Inflationärer Boom. Oder deflationärer Bust? Warum die Aktienmärkte immer neue Höhen erklimmen
07:00 Uhr | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Aktienbörsen eilen von einem Rekordhoch zum anderen. Der S&P 500 hat in den letzten zwölf Monaten 32 Prozent zugelegt, der DAX 21 Prozent, der japanische NIKKEI 225 17,4 Prozent. Und sie alle befinden sich auf oder nahe ihren Höchstständen. Was treibt die Kurssteigerungen auf den großen Börsenplätzen an? Wie immer kann man nur darüber spekulieren.
Vermutlich haben die Börsianer Hoffnung geschöpft angesichts der neuen Amtszeit von Donald J. Trump, der am 20. Januar 2025 die US-Präsidentschaft übernehmen soll, und den damit zu erwarteten wirtschaftspolitischen Veränderungen, die nicht nur in den USA, sondern vermutlich auch weltweit zu spüren sein werden. Man erhofft sich wieder mehr Wachstum und mehr Beschäftigung, und das ist zweifellos gut für Unternehmensgewinne und Aktienkurse. Hinzu kommt die Erwartung, dass sich der Zinssenkungszyklus in vielen Volkswirtschaften der Welt fortsetzt. Zwar sind die Gründe für die bisher erfolgten Zinssenkungen in den
Währungsräumen mitunter recht unterschiedlich. Insgesamt gesehen führen sie jedoch zu einer Absenkung der weltweiten Kredit- und damit Kapitalkosten. Genau das ist für die Aktienkurse erfahrungsgemäß förderlich: Fallen die Zinskosten, steigen nicht nur die Unternehmensgewinne, sondern auch der Diskontierungszins nimmt ab, mit dem künftige Gewinne auf die Gegenwart abgezinst werden. Die dadurch erhöhten Barwerte rechtfertigen höhere Aktienkurse.
Mit einem Rückgang der Marktzinsen geht zudem auch meist eine Erhöhung der Bewertungsniveaus einher (siehe nebenstehende Box). Und nicht zuletzt folgt der Politik der abgesenkten Zinsen ein verstärktes Wachstum der Kredit- und Geldmenge. Letzteres wird zwar häufig ebenfalls als positiv für die Konjunktur und die Börsen gefeiert, aber - und das sollte hier nicht übersehen werden - es handelt sich dabei um nichts anderes als ein Wiederanheizen der Inflation.
Der beobachtbare Rückfall in die Politik des wieder billigeren Geldes ist kein Zufall. Er ist vielmehr die zwanghafte Folge des Fiatgeldsystems: eines Geldsystems, in dem per Bankkredit neues (Fiat-)Geld erzeugt wird. Das Fiatgeldsystem sorgt anfänglich für einen künstlichen Konjunkturaufschwung ("Boom"), der nachfolgend in einen Abschwung („Bust“) umschlägt. Um den politisch ungewünschten Bust zu verhindern, senkt die Zentralbank die Zinsen nach und nach immer weiter ab, so dass der Notenbankzins und mit ihm auch die Marktzinsen über die Zeit hinweg gesehen immer weiter absinken.
Die Zentralbanken reduzieren die Zinsen meist schon dann, wenn ein Bust sich abzeichnet. Und ist der Bust auf diese Weise abgewehrt, ist ein neuer Boom in Gang gesetzt, erhöht die Zentralbank die Zinsen zwar wieder, sie führt die Zinsen aber nicht auf das Niveau zurück, das vor Ausbruch des Bust zu beobachten war. Und darum zeigen die Zinsen (bislang, seit den frühen 1980er Jahren insbesondere) einen fallenden Trend, und zwar über das Auf und Ab der Konjunktur hinweg.
Doch das Fiatgeldsystem ist krisenträchtig. Denn es erfordert eine fortwährende Kredit- und Geldmengenexpansion.
Würden Banken beispielsweise plötzlich nicht mehr bereit sein, neue Kredite zu vergeben, oder würden sie gar ihre Kunden auffordern, fällige Kredite zurückzuzahlen, kippt das inflationäre Fiatgeldsystem in eine Deflation-Depression ab - also in eine Phase fallender Güterpreise, schrumpfender Wirtschaftsleistung, um sich greifender Kreditausfälle. Denn im Fiatgeldsystem ist es so, dass eine Tilgung von Bankkrediten die Fiatgeldmenge sprichwörtlich schrumpfen lässt: Die Geschäftsbankenbilanz nimmt auf der Aktiv- wie auch auf der Passivseite in Höhe der Tilgungsleistung ab. Die Zinszahlungen der Kunden an die Bank reduzieren ebenfalls die Geldmenge (erhöhen dabei die Bankgewinne und damit das Bankeigenkapital).
Die konjunkturell belebende Funktion der inflationären Ausweitung der Kredit- und Geldmengen beruht darauf, dass sie eine großangelegte Täuschung hervorruft; für viele Marktakteure ist die Wirkung der Kredit- und Geldmengenausweitung unerwartet. So belebt eine Geldmengenausweitung beispielsweise einzelne Industrien (wie IT-Branche, Bauwirtschaft etc.), sorgt dort für einen Aufschwung. Arbeitsnachfrage und Löhnen nehmen hier zu, die Firmengewinne steigen, und es wird noch stärker investiert.
Doch plötzlich bemerken die Unternehmer, dass ihre Erwartungen sich nicht bewahrheiten: Die Nachfrage nach ihren Gütern fällt unerwartet gering aus - weil sich die Kaufkraft in anderen Wirtschaftssektoren nicht in gleicher Weise erhöht hat, die Menschen also die neuen Waren gar nicht nachfragen können. Der "Boom" entpuppt sich als vorübergehendes Ereignis, und die Folgen sind Liquidierungen von Investitionen, Firmenpleiten und Arbeitsplatzverluste.
Dabei kommt es üblicherweise auch zu Kreditausfällen: Verschuldete Konsumenten und Produzenten können ihre Zins- und Tilgungsleistungen nicht mehr vollumfänglich leisten. Die Zahlungsausfälle müssen die Banken auffangen. Kreditverluste gehen zu Lasten ihrer Rückstellung beziehungsweise ihres Eigenkapitals.
Werden die Kreditausfälle zu hoch, wird es brenzlig: Reichen die Rückstellungen nicht aus, die Verluste zu tragen, wird die ohnehin dünne Eigenkapitaldecke der Banken angegriffen. Das wiederum senkt die Bereitschaft und Fähigkeit der Banken, neue Kredite zu vergeben. Und verspannt sich daraufhin die Lage im Kreditmarkt, verschlechtert sich die Erhältlichkeit von Kredit, und die Darlehenskosten steigen. Das wiederum setzt Kreditnehmer unter Druck, verschlechtert ihre Kreditposition. Mitunter kommt es zur "Kreditklemme", der Kreditmarkt kann sprichwörtlich einfrieren.
Das ist der Moment, in dem das Fiatgeldsystem quasi in einen Selbstzerstörungsmodus schaltet: Um sich greifende Kreditausfälle ruinieren die Bankbilanzen, steigende Kreditkosten führen zu einem Verfall der Vermögenspreise und mit ihnen verfällt der nominale Wert der Kreditsicherheiten, Firmen fahren ihre Produktion und ihre Beschäftigung zurück, die Arbeitslosigkeit steigt, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bricht ein. Das Fiatgeldsystem, auf sich selbst gestellt, verfällt in eine Deflation-Depression.
Vermutlich haben die Börsianer Hoffnung geschöpft angesichts der neuen Amtszeit von Donald J. Trump, der am 20. Januar 2025 die US-Präsidentschaft übernehmen soll, und den damit zu erwarteten wirtschaftspolitischen Veränderungen, die nicht nur in den USA, sondern vermutlich auch weltweit zu spüren sein werden. Man erhofft sich wieder mehr Wachstum und mehr Beschäftigung, und das ist zweifellos gut für Unternehmensgewinne und Aktienkurse. Hinzu kommt die Erwartung, dass sich der Zinssenkungszyklus in vielen Volkswirtschaften der Welt fortsetzt. Zwar sind die Gründe für die bisher erfolgten Zinssenkungen in den
Währungsräumen mitunter recht unterschiedlich. Insgesamt gesehen führen sie jedoch zu einer Absenkung der weltweiten Kredit- und damit Kapitalkosten. Genau das ist für die Aktienkurse erfahrungsgemäß förderlich: Fallen die Zinskosten, steigen nicht nur die Unternehmensgewinne, sondern auch der Diskontierungszins nimmt ab, mit dem künftige Gewinne auf die Gegenwart abgezinst werden. Die dadurch erhöhten Barwerte rechtfertigen höhere Aktienkurse.
Mit einem Rückgang der Marktzinsen geht zudem auch meist eine Erhöhung der Bewertungsniveaus einher (siehe nebenstehende Box). Und nicht zuletzt folgt der Politik der abgesenkten Zinsen ein verstärktes Wachstum der Kredit- und Geldmenge. Letzteres wird zwar häufig ebenfalls als positiv für die Konjunktur und die Börsen gefeiert, aber - und das sollte hier nicht übersehen werden - es handelt sich dabei um nichts anderes als ein Wiederanheizen der Inflation.
Der beobachtbare Rückfall in die Politik des wieder billigeren Geldes ist kein Zufall. Er ist vielmehr die zwanghafte Folge des Fiatgeldsystems: eines Geldsystems, in dem per Bankkredit neues (Fiat-)Geld erzeugt wird. Das Fiatgeldsystem sorgt anfänglich für einen künstlichen Konjunkturaufschwung ("Boom"), der nachfolgend in einen Abschwung („Bust“) umschlägt. Um den politisch ungewünschten Bust zu verhindern, senkt die Zentralbank die Zinsen nach und nach immer weiter ab, so dass der Notenbankzins und mit ihm auch die Marktzinsen über die Zeit hinweg gesehen immer weiter absinken.
Die Zentralbanken reduzieren die Zinsen meist schon dann, wenn ein Bust sich abzeichnet. Und ist der Bust auf diese Weise abgewehrt, ist ein neuer Boom in Gang gesetzt, erhöht die Zentralbank die Zinsen zwar wieder, sie führt die Zinsen aber nicht auf das Niveau zurück, das vor Ausbruch des Bust zu beobachten war. Und darum zeigen die Zinsen (bislang, seit den frühen 1980er Jahren insbesondere) einen fallenden Trend, und zwar über das Auf und Ab der Konjunktur hinweg.
Doch das Fiatgeldsystem ist krisenträchtig. Denn es erfordert eine fortwährende Kredit- und Geldmengenexpansion.
Würden Banken beispielsweise plötzlich nicht mehr bereit sein, neue Kredite zu vergeben, oder würden sie gar ihre Kunden auffordern, fällige Kredite zurückzuzahlen, kippt das inflationäre Fiatgeldsystem in eine Deflation-Depression ab - also in eine Phase fallender Güterpreise, schrumpfender Wirtschaftsleistung, um sich greifender Kreditausfälle. Denn im Fiatgeldsystem ist es so, dass eine Tilgung von Bankkrediten die Fiatgeldmenge sprichwörtlich schrumpfen lässt: Die Geschäftsbankenbilanz nimmt auf der Aktiv- wie auch auf der Passivseite in Höhe der Tilgungsleistung ab. Die Zinszahlungen der Kunden an die Bank reduzieren ebenfalls die Geldmenge (erhöhen dabei die Bankgewinne und damit das Bankeigenkapital).
Die konjunkturell belebende Funktion der inflationären Ausweitung der Kredit- und Geldmengen beruht darauf, dass sie eine großangelegte Täuschung hervorruft; für viele Marktakteure ist die Wirkung der Kredit- und Geldmengenausweitung unerwartet. So belebt eine Geldmengenausweitung beispielsweise einzelne Industrien (wie IT-Branche, Bauwirtschaft etc.), sorgt dort für einen Aufschwung. Arbeitsnachfrage und Löhnen nehmen hier zu, die Firmengewinne steigen, und es wird noch stärker investiert.
Doch plötzlich bemerken die Unternehmer, dass ihre Erwartungen sich nicht bewahrheiten: Die Nachfrage nach ihren Gütern fällt unerwartet gering aus - weil sich die Kaufkraft in anderen Wirtschaftssektoren nicht in gleicher Weise erhöht hat, die Menschen also die neuen Waren gar nicht nachfragen können. Der "Boom" entpuppt sich als vorübergehendes Ereignis, und die Folgen sind Liquidierungen von Investitionen, Firmenpleiten und Arbeitsplatzverluste.
Dabei kommt es üblicherweise auch zu Kreditausfällen: Verschuldete Konsumenten und Produzenten können ihre Zins- und Tilgungsleistungen nicht mehr vollumfänglich leisten. Die Zahlungsausfälle müssen die Banken auffangen. Kreditverluste gehen zu Lasten ihrer Rückstellung beziehungsweise ihres Eigenkapitals.
Werden die Kreditausfälle zu hoch, wird es brenzlig: Reichen die Rückstellungen nicht aus, die Verluste zu tragen, wird die ohnehin dünne Eigenkapitaldecke der Banken angegriffen. Das wiederum senkt die Bereitschaft und Fähigkeit der Banken, neue Kredite zu vergeben. Und verspannt sich daraufhin die Lage im Kreditmarkt, verschlechtert sich die Erhältlichkeit von Kredit, und die Darlehenskosten steigen. Das wiederum setzt Kreditnehmer unter Druck, verschlechtert ihre Kreditposition. Mitunter kommt es zur "Kreditklemme", der Kreditmarkt kann sprichwörtlich einfrieren.
Das ist der Moment, in dem das Fiatgeldsystem quasi in einen Selbstzerstörungsmodus schaltet: Um sich greifende Kreditausfälle ruinieren die Bankbilanzen, steigende Kreditkosten führen zu einem Verfall der Vermögenspreise und mit ihnen verfällt der nominale Wert der Kreditsicherheiten, Firmen fahren ihre Produktion und ihre Beschäftigung zurück, die Arbeitslosigkeit steigt, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bricht ein. Das Fiatgeldsystem, auf sich selbst gestellt, verfällt in eine Deflation-Depression.