Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Eine Anatomie der Krisen: Von der Bankenkrise zur Kreditkrise, zur Währungskrise

09.04.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Nun war allerdings die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen, die die Bank auf der Aktivseite ihrer Bilanz ausgewiesen hatte, viel größer als die durchschnittliche Laufzeit der Bankverbindlichkeiten (in Form von Kundeneinlagen). Das führte dazu, dass der Marktwert der Anleihen (aufgrund der erhöhten Marktzinsen) viel stärker zurückging, als der Marktwert der Bankverbindlichkeiten fiel – und folglich das Eigenkapital der Bank sich buchhalterisch gesehen auflöste.

Als die Kunden begannen, ihre Einlagen abzuziehen, wurde es wirklich brenzlig für die Silicon Valley Bank. Sie verkaufte Wertpapiere und realisierte Verluste, die das Eigenkapital auszulöschen drohten. Daraufhin schloss die Aufsichtsbehörde die Bank, stellte sie unter Zwangsverwaltung.

Um einen Bank-Run auf breiter Front zu verhindern, sprach die US-Regierung am 12. März 2023 eine Versicherung für alle Einlagen aus, die die Kunden bei der Silicon Valley Bank und bei der Signature Bank in New York halten. Gleichzeitig stellte die US-Zentralbank den Banken eine Kreditlinie mit einjähriger Laufzeit zur Verfügung. Wenn die Banken neues Geld brauchen, müssen sie jetzt keine Wertpapiere mehr aus ihrem Portfolio verkaufen und bisher nicht realisierte Verluste realisieren, sondern sie bekommen das benötigte Geld per Kredit von der Zentralbank.

Die US-Zentralbank akzeptiert dabei die Anleihen, die die Banken in den Büchern haben, als Sicherheit, und zwar zum Nennwert, nicht zum derzeit verminderten Marktwert.

So werden Risiken von den Geschäftsbanken auf die Zentralbank (also letztlich die Steuerzahler) verlagert.

Die US-Zentralbank sorgt auf diese Weise dafür, dass das Eigenkapital der Banken erhalten bleibt, sie hält das US-Bankensystem liquide, und die Banken können weiterhin alle Überweisungen abwickeln. Das war bedeutender Schritt der US-Zentralbank. Schließlich hatte nicht nur die Silicon Valley Bank hohe unrealisierte Verluste auf der Aktivseite ihrer Bank, viele andere US-Banken haben sie auch.

Zahlen der US-amerikanischen Einlagensicherung FDIC zufolge beliefen sich die unrealisierten Verluste in den Wertpapierbeständen der Banken auf 690 Mrd. US-Dollar Ende des dritten Quartals 2022 – das waren etwa 3 Prozent der Bilanzsumme aller US-Banken oder 30 Prozent ihres Eigenkapitals. Keine Kleinigkeit also.

Die Börsen sehen das ähnlich. Die Aktien vieler kleiner und mittelgroßer US-Banken sind in den letzten Tagen sehr stark gefallen, ein Indiz, dass die Investoren die Ertragskraft der Banken anzweifeln, in einigen Fällen sogar in Frage stellen.

Was sich an dieser Stelle sagen lässt, ist, dass die US-Bankenkrise (wenn wir sie als solche bezeichnen wollen), ausgelöst durch den Niedergang der Silicon Valley Bank, (zumindest bislang) von anderer Art ist als die Bankenkrise in 2008/2009. Damals hatten die Banken schlechte Kredite in ihren Bilanzen. Ihnen drohte die Insolvenz, weil Kreditnehmer ihren Schuldendienst nicht mehr leisten konnten.

Aktuell handelt es sich nicht um eine Insolvenzkrise, sondern – in Anführungsstriche gesetzt – "nur" um gesunkene Wertpapierkurse, verursacht durch die Zinserhöhungen der Zentralbank. Diese bisher nicht realisierten Verluste in den Bankbilanzen würden sich quasi von selbst auflösen, wenn die Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit gehalten werden. Die Buchverluste würden auch abnehmen, wenn die US-Zentralbank die Zinsen senkt, denn dadurch steigen die Marktbewertungen der Anleihen.

Die US-Banken befinden sich also – Stand heute – nicht in einer Insolvenzkrise, sondern viele von ihnen – vor allem die kleineren und mittelgroßen Banken – brauchen Liquidität, weil Kunden verunsichert sind und ihr Geld abziehen und zu anderen Banken überweisen. Und diese Liquidität bekommen sie von der US-Zentralbank.

Heißt das, dass das Ganze sich wieder beruhigt, sich sozusagen zurechtruckelt? Dass die Bankenkrise beherrschbar ist, eine Kreditkrise ausbleibt?

Eine Bankenkrise (wie sie sich aktuell zeigt) lässt sich, rein technisch gesehen, tatsächlich in den Griff bekommen – indem die Zentralbank die Banken liquide hält. Die Zentralbankgeldmenge kann dadurch zwar stark anschwellen, aber es kommt hier nicht zu einem Anwachsen der Geldmenge in den Händen der Konsumenten und Produzenten, die die Inflation der Konsumgüterpreise weiter befeuern könnte.

Doch das ist noch kein Grund für Entwarnung! Eine Bankenkrise ist meist eine sehr heikle Angelegenheit. Verloren gegangenes Vertrauen ist nicht leicht wiederzugewinnen. Eine Bankenkrise kann zudem Kollateralschäden nach sich ziehen, kann in eine Kreditkrise münden. Und das könnte beispielsweise wie folgt geschehen.

Die Investoren sind besorgt über den Zustand der Banken, werden vorsichtig, verkaufen ihre Bankaktien. Nach dem Motto: Man weiß ja nicht, was noch alles kommt, besser auf Nummer sicher gehen. Die Kurse der Bankaktien verfallen, die Finanzierungskosten der Banken steigen. Das wiederum verteuert die Eigenkapitalkosten der Banken, die Kreditinstitute werden zurückhaltender bei der Kreditvergabe. Versiegt der Zustrom von neuem Kredit in der Volkswirtschaft, geht früher oder später auch die Konjunktur in die Knie.


Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"