht noch nicht abschätzbar. Eines steht allerdings fest: Die fiskalische Förderung von Elektroautos und Plugin-Hybriden wird bis auf Weiteres eher Tesla als VW oder anderen deutschen Autokonzernen mitsamt Zulieferern zugute kommen. Obendrein müssen die deutschen Autobauer zusehen, wie auch ausländische Konzerne demnächst von deutschen Prämien profitieren werden.
Die deutsche Industrie ist ohnehin schon stark angeschlagen. Dazu hat das ifo Institut am vergangenen Freitag diese erschreckenden Daten veröffentlicht: "Die Industrie schneidet Investitionen in besonders großem Umfange zurück. 64 Prozent verschoben im Mai Projekte, 56 Prozent berichteten davon im April. Ganz gestrichen wurden sie bei 32 Prozent der Firmen im Mai und bei 25 Prozent im April."
Neben der SPD haben ganz besonders die dem Umweltschutz verschriebenen Grünen engagiert für die Förderung von Elektroautos und Plugin-Hybriden gekämpft - und dabei in der öffentlichen Debatte ausgerechnet ein wichtiges Argument unter den Tisch fallen lassen: Dass Elektroautos zum Beispiel Lithium oder Kobalt verbrauchen, also seltene Metalle, deren Abbau in Chile oder im Kongo gigantische Umweltschäden hinterlässt, von der Verletzung der Menschenrechte ganz zu schweigen. Anhand von Beispielen wie diesem wird erkennbar, was politischer Opportunismus anrichten kann.
Nach diesem Ausflug in die Niederungen der Berliner Umweltpolitik drängen sich Fragen auf wie diese: Ist genug volkswirtschaftlicher Sachverstand in die Konjunkturpakete eingeflossen? Wann und unter welchen Umständen verpufft die Wirkung der geplanten Maßnahmen? Welche Alternativen stehen dann zur Verfügung? Wie leichtsinnig sind Bundesregierung und EZB mit ihren stimulierenden Maßnahmen umgegangen? Hat überhaupt noch irgendein Politiker oder EZB-Ratsmitglied den Durchblick? Wie viel parteipolitischer Opportunismus ist im Spiel? Ist schon Wahlkampf?
Zumindest auf die letzte Frage gibt es eine klare Antwort: Ja! Darauf braucht man nicht erst zu spekulieren, das Timing der Maßnahmen sagt alles: Sie sollen möglichst vor der Wahl zum Bundestag im Herbst 2021 ihre ganze Wirkung entfalten und dadurch die Fortsetzung der Großen Koalition ermöglichen.
Alles in allem haben wir es mit einem Phänomen, das es so noch nie gab: Fiskal- und geldpolitische Verzweiflung, umhüllt von Billionen Euro, Konsequenzen unbekannt. Wie kann man sich dagegen absichern? Die folgende vierstufige Antwort mag zwar banal klingen, aber sie hat erfahrungsgemäß viel für sich: Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Geld in all seinen Facetten (und das möglichst täglich), durch das Nachschlagen in Geschichtsbüchern (das Auf und Ab der Finanzen gibt es ja nicht erst seit gestern), durch viel Eigeninitiative (statt der kritiklosen Übernehme von Meinungen anderer) und durch Streuung des Vermögens (egal, wie hoch es ist).
Zum Glück gibt es zu alldem im Internet Anregungen ohne Ende. Das birgt natürlich die Gefahr, dass man sich verzettelt und schließlich doch fremden Meinungen auf den Leim geht. Dieser Gefahr lässt sich allerdings bis zu einem gewissen Grad entgehen: Indem man eine Art Tagebuch führt, in das - derzeit besonders naheliegend - Gedanken eingehen wie diese:
Mögliche Folgen der oben erwähnten Verzweiflung, Fondsmanager holen versäumte Aktienkäufe nach, die Inflation will einfach nicht kommen, Trump möchte unbedingt die Wahl im November gewinnen und wählt dazu populistisch China als Feindbild aus, Wohn- und Gewerbeimmobilien durch Covid-19 im Umbruch, alle verfügbaren Daten zur Konjunktur gründlich verfolgen, Gold und Silber pendeln sich auf erhöhtem Niveau ein, was steckt dahinter? Die Antwort auf diese Frage überlasse ich Ihnen.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei www.gburek.eu :Silberne Aussichten
Und nun? Keine Frage, das Spielgeld dürfte bis auf Weiteres seine Runden drehen. Es wird mal Aktien, mal Edelmetalle, mal beide zusammen favorisieren. Zuletzt haben nicht nur Anleihen mit positiver AAA- bis A-Bewertung durch Ratingagenturen von der überbordenden Börsenstimmung profitiert, sondern sogar auch Junk Bonds, also Ramschanleihen. Das ganze Spiel erinnert fatal an ein anderes: Reise nach Jerusalem. Aber bitte keine Panik! Denn die Rundreise des Spielgelds wird sich mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen wohl noch eine ganze Weile hinziehen.
Wie lange? Bis das Spielgeld verbraucht ist, indem es realen Investitionen zugute kommt. Sagen wir, bis zum Herbst dieses Jahres. Der Rest ist Psychologie. Und falls die realen Investitionen ausbleiben? Dann werden wohl weitere Konjunktur- und Geldpakete geschnürt. Sie liegen schon auf Abruf bereit und lassen sich einerseits mit dem seit Jahrzehnten vielfach verwendeten englischen Begriff für Staatsschulden umreißen: deficit spending, hochtrabend Fiskalpolitik genannt. Wem das zu volkswirtschaftlich klingt, greift zu einem deutschen Begriff: Leben auf Pump. Oder, ausgesprochen vom derzeitigen deutschen Finanzminister Olaf Scholz, wahlweise "Bazooka" oder einfach nur "Wumms" genannt.
Kommen wir noch kurz zur 1,35 Milliarden Euro schweren Andererseits-Alternative: Geldpolitik. Auch für sie gibt manch spaßigen Begriff, zum Beispiel Koronabonds oder Helikoptergeld. In diesem Fall geht es aktuell darum, die - symbolisch formuliert - nimmermüde Gelddruckmaschine am Laufen zu halten und damit Bazooka-Wumms-Scholz nebst den Finanzministern anderer EU-Länder nach Kräften zu unterstützen. Das nennt man dann so: Auf dem Umweg über Anleihenkäufe durch die EZB verschmelzen Geld- und Fiskalpolitik miteinander.
Das deutsche Konjunkturpaket ist unter anderem verbraucherorieniert, wie etwa die Senkung eines Teils der Mehrwertsteuer oder die Prämie für den Kauf von Elektroautos und Plugin-Hybriden belegt. Ob daraus später mal nennenswerte Investitionen über die Brandenburger Tesla-Fabrik hinaus zustande kommen, ist aus aktueller Sicht noch nicht abschätzbar. Eines steht allerdings fest: Die fiskalische Förderung von Elektroautos und Plugin-Hybriden wird bis auf Weiteres eher Tesla als VW oder anderen deutschen Autokonzernen mitsamt Zulieferern zugute kommen. Obendrein müssen die deutschen Autobauer zusehen, wie auch ausländische Konzerne demnächst von deutschen Prämien profitieren werden.
Die deutsche Industrie ist ohnehin schon stark angeschlagen. Dazu hat das ifo Institut am vergangenen Freitag diese erschreckenden Daten veröffentlicht: "Die Industrie schneidet Investitionen in besonders großem Umfange zurück. 64 Prozent verschoben im Mai Projekte, 56 Prozent berichteten davon im April. Ganz gestrichen wurden sie bei 32 Prozent der Firmen im Mai und bei 25 Prozent im April."
Neben der SPD haben ganz besonders die dem Umweltschutz verschriebenen Grünen engagiert für die Förderung von Elektroautos und Plugin-Hybriden gekämpft - und dabei in der öffentlichen Debatte ausgerechnet ein wichtiges Argument unter den Tisch fallen lassen: Dass Elektroautos zum Beispiel Lithium oder Kobalt verbrauchen, also seltene Metalle, deren Abbau in Chile oder im Kongo gigantische Umweltschäden hinterlässt, von der Verletzung der Menschenrechte ganz zu schweigen. Anhand von Beispielen wie diesem wird erkennbar, was politischer Opportunismus anrichten kann.
Nach diesem Ausflug in die Niederungen der Berliner Umweltpolitik drängen sich Fragen auf wie diese: Ist genug volkswirtschaftlicher Sachverstand in die Konjunkturpakete eingeflossen? Wann und unter welchen Umständen verpufft die Wirkung der geplanten Maßnahmen? Welche Alternativen stehen dann zur Verfügung? Wie leichtsinnig sind Bundesregierung und EZB mit ihren stimulierenden Maßnahmen umgegangen? Hat überhaupt noch irgendein Politiker oder EZB-Ratsmitglied den Durchblick? Wie viel parteipolitischer Opportunismus ist im Spiel? Ist schon Wahlkampf?
Zumindest auf die letzte Frage gibt es eine klare Antwort: Ja! Darauf braucht man nicht erst zu spekulieren, das Timing der Maßnahmen sagt alles: Sie sollen möglichst vor der Wahl zum Bundestag im Herbst 2021 ihre ganze Wirkung entfalten und dadurch die Fortsetzung der Großen Koalition ermöglichen.
Alles in allem haben wir es mit einem Phänomen, das es so noch nie gab: Fiskal- und geldpolitische Verzweiflung, umhüllt von Billionen Euro, Konsequenzen unbekannt. Wie kann man sich dagegen absichern? Die folgende vierstufige Antwort mag zwar banal klingen, aber sie hat erfahrungsgemäß viel für sich: Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Geld in all seinen Facetten (und das möglichst täglich), durch das Nachschlagen in Geschichtsbüchern (das Auf und Ab der Finanzen gibt es ja nicht erst seit gestern), durch viel Eigeninitiative (statt der kritiklosen Übernehme von Meinungen anderer) und durch Streuung des Vermögens (egal, wie hoch es ist).
Zum Glück gibt es zu alldem im Internet Anregungen ohne Ende. Das birgt natürlich die Gefahr, dass man sich verzettelt und schließlich doch fremden Meinungen auf den Leim geht. Dieser Gefahr lässt sich allerdings bis zu einem gewissen Grad entgehen: Indem man eine Art Tagebuch führt, in das - derzeit besonders naheliegend - Gedanken eingehen wie diese:
Mögliche Folgen der oben erwähnten Verzweiflung, Fondsmanager holen versäumte Aktienkäufe nach, die Inflation will einfach nicht kommen, Trump möchte unbedingt die Wahl im November gewinnen und wählt dazu populistisch China als Feindbild aus, Wohn- und Gewerbeimmobilien durch Covid-19 im Umbruch, alle verfügbaren Daten zur Konjunktur gründlich verfolgen, Gold und Silber pendeln sich auf erhöhtem Niveau ein, was steckt dahinter? Die Antwort auf diese Frage überlasse ich Ihnen.
© Manfred Gburek
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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