Wie das Fiat-Geldsystem uns in den Sozialismus treibt
26.02.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Um Rezession und Arbeitslosigkeit abzuwenden, senkt die Zentralbank den Zins noch weiter ab und erhöht das Kredit- und Geldmengenangebot. Um das ein oder andere Mal kann so der Bust abgewehrt, in einen neuerlichen Boom umgewandelt werden.In einem Fiat-Geldsystem wachsen die Schulden allerdings stärken, als die Einkommen zunehmen. Die Zinslasten der Verschuldeten würden bei unveränderten Zinsen ansteigen (relativ zu ihren Einkommen), und Kreditnehmer würden Schwierigkeiten haben, ihren Schuldendienst vollumfänglich zu leisten. Um diese Bedrängnis zu verhindern und gleichzeitig auch die Konjunkturen weiter anzutreiben, schleust die Zentralbank die Zinsen im Zeitablauf immer weiter herunter.
In Krisenphasen reagieren die Geldpolitiker mit weiteren Zinssenkungen, und in Aufschwungphasen ziehen sie die Zinsen wieder an, allerdings bringen sie die Zinsen dabei nicht mehr auf das Vor-Krisenniveau zurück. Das erklärt zu einem ganz wesentlichen Teil, warum die Kapitalmarktzinsen in den letzten Jahrzehnten abgesunken sind. Es kommt allerdings noch einige Faktoren hinzu.
In den vergangenen Dekaden ist die Inflation der Konsumgüterpreise in vielen Volkswirtschaften rückläufig gewesen. Das hat dazu geführt, dass auch die Inflationserwartungen, die die Kapitalmarktzinsen beeinflussen, abgesunken sind. Die langjährige Erfahrung mit fallender Konsumgüterpreisinflation hat das Vertrauen in die Zentralbanken, dass sie die Konsumgüterpreisinflation auch künftig niedrig halten, gestärkt. [An dieser Stelle ist anzumerken: Die Inflation der Konsumgüterpreise ist zwar abgesunken.
Aber die Vermögenspreisinflation hat im Gegenzug drastisch zugelegt. Es wäre also ein Trugschluss zu glauben, die Geldpolitiker hätten die Kaufkraft des Geldes “stabil” gehalten! Je nachdem, welche Vermögenspreise betrachtet werden, ist der Kaufkraftverlust von US-Dollar, Euro und Co. sogar ganz beträchtlich - aber viele Menschen erkennen das leider nicht.]
Ein weiterer Faktor, der die Kapitalmarktzinsen hat absinken lassen, ist der Realzins. Es ist wahrscheinlich, dass die Menschen angesichts erhöhter Pro-Kopf-Einkommen über die Jahre zukunftsorientierter geworden sind. Das heißt, sie haben mehr gespart aus ihrem laufenden Einkommen. Das wiederum hat das Sparangebot erhöht und, weil das Investitionsvolumen nicht Schritt gehalten hat, den Realzins absinken lassen. Es gibt viele (keynesianisch gesinnte) Ökonomen, die diese Auffassung vertreten.
Aus ihrer Sicht sind die derzeit (immer noch) sehr niedrigen Kapitalmarktzinsen die Folge eines “Sparüberschusses” (“Savings Glut”). Sie empfehlen daher, der Staat müsse nachfragewirksame (Investitions-)Ausgaben tätigen, um die Wirtschaft zu beleben - die Ersparnisse per Verschuldung einsammeln und unter die Leute bringen.
Wenngleich alle diese Faktoren in der einen oder anderen Weise auf den Kapitalmarktzins einwirken, so sollte jedoch die zentrale Rolle der Geldpolitik dabei nicht übersehen werden. Die unangenehme Wahrheit ist nämlich, dass die Geldpolitik dafür sorgt, die Marktzinsen künstlich und chronisch nach unten zu verzerren. Wie erklärt sich das?
In einem Fiat-Geldsystem weiten die Banken das Kreditangebot aus, ohne dass entsprechende Ersparnisse vorhanden wären. Dadurch wird der Marktzins unter das Niveau gedrückt, das vorherrschen würde, wenn die Zentralbanken und/oder die Geschäftsbanken keine Kredite, denen keine Ersparnisse gegenüberstehen, anbieten würden. Im Fiat-Geldsystem ist folglich eine “Zinsverzerrung nach unten” systemimmanent, ist vorprogrammiert. Mit problematischen Folgen.
Die Kontrolle des Zinses
Ursprünglich hatten sich die Zentralbanken darauf beschränkt, den Kurzfristzins zu bestimmen. Zu diesem Zins können die Banken sich bei der Zentralbank auf dem Kreditwege Zentralbankgeld beschaffen, das sie brauchen, um ihrerseits Kredite an Staaten, Unternehmen und Haushalte vergeben zu können. Der langfristige Kreditzins konnte sich unter diesen Bedingungen mehr oder weniger frei am Markt bilden.
Allerdings bestand auch hier ein gewisser Verbund zwischen Kurz- und Langfristzins: Die Zentralbanken konnten durch die Kontrolle des Kurzfristzinses auch Einfluss auf den Langfristzins nehmen. In den letzten Jahren sind die Zentralbanken jedoch dazu übergegangen, die Zinsmärkte stärker denn je zu kontrollieren: Sie setzen nicht nur den Kurzfristzins, sie beeinflussen jetzt auch die Langfristzinsen direkt, indem sie Schuldpapiere aufkaufen.
Interessanterweise brauchen die Zentralbanken nicht dauerhaft Schuldpapiere zu kaufen, um die gewünschten Renditen herbeizuführen.
Wenn sie die Finanzmarktakteure wissen lassen, dass sie die Renditen auf niedrigem Niveau zu sehen wünschen, dann werden die Investoren nicht gegen die Zentralbank spekulieren, sondern die Renditen wandern quasi automatisch auf die geldpolitisch angedachten Niveaus: So gesehen ist es vermutlich nicht übertrieben zu sagen, dass die Zentralbanken mittlerweile die Zinsmärkte voll und ganz kontrollieren (zumindest die Märkte für Staatsschulden sowie auch die für Bankschuldpapiere). Der Zins ist folglich kein Phänomen des freien Marktes (mehr), er ist vielmehr politisch gesetzt, im Fiat-Geldsystem ist er heruntermanipuliert.
Die Effekte für die Volkswirtschaften sind gewaltig. Es kommt zu Fehlentwicklungen - zum Beispiel wird das Sparen entmutigt, Überkonsum und Fehlinvestitionen werden befördert. Hinzu kommt ein Preisauftrieb, der alle Güter und Dienste in der Volkswirtschaft erfasst. Dazu rufe man sich in Erinnerung, dass der Zins letztlich in allen Güterpreisen “steckt”.
Beispiel Vermögenspreise: Die Marktpreise von Aktien, Anleihen und Grundstücken werden ermittelt, indem man ihre künftigen Zahlungsströme auf die Gegenwart abzinst. Hier gilt: Je niedriger (höher) der Zins ist, desto höher (niedriger) sind die Preise für Aktien, Anleihen und Grundstücke. Oder Beispiel Rohstoffe: Sie werden gebildet auf Basis ihres erwarteten abdiskontierten Wertgrenzproduktes. Auch hier gilt: Je niedriger (höher) der Zins ist, desto höher (niedriger) fällt auch ihr Marktpreis aus.
Niedrige Zinsen inflationieren die Vermögenspreise
Die "fairen" Preise für Vermögensbestände wie Aktien, Anleihen und Häuser werden üblicherweise errechnet, indem man die künftigen Gewinne auf die Gegenwart abzinst. Betrachten wir einen einfachen Fall: Sie erhalten eine konstante Zahlung pro Jahr, und zwar für die Ewigkeit. Es gibt eine einfache Formel, mit der Sie den Barwert (P) dieser Zahlungsreihe ermitteln können. Sie lautet:
P = D / r,
wobei D = jährliche Zahlung und r = Zins ist. Wenn zum Beispiel D = 1, und r = 5 Prozent, dann ist P = 20 [also 10 / 0,05]. Fällt der Zins auf, sagen wir, 2 Prozent, steigt P auf 50. Den Zusammenhang zwischen Zins und Barwert der Zahlungsreihe zeigt die nachstehende Abbildung. Sie illustriert eindrücklich: Je niedriger (höher) der Zins ist, desto höher (niedriger) ist der Barwert und damit der Marktpreis der Zahlungsreihe. Die Zentralbank treibt demnach, wenn sie den Zins heruntermanipuliert, die Preise der Vermögensbestände in die Höhe.