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Alter Wein in neuen Schläuchen - Die Instabilitätshypothese von Hyman P. Minsky

09.10.2007  |  Mag. Gregor Hochreiter
Ein medialer Schwellbrand zog in den letzten Wochen durch die Finanzmedien. Ausgehend von den USA wurde die Wiederentdeckung des amerikanischen Ökonomen Hyman P. Minsky gefeiert. Der Student von Joseph A. Schumpeter und Reformulierer von John M. Keynes habe mit seiner "Instabilitätshypothese" eine brauchbare Erklärung für die wiederkehrenden Konjunkturwellen und die aktuelle Immobilienkrise geliefert.

Insbesondere der sogenannte "Minsky-Moment" oder "Minsky Meltdown" erregte das Interesse der Öffentlichkeit. Der "Minsky-Moment" beschreibt denjenigen Augenblick, zu dem die schlechtesten Schuldner ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können und bankrott gehen. Diese schlechteste von drei Schuldnerkategorien bezeichnet Minsky auch als "Ponzi-Schuldner", weil sie als Schuldner ohne Sicherheiten auf die Wertsteigerung ihrer Vermögenswerte zur Schuldentilgung spekulieren. In Minskys Theorie ist der Anteil der Ponzi-Schuldner keine Konstante. Mit Fortdauer des Booms steigt dieser Anteil an, bis er schlußendlich eine das gesamte Finanzsystem gefährdende Höhe erreicht. Diese Dynamik begründet Minsky damit, daß der Boom einer sich selbstverstärkenden Spirale aus steigenden Gewinnerwartungen und zunehmend spekulativer Verschuldung gleicht. Sobald dann der Wertanstieg der Vermögenswerte nicht mehr zur Begleichung der Zinsaufwendungen ausreicht, machen die Ponzi-Schuldner reihenweise Pleite.

In weiterer Folge bringen die großflächigen Zahlungseinstellungen der Ponzi-Schuldner die Banken in existenzbedrohende Bedrängnis. Die Bonität der Banken sinkt und vor allem das unbekannte Ausmaß an faulen Krediten bremst das Interbankgeschäft, weil Geschäftsbank A die Bonität der Geschäftsbank B nicht mehr richtig einschätzen kann. Nach Jahren des Überoptimismus schlägt die Stimmung plötzlich um und eine Vertrauenskrise macht sich breit. In einer derartigen Crash-Situation müsse nun, so Minsky, die Zentralbank das Kreditgeschäft durch das Absenken der Zinsen - speziell im Interbankgeschäft (Diskontsatz) - ankurbeln. Ansonsten drohe eine unaufhaltsame deflationäre Abwärtsspirale.

Was ist von Minskys hier schemenhaft dargestellten Theorie zu halten? Ohne Zweifel nimmt Minsky in seiner Analyse wahr, daß die Ausweitung der ungedeckten Geldmenge einem riesigen Pyramidenspiel ("Ponzi-Spiel") gleicht, das irgendwann einmal kippen muß. So weit, so gut. Eine richtige Erkenntnis macht jedoch noch keine stimmige Theorie.

Ein erstes Problem taucht bei Minskys Analyse der Ursachen des Booms auf. Wie kann es überhaupt zu einer exzessiven Kreditvergabe kommen, wenn es doch im ureigensten Interesse der kühl kalkulierenden Geschäftsbanken liegt, nicht durch derartige Exzesse ins finanzielle Wanken zu geraten? Ganz Keynesianer, beantwortet Minsky diese Frage mit einem psychologischen Argument. Der Kapitalismus würde die Gier der Menschen verstärken und so zu rücksichtslosem Gewinnstreben verleiten. Allerdings ist die exzessive Vergabe von Krediten an finanzschwache Schuldner kein psychologisches Phänomen, sondern ein dem "fiat money" geschuldetes reales Phänomen. Denn erst das Abgehen von einer 100% Deckung wie im Goldstandard ermöglicht die exzessive Kreditvergabe. Die Kausalitätskette läuft folglich in die andere Richtung, von der Realität zur Psychologie und nicht umgekehrt. Des weiteren tragen die im Boom verzeichneten Scheingewinne maßgeblich dazu bei, unter den an der doppelten Geldillusion leidenden Marktteilnehmern eine an und für sich unbegründete Masseneuphorie auszulösen.

Dieses durch und durch reale Phänomen wurzelt in der Manipulation des Zinses durch die Zentral- und Geschäftsbanken, also in einer Intervention des Staates in die friedlichen Markttransaktionen der Bürger. Die Ausweitung der ungedeckten Geldmenge durch die Zentralbanken und des auf Bruchteilreservehaltung operierenden Geschäftsbankensystems ("fractional-reserve-banking") ist folglich mit dem Kapitalismus unvereinbar. Dies haben Ökonomen wie u.a. Ludwig von Mises, Murray N. Rothbard und Guido Hülsmann, allesamt Vertreter der "Österreichischen Schule der Nationalökonomie", in unzähligen Schriften hieb- und stichfest dargelegt.

Weil Minsky aus falschen Gründen zu einer an sich richtigen Erkenntnis gelangt, führen die von Minsky verordneten wirtschaftspolitischen Rezepte dem Patienten noch weiter Gift zu, anstatt ihn zu entgiften. Es ist ein häufig vorzufindender Trugschluß unserer Zeit, für die Heilung eines von der Politik herbeigeführten Mißstandes genau jene Mittel in erhöhter Dosis vorzuschlagen, die den bedauerlichen Zustand erst herbeigeführt haben. "More of the same" heißt im konkreten Fall, Inflation mit noch mehr Inflation zu bekämpfen.

Mit der als Rettungsaktion getarnten Reflationierung verschlimmert die Politik nicht nur alle Übel der Inflation. Schließlich löst die weitere "Bereitstellung von Liquidität", so eine häufig gebrauchte beschönigende Umschreibung für Inflationierung, die strukturellen Probleme nicht. Daneben verstetigt das allseits bekannte Problem des "Moral Hazard" unter den Geschäftsbanken das Gefühl, für unternehmerisches Fehlverhalten wie das "fractional-reserve-banking" finanziell nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Konkurs eines Unternehmens stellt in einer freien Marktwirtschaft jenes disziplinierende Korrektiv dar, das Unternehmer in die Schranken des verantwortlichen Handelns weist. Setzt man dieses Korrektiv außer Kraft, erfährt das unverantwortliche Handeln eine deutliche Bestärkung.

Die panische Furcht vor der Deflation, die Minsky mit nahezu allen Berufskollegen teilt, liegt in einem logischen Fehlschluß begründet. Nur weil die zwei Phänomene Geldmengendeflation und Rezession gleichzeitig auftreten, bedeutet dies noch lange nicht, daß das eine Phänomen - die Rezession - von dem anderen Phänomen - der Geldmengendeflation - verursacht wurde. Tatsächlich werden beide Phänomene durch die zeitlich vorangehende Inflationierung und den Boom verursacht. Denn die von Minsky gefürchtete Schuldendeflation und die damit einhergehende strukturelle Bankenkrise bereinigen jene monetären Exzesse, die den künstlichen Boom ursächlich ausgelöst hatten. Die temporäre Rezession heilt also das, was die vorhergehende Inflationierung verursacht hat.

Die Furcht vor der unaufhaltsamen Abwärtsspirale erweist sich ebenfalls als unbegründet, weil es sich bei der Deflation/Rezession um eine bereinigende Korrektur handelt, die nach Aufdeckung aller Scheinwerte ein Ende findet. Natürlich gilt: Je stärker inflationiert wurde, desto größer der Berg an Scheinwerten, der abzutragen ist.

Minskys inflationäre Politikempfehlungen sind außerdem weder neu, noch originell. Allen medialen und akademischen Unkenrufen zum Trotz entsprechen sie in den entscheidenden Aspekten haargenau dem gegenwärtigen Mainstream. Gerne gefallen sich heutige Keynesianer in der Rolle der Außenseiter, die sich von Neoliberalismus und Monetarismus in das Eck der Bedeutungslosigkeit gedrängt sehen. Und natürlich existieren zwischen diesen beiden Schulen gravierende Auffassungsunterschiede über das Wie einer optimalen Geldpolitik. Aber sie unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Frage ob überhaupt inflationiert werden soll.

Den für die wirtschaftspolitische Realität letztlich vernachlässigbaren, weil nur graduellen und nicht prinzipiellen, Unterschied bestätigt der wichtigste Vertreter des Monetarismus, Milton Friedman, indirekt in seinem letzten publizierten Artikel mit dem sperrigen Titel "A Natural Experiment in Monetary Policy Covering Three Episodes of Growth and Decline in the Economy and the Stock Market", der im prestigeträchtigen "Journal of Economic Perspectives" (Vol. 19, No. 4 - Fall 2005, p. 145-150) veröffentlicht wurde. In diesem lobt er die reflationäre Politik Alan Greenspans im Jahr 2001 und kritisiert die Passivität der Zentralbank im Anschluß an den Crash von 1929. Zu denselben geldpolitischen Schlußfolgerungen gelangen die angeblichen Widersacher des Monetarismus, die Keynesianer jeglicher Couleur.

Gerade weil sich die wirtschaftspolitischen Illusionen so tief in unser Gedächtnis eingebrannt haben, kommt eine langfristige Wertvermehrung oder zumindest Wertsicherung, die das Ziel jedes Anlegers/Investors sein sollte, ohne ein tiefgreifendes Verständnis der ökonomischen Kausalzusammenhänge, ohne ein ernstgemeintes Abschiednehmen von der falschen Vorstellung, wonach die zyklischen Entwicklungen einer freien Marktwirtschaft inhärent seien, nicht aus. Wir müssen uns nicht mit der Instabilität der Finanzmärkte abfinden und auch nicht mit der Idee, wirtschaftliche Entwicklung wäre nur um den Preis eines zyklischen Wachstums mit seinen Auf- und Abwärtsbewegungen zu erlangen. Die "Entdeckung" von Minskys fehlerhaften Thesen selbst in der angesehenen FAZ zeigt indes, wie sehr wir uns mit dieser marxistischen Fehlauffassung bereits abgefunden haben, die von Wellentheoretikern wie Minsky, Schumpeter, Keynes und Kondratieff popularisiert wurde und die sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen. Abgelenkt von akademischen und wirtschaftspolitischen Scheingefechten steuern wir deshalb auf eine Epoche der noch rasanteren Geldentwertung zu.

Für einen langfristig orientierten Anleger, der die Früchte seines Investments auch tatsächlich genießen möchte, empfiehlt sich daher die eingehende Auseinandersetzung mit den Ideen der "Österreichischen Schule der Nationalökonomie". Denn was nützt es, im kommenden Crash zu den Gewinnern zu zählen, wenn sich danach die Gesellschaft wie in den 1920ern und 1930ern nicht mehr erholt.


© Mag. Gregor Hochreiter


Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Rohstoff-Spiegel 20/2007.

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