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Warum wir uns nicht so ohne Weiteres auf unsere Erfahrung verlassen können

28.05.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Wenn wird zum Ergebnis kommen, dass der handelnde Mensch lernfähig ist, dann folgt daraus, dass er seine künftigen Wissensstände heute noch nicht kennen kann; und folglich kann er auch seine Handlungen nicht schon heute kennen, die er/sie aufgrund künftiger Wissensstände durchführen wird. Was bleibt da, um Erkenntnisse über das menschliche Handeln zu gewinnen?

Die Antwort lautet: die Logik. Genauer: die Logik des menschlichen Handelns. Wir wissen mit Gewissheit, dass der Satz "Der Mensch handelt" wahr ist – dass er a priori gilt. Wenn du sagst "Nein, der Mensch handelt nicht", so ist das eine Handlung, und das widerspricht dem Gesagten. Ausgehend von dem apriorisch wahren Satz "Der Mensch handelt", lassen sich weitere wahre (apriorisch gültige) Sätze ableiten.

Beispielsweise dass menschliches Handeln stets zielbezogen ist (was auch immer die Ziele sein mögen); dass der Mensch Mittel einsetzen muss, um seine Ziele zu erreichen; dass Handeln Zeit erfordert, es gibt kein Handeln ohne Einsatz von Zeit; dass die Zeitpräferenz und seine Manifestation, der Urzins, stets positiv sind, nicht verschwinden, nicht negativ werden können.

Diese und weitere apriorische Aussagen sind – so würde es der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) sagen – Kategorien, das heißt Grundformen des Denkens. Damit sind die Eigenschaften gemeint, die wir als Menschen den Gegenständen, die wir erfahren, quasi aufdrücken. Anders gesagt: Erfahrungen, die den Kategorien unseres Denkens widersprechen, sind für uns unsinnig, widersprüchlich.

Und damit gibt uns die Logik des menschlichen Handelns einen Maßstab an die Hand, mit dem wir beispielsweise ökonomische Theorien als richtig oder fehlerhaft einsehen können (soweit wir selbst keine Anwendungsfehler dabei begehen, wohlgemerkt). Wir können beispielsweise mit handlungslogischen Mitteln wissen (ohne dass wir dazu Tests durchführen müssten), dass die Vermehrung der Geldmenge die Kaufkraft der Geldeinheit absenkt – im Vergleich zur Situation, in der die Geldmenge nicht vermehrt wird.

Oder: Das Ansteigen des Angebots führt bei unveränderter Nachfrage zu einem Preisrückgang des betreffenden Gutes. Oder: Der Urzins, den wir als handelnde Menschen quasi in uns tragen, kann nicht null oder negativ werden. Oder: Eine freiwillige Transaktion im freien Markt ist für die daran Beteiligten nutzenstiftend. Diese (und andere) Aussagen lassen sich als wahr durch handlungslogisches Denken einsehen. Man muss keine Tests dazu durchführen.

Wie steht es mit dem Prognostizieren im Bereich des menschlichen Handelns? Natürlich lässt sich nicht vorhersehen, wie Menschen künftig handeln. Die Handlungslogik erlaubt jedoch, die qualitativen (nicht die quantitativen) Konsequenzen menschlicher Handlungen, die unter bestimmten Bedingungen erfolgen, mit Gewissheit zu erfassen. Aber ein Prognostizieren in dem Sinne, dass das Bruttoinlandsprodukt in 2024 um 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr fällt, ist mit der Handlungslogik nicht möglich beziehungsweise lässt sich nicht begründen. Denn das übersteigt sprichwörtlich den Bereich der Wissenschaftlichkeit, den die Logik des menschlichen Handelns absteckt.

Will man im Bereich des menschlichen Handelns prognostizieren, muss man auf eine andere Methode zurückgreifen, und zwar die Methode des Verstehens.

Ludwig von Mises schreibt dazu: "Die verstehenden Wissenschaften bedienen sich aller geistigen Hilfsmittel, die ihnen die apriorischen Wissenschaften Logik, Mathematik und Praxeologie [gemeint ist damit: die Logik des menschlichen Handelns, A. d. V.] und die empirischen Naturwissenschaften zur Verfügung stellen, und darüber hinaus ihrer spezifischen Methode: des Verstehens. Dabei muss darauf geachtet werden, dass das Verstehen nirgends in Widerspruch mit dem gerate, was durch apriorische Untersuchung und durch naturwissenschaftliche Erfahrung festgestellt wurde."¹

Mit der Methode des Verstehens verfügen wir gewissermaßen über einen Prüfstein: All das, was gegen die apriorischen Erkenntnisse verstößt, kann nicht als wahr gedacht werden; und alles was gegen die empirischen Erkenntnisse verstößt, steht unter Erklärungszwang, kann nicht ungesehen als wahr akzeptiert werden. In einer Zeit, in der das Erfahrungswissen besonders hochgehalten wird, ist das eine sehr wichtige Erkenntnis für alle, die sich gerade in der heutigen Welt, in der so viel Verwirrung bei den Menschen anzutreffen ist, besser zurechtfinden wollen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



¹ Mises (1940), Nationalökonomie, S. 54.


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