Rezession: Das dicke Ende kommt erst noch
11.02.2023 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Und weil die Indikatorfunktion der realen Geldmenge M1 in der Vergangenheit stets relativ verlässlich war, sollte man sie nicht leichtfertig übersehen, wenn man sich ein Bild über die Konjunktur im laufenden Jahr machen möchte.Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. *Bereinigt anhand des Konsumentenpreisindexes im Euroraum. Das Geldmengenwachstum ist um vier Quartale nach vorn verschoben.
Notenbanken setzen auf Stabilisierungsrezession
Dieses Phänomen ist in der volkswirtschaftlichen Theorie als Realkasseneffekt bekannt. Er geht auf den israelischamerikanischen Ökonomen Don Patinkin (1922 - 1995) zurück. Patinkin wollte zeigen, dass die Volkswirtschaft sich in Krisen selbst heilen kann, ohne dass dazu staatliche Einflussnahme nötig ist. Fallen beispielsweise in einer Rezession beziehungsweise Depression die Güterpreise, stärkt dies bei unveränderter Geldmenge die Kaufkraft der Marktakteure. Sie können ihre Güternachfrage ausweiten und die Volkswirtschaft arbeitet sich aus der Krise.
Auf die aktuellen Verhältnisse angewandt, zeigt sich ein negativer Realkasseneffekt: Unter den herrschenden monetären Bedingungen wird der gegenwärtigen Hochinflation absehbar ein heftiger Abwärtsdruck auf die Güterpreise folgen - weil die reale Geldmenge schrumpft. Warum wollen dann die Zentralbanken die Zinsen noch weiter erhöhen?
Höhere Zinsen sollen verhindern, dass die Kreditvergabe und mit ihr das Geldmengenwachstum und der Inflationsdruck steigen. Die Geldbehörden fürchten, dass Nichtstun und Abwarten in der aktuellen Hochinflation das Vertrauen in das Geld erodieren lassen könnten. Das wiederum triebe die Inflationserwartungen der Marktakteure in die Höhe - was übrigens in Ansätzen schon erfolgt ist - und schwört eine noch größere Inflationskrise herauf. Zudem richten die Zentralbankräte üblicherweise ihre Geldpolitik an der laufenden Inflation aus, die Entwicklung der realen Geldmenge haben sie kaum oder gar nicht im Blick.
Die Zentralbanken setzen damit - bewusst oder unbewusst - auf eine Stabilisierungsrezession: Mit einer wirtschaftlichen Kontraktion soll die Inflationswelle gebrochen werden. Das ist durchaus aussichtsreich. Geht die Güternachfrage zurück, können Unternehmen ihre Lager nur durch Preisnachlässe räumen. Der Spielraum für Kostenüberwälzungen und Preiserhöhungen nimmt ab. Höhere Lohnforderungen bleiben aus. Vor allem aber ebbt in der Rezession das Kredit- und Geldmengenwachstum ab, der künftige Inflationsdruck lässt nach. Doch das ist im aktuellen monetären Umfeld eine sehr brisante Geldpolitik.
Die Geschichte droht sich zu wiederholen
Eine Rezession wird die hoch verschuldeten Volkswirtschaften absehbar in arge Bedrängnis bringen. Viele Schuldner können ihren Schuldendienst dann nicht mehr leisten. Die Kreditausfälle werden zunehmen. Banken scheuen sich, neue Kredite zu vergeben und stellen Darlehen fällig. Das Vertrauen der Investoren in die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften schwindet. Das Ergebnis ist eine Kreditklemme, ähnlich wie in der Finanzkrise 2008/2009: Die Investoren ergreift die Furcht, dass ihre Zins- und Tilgungsforderungen nicht beglichen werden. Die Kreditmärkte frieren ein, das ungedeckte Geldsystem steuert dem Kollaps entgegen.
Die ökonomischen Schmerzen wären gewaltig, der politische Druck auf die Zentralbanken, die Zinsen wieder zu senken und die Volkswirtschaft mit neuem Kredit und mehr Geld über Wasser zu halten, wäre absehbar. In der Not betrachtet die Politik die Geldmengenvermehrung, die Inflation, als das vergleichsweise kleinere Übel, um ein vermeintlich noch größeres Übel abzuwenden. Diesen Fehler haben die Zentralbanken in der Vergangenheit wiederholt begangen, etwa in der Finanzkrise und auch in der Pandemie.
Um die Banken und die Regierungen liquide zu halten und die Krisen abzufedern, senkten die Zentralbanken die Zinsen und weiteten die Geldmengen drastisch aus. Stiegen zunächst vor allem die Vermögenspreise, so schießen nun auch die Preise für Konsumgüter in die Höhe. Das Risiko, dass sich die unrühmliche Geschichte wiederholt, ist groß: Im Kampf gegen die von ihnen höchstselbst erzeugte Inflation schicken die Zentralbanken die Volkswirtschaften zunächst in die Rezession, die die Hochinflation etwas verringert. Anschließend lockern sie die Geldpolitik, um die Krise abzumildern - und treiben so die Inflation auf neue Höchststände.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH