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Bei El Nino kippt das Börsenfieber

21.12.2004  |  Hans Jörg Müllenmeister
Der Verlauf der Börse und des Wetters zeigen Gemeinsamkeiten: Beiden liegen wechselseitige Parameter zugrunde, an beide Szenarien sind hohe Erwartung geknüpft. Viel Geld und Denkarbeit steckt man in ihre langfristige Vorhersagen, um zukünftigen Ereignissen rechtzeitig auf die Spur zu kommen. Doch es bleibt ein Glücksfall, wenn sich die Erwartung (Antizipation) mit dem zukünftigen Ereignis deckt.


Was haben Wetterkarte und Aktienmarkt gemein?

Wirklich markante, starke Kursbewegungen finden relativ selten statt. Da allerdings würde sich ein Engagement lohnen, das die Erwartung treffsicherer erfüllt. In der übrigen Zeit dümpelt das Börsenschiff eher in ruhigem Gewässer, immer in Erwartung einer aufziehenden Wetterfront.

Wenn wir die Wetterkarte betrachten, ahnen wir nicht, welch hochkomplexe Wettermodelle dahinter stecken. Unsere Erdatmosphäre wird da als Modell in ein Netz von einzelnen kleinen Würfeln aufgeteilt und an den jeweiligen Eckpunkten die Veränderung der meteorologischen Daten untersucht, die das Wetter bestimmen. Mathematisch sind das nichtlineare Differenzialgleichungen, die nur numerisch mit hoher Rechnerkapazität zu lösen sind. Genau so könnte man das einzelne Börsen-Individuum als kleinstes Masseteilchen der Anleger-Lemmingherde mit seinen emotionalen Stimmungen, sozialen Komponenten und den wirtschaftlichen Fakten herausgreifen und zur perfekten Kursprognose "hochrechnen".


Ist das Chaos berechenbar?

Dabei gibt es ein spannendes Problem: das deterministische Chaos. Es erlaubt keine langfristigen Prognosen, wie sich ein Ablauf weiter gestaltet. Bereits winzige Änderungen der Anfangsbedingungen - der vielzitierte Flügelschlag eines Schmetterlings - können das Naturphänomen Wetter und im übertragenen Sinn das Sozialphänomen Börse so dramatisch beeinflussen, daß alle errechneten Voraussagen fehlschlagen. Noch stochert die moderne Wissenschaft im Nebel der Chaosforschung. Indessen gibt es schon sehr praktische Anwendungen und Vorzeige-Experimente.

Die hier gebotene Gleichung beschreibt die Schwankungen des Bevölkerungswachstums: yn+1 = a yn (1 – yn); sie ist vom Rechner iterativ anzuwenden. Unheimliche Überraschungen des Chaos sind in dieser anscheinend trivialen Gleichung verborgen. Nur soviel sei gesagt: Auf kleinste Änderung des Anfangswertes y0 reagiert das System hochsensibel. Da gibt es Bereiche, wo sich kein Trend vorhersagen läßt.

Erstaunlich: Der Zufall findet in der Gleichung keinen Platz, denn jede Größe ist bekannt und doch lassen sich keine langfristigen Vorhersagen machen, weil es bei geringster Abweichung der Anfangsbedingung zu einer dramatischen Veränderung kommt. Gerade kleinste Abweichungen im Aufbau der DNS erlaubt z. B. der Natur vielfältige Lebensformen.


Fragen an das unergründliche Chaos

Sicherlich kann die tieflotende Erkundung des Chaos für die Kursprognose eine nützliche Rolle spielen. Je ferner aber die Voraussage, um so chaotischer ist der Anteil. Kernfragen zur praktischen Anwendung sind dabei: Wo ist die Grenze zwischen dem "ordentlichen Bereich" mit sinnvoller Voraussage und dem Chaos? Unter welchen Bedingungen kippen die Inseln der Ordnung ins Chaos (Crash-Nähe) mit sinnlosen Vorhersagewerten? Lassen sich Strukturen im Chaos erkennen? Vor allem eins wäre für die Börse wichtig: Gibt es im dynamischen Börsengetümmel eine sichere Vorwarnung auf den Beginn eines drohenden Chaos, damit man seine Erwartungshaltung rechtzeitig korrigiert?


Die geordnete und chaotische Welt

Unsere scheinbar geordnete Natur mit abgegrenzten Inseln der Ordnung - hier gelten die bekannten Naturgesetze - entpuppt sich gleichsam auch als eine unsichere chaotische Welt, in der Vorhersagen über die Zukunft nicht möglich sind. Beide Welten berühren sich; es gibt Grenzgebiete. Die Natur wartet mit komplex erscheinenden Gebilden auf, die Regelmäßigkeiten verbergen, etwa Küstenlinien, Farnblattgestaltung oder Organ-Gefäßstrukturen. Auch Abläufe an der Börse sind nichtlinear und chaotisch, sie zeigen aber periodische Muster.


Indikatoren zur Börsenentwicklung

Mit geordneten Strukturen operieren z.B. auch die Elliott-Wave Anhänger als Vorhersagemodell, um künftige Entwicklungen der Finanzmärkte mit der Erwartungshaltung in Einklang zu bringen. Diese Leute haben ein prinzipielles Problem; sie wissen nicht an welcher Stelle des Wellenmusters im Chart sich im Augenblick der Aktienmarkt befindet. Sie sprechen von "selbstähnlichen" Elementen, den Fraktalen, die im Kursverlauf immer wiederkehren, und zwar als Wellen. Ob man diese Wellenstruktur im Chart zu Rate zieht oder Indikatoren der Börsenstimmung wie das Sentiment oder das Contrary Opinion: das kollektive Verhalten des emotionsgeleiteten Herdentriebs wird man kaum im Grenzgebiet zum Chaos - in der Nähe von Haussen oder Baissen - erfassen können. Der Markt verhält sich wie die Frage nach dem Huhn oder dem Ei: Wer war zuerst da? Beeinflußte zuerst die Nachricht das Marktgeschehen oder der Markt die Nachricht? Das Ganze ist ein verwobenes Wechselspiel. Psychologische Trends rufen wirtschaftliche Trends hervor und umgekehrt, dies mit gegenseitiger Ansteckungsgefahr.


Fazit

Unabhängig von irgend welchen Prognosen, muß der Anleger seine Emotion bezwingen; er darf sich nicht erwartungsvoll an sein Engagement klammern, während das Börsenschiff bereits sinkt. Vom Recht behalten wollen bis zum Untergang ist noch niemand reich geworden. Rechtzeitig aussteigen und ins Rettungsboot gleitet, ist angesagt. Aber sich eigene Fehler einzu-gestehen, erfordert ein Höchstmaß an Selbstdisziplin.

Vorhersagemodelle "in ruhiger See" mögen recht gut funktionieren. Selbst wenn man diese kombiniert, versagen sie vielfach kläglich in Sog des Chaos. Unsere Hoffnung und Befürchtung, die Zukunft durch einen genialen Rechenalgorithmus mit einer Erwartungstreue von 1:1 in der Griff zu bekommen, führt sich selbst ad absurdum. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Erwartung mit Fragezeichen mehr, dann bedeutet dies das Ende der Börse. Der weltweite Aktienhandel stürbe, denn es gäbe keine Überraschungen mehr, alles wüßte man ja im voraus. Was uns bleibt? Dies diem docet - aus Erfahrung wird man klug, schlimmstenfalls auch ärmer.


© Hans Jörg Müllenmeister



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