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Julien Chevalier: Eurozone - Rezession und trübe Wirtschaftsaussichten

08.07.2023
Im Gegensatz zu den Vorhersagen vieler Ökonomen hat in der Eurozone schließlich eine Rezession eingesetzt. Der Anstieg der Zinsen und die Inflation belasten die Finanzen der privaten Haushalte. Der Konsum bricht ein. Die Nachfrage nach neuen Krediten ist stark rückläufig, insbesondere in Frankreich. Der Wirtschaftszyklus nähert sich seinem Ende. Wie schon so oft, wird wohl auch diese Phase des schwachen Wachstums mehrere Jahre lang andauern.

Gemäß den revidierten Daten von Eurostat ist die Wirtschaft in der Eurozone im letzten Quartal 2022 um 0,1% geschrumpft, und ebenso im ersten Quartal 2023. Nach Definition der internationalen Institutionen handelt es sich folglich um eine Rezession: einen Rückgang des BIP in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Der wirtschaftliche Abschwung beruht in erster Linie auf den schlechten Zahlen aus Deutschland. Im Laufe der letzten beiden Quartale hat Deutschland einen Rückgang des BIP um 0,8% verbucht. Die Inflationsrate war im letzten Jahr auf über 10% gestiegen und liegt auch aktuell noch bei mehr als 6%.


Deutschland schadet Europa

Während der Glanzzeit der Globalisierung, als Energie nicht teuer und importierte Produkte billig waren, hatte das deutsche Wettbewerbsmodell großen Erfolg. Doch wenn sich die Weltwirtschaft abkühlt und neu strukturiert, und wenn geopolitische Spannungen die mächtigsten Staaten der Welt direkt oder indirekt erfassen, treten die Schwachstellen des deutschen Modells wieder zutage. Das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg ist endgültig vorüber. Seit der Gesundheitskrise bekommt die Regierung von Olaf Scholz die Folgen der historischen Abhängigkeit des Landes von ausländischen Märkten, und insbesondere von Russland und China, deutlich zu spüren.

Die deutsche Wirtschaft ist sehr stark industriell geprägt (die Industrie steuert mehr als 20% zur Wertschöpfung bei) und besonders internationalisiert (die Exporte entsprechen 44% des BIP). Angesichts der steigenden Energiepreise auf der einen und dem konjunkturellen Abschwung auf der anderen Seite strauchelt die Industrie nun.

Im Laufe der letzten drei Jahre mussten viele Werke ihre Pforten schließen und zahlreiche Unternehmen meldeten Insolvenz an. Die von den USA initiierte Flut an staatlichen Subventionen beschleunigte anschließend die Standortverlagerungen. Zudem macht die Entwicklung des chinesischen Automarktes, vor allem auf dem Gebiet E-Autos, den deutschen Automobilherstellern Konkurrenz – der Achillesferse der deutschen Industrie. China exportiert mittlerweile mehr Autos als Deutschland und die zunehmende Aneignung von Produktionskapazitäten für kritische Rohstoffe durch das Reich der Mitte könnte den Abstand weiter vergrößern.

Diese Schwächung hat nicht nur nationale Folgen. Wenn der Motor Europas eine Panne hat, leiden alle europäischen Staaten darunter.

Nicht nur, weil die Wirtschaftsaktivität Deutschlands die anderer EU-Länder beeinflusst, sondern auch, weil das Land den anderen europäischen Staaten seit mehreren Jahrzehnten sein Modell aufdrückt – sowohl in der Wirtschaft durch das Propagieren von Haushaltsdisziplin und eines auf Export ausgerichteten Modells als auch mit Blick auf die Energie-, Auslands-, Migrationspolitik etc. Der deutsche Standpunkt dominierte in allen europäischen Entscheidungen. Und die überwältigende Mehrheit der europäischen Staaten litt unter den Folgen dieser Einstellung, die von den großen Gewinnern Europas, den wenigen Ländern des europäischen Nordens, geteilt wird.


Die EZB setzt ihre geldpolitische Straffung fort

Die Wirtschaft Europas kühlt sich unter dem Einfluss der Geldpolitik der EZB ab. Seit mittlerweile fast einem Jahr hebt die Frankfurter Institution ihre Zinsen in dem Versuch an, der historisch erhöhten Inflation ein Ende zu setzen. Da Letztere im Wesentlichen geldpolitisch bedingt ist und mit der konstanten Erhöhung der Geldmenge 2020 und 2021 in Zusammenhang steht, während die Produktion infolge der Gesundheitskrise zum Erliegen kam, zeigt diese Strategie Wirkung. Nach einem Hoch von 10,6% im letzten Oktober ging die Inflationsrate schrittweise zurück und liegt heute bei etwa 6%.

Das Ziel von 2%, das als zentrales Ziel im Mandat der Europäischen Zentralbank festgeschrieben wurde, ist allerdings noch fern. Und die Lieferkettenprobleme (insbesondere durch die langanhaltenden Beschränkungen in China), die Spekulation an den Finanzmärkten, der Krieg in der Ukraine, der die europäische Wirtschaft belastet, sowie die Gewinnmargen der Unternehmen stellen die Zentralbank vor neue Herausforderungen.

Während sich die Eurozone also in einer Rezession befindet, hat die EZB ihre Zinsen kürzlich erneut um 0,25% erhöht, wodurch der Refinanzierungssatz auf 4% steigt, ein Rekordniveau. Sie hat für die kommenden Monate sogar weitere Anhebungen angekündigt, im Gegensatz zur US-Notenbank Fed, die es sich erlaubt, den Leitzins unverändert zu lassen. Die EZB ist gezwungen, mit der geldpolitischen Straffung fortzufahren, um die fest verwurzelte Inflation zu bekämpfen und den Euro zu stützen, der gegenüber dem Dollar noch immer sehr schwach ist und somit eine Quelle importierter Inflation darstellt.


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