Vorschau auf 2005: wie kann man die Welt reparieren
18.01.2005 | Matthias Lorch
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Europas- und Asiens MedizinDamit ich nicht beschuldigt werden kann, nur einen Plan für die Vereinigten Staaten vorzulegen, ist es eben so wichtig klarzustellen, dass die Medizin für Amerika nur ein Teil der Lösung darstellt. In mancherlei Hinsicht ist dieses Rezept das Spiegelverkehrte für den Rest der Welt.
Denn die Folge des Überkonsums in den USA ist der Unterkonsum in allen anderen Staaten. Das Konsumwachstum im Zeitraum von 1996 bis 2004 war in den USA im Durchschnitt 3,9%, und damit nahezu das doppelte der 2,1% aller anderen entwickelten Ländern.
Das Resultat davon ist der starke Kontrast, zwischen fehlendem Sparaufkommen in den US und exzessivem Sparen überall sonst in der Welt. Die durchschnittliche Bruttosparquote in der Periode von 1996 bis 2004 lag bei 16%, weit weniger, wie die 23% in allen anderen entwickelten Ländern. Diese Unterschiede unterstreichen die Schlüsselherausforderung Europas and Asiens - die Notwendigkeit des Abbaus des Exzesssparens sowie die Stimulation der inländischen Nachfrage, hauptsächlich jedoch des privaten Konsums.
Selbstverständlich ist das einfacher gesagt wie getan, aber es sind ein paar augenfällige und wichtige Schritte, die man tun kann. Produktivität sollte das Wichtigste für Europa sein. Das Mindeste diesbezüglich sollte eine Kombination von aggressiver Restrukturierung der Firmen, verbesserter Flexibilisierung des Arbeitmarktes und ein weiterer Schritt in die Richtung des IT- fähigen Investments sein.
Eric Chaney merkt an, es gäbe gute Gründe vorsichtig optimistisch zu sein, dass diese Möglichkeit besteht. Sollte es der europäische Wirtschaft möglich sein, diese Strategie anzugehen, wird das Ergebnis verstärkte Konkurrenzfähigkeit und die Schaffung neuer Jobs sein.
Das ist keinesfalls eine sichere Sache, speziell für Deutschland, das immer mehr zum Außenseiter in Europa wird, womit die Vorgabe, alles passt jedem immer mehr in Frage gestellt werden muss. Aber wenn sich in der Schaffung neuer Arbeitsplätze etwas bewegt und dadurch die folgende Erhöhung der Arbeitseinkommen ausgelöst würde, könnte es den europäischen Konsumenten nach und nach zu neuen Leben erwecken. Wenn der Dollar weiterfällt und der Euro im Gegenzug stärker wird, wird das vom Export getriebene Wachstum Europas zunehmend unter Druck kommen. Unter diesen Umständen wird die Reform zur Stärkung des europäischen Konsumenten um so wichtiger.
Asien benötigt einen ähnlichen Wechsel vom Export getriebenen Wachstum zu Konsum getriebenen Wachstum. Der asiatische Konsument ist schon seit längerem abhanden gekommen. Export und Investitionsgetriebenes Wachstum war der Eckpfeiler der Entwicklungsstrategie in Asien. Ich glaube allerdings, dass diese Strategie nunmehr überholt ist und es eher hilft die Ungleichgewichte fortzusetzen.
Der Beweggrund der Regierenden war, die Währungen nicht steigen zu lassen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu riskieren. Der zentrale Punkt dabei ist, das Recycling der massiven ausländischen Reserven in Dollar gehandelter Schuldpapiere. Diese Kapitalflüsse versorgen nicht nur das Kontodefizit, sondern subventionieren außerdem die US-Zinsen, die Spekulation im Anlagenbereich, den Wohlstandseffekt und hauptsächlich den persönlichen Konsum.
Asien verlängert unbeabsichtigt das exzessive Konsumieren des US-Konsumenten und all der daraus resultieren Ungleichgewichte. Als Konsequenz daraus sollte Asien im eigenen Interesse und im Interesse der ganzen Welt, zu einem ausgeglichenem Wachstumsmodell finden. Ein flexibleres Währungsmodell würde dieses unterstützen, es würde Asien nicht nur zwingen den Export getriebenen Wachstumspfad zu verlassen, es würde auch den Druck einer weiteren Dollarabwertung von Europa nehmen. Hauptsächlich Japan und China müssen die Beendigung der Dollarbindung oder Quasibindung der Währungen angehen. Je länger dieses verschoben wird, um so größer werden die Risiken, dass der Druck aus den Defiziten in die politische Arena getragen wird und zu Handelsproblemen bzw. Beschränkungen und zu möglichen Schutzmechanismen führt.
Dieses wäre das letzte, was irgend ein Land gebrauchen könnte, aber am allerwenigsten China. Je länger China die Währung an den Dollar anbindet, desto stärker wird es herausragen aus der Gemeinschaft der anderen Währungen, die langsam eine Änderung der Ungleichgewichte in Angriff nehmen. Außerdem muss China sich in Bewegung setzen bezüglich der sozialen Sicherheit, der Gesundheitskosten und der Umschulungsregeln. Nämlich nur dann können die chinesischen Beschäftigten eine stärkere Einkommenssicherheit erfahren und dieses ist bitter nötig unter dem vorherrschenden Klima der anhaltenden Vernichtung von Arbeitsplätzen in den staatseigenen Betrieben. Genau dieses ist von Nöten, um die langsam erscheinende Kultur des chinesischen Konsumenten auf stärkere Beine zu stellen.
Eine neue Architektur für politische Koordination
Eine immer mehr miteinander verknüpfte Weltwirtschaft hat Probleme, die die Summe der eigenen Teile überschreitet. Zum Anfang brauchen wir eine Agenda, die eine nationale und regionale Koordination verlangt.
Die Welt vermisst diese Einstellung der Zusammenarbeit unter der falschen Prämisse, dass die beste Politik eine lose Ansammlung nationaler Interessen sei.
Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein. Das Fließen des globalisierten Handels, des Kapitals und der Informationen braucht eine integrierte Architektur. Das Fehlen dieser ist ein ernstes Vernachlässigen in der Zurückführung der Balancen. Dieses kann man zu gut sehen in dem, was ich das "weltweite Beschuldigungs-Spiel" nenne, nämlich das Beschuldigen der anderen für die eigenen Probleme.
Amerika bleibt dabei, die anderen für fehlendes Wachstum zu beschuldigen. China beschuldigt die USA massiv für das fehlende Sparaufkommen. Japan droht mit Eingriffen in den Devisenhandel und die politisch Verantwortlichen in Europa sind schnell dabei, die Änderungen im Währungsgefüge als unnötig brutal zu betiteln. Solches Suchen von Sündenböcken kann sich verselbstständigen und in einem Ausbruch von Handelbeschränkungen und Schutzmechanismen enden, das dann jede Hoffnung für ein erfolgreiches Justieren der Weltwirtschaft zerstören würde.
Die zerstörerische Tendenz dieses "weltweite Beschuldigungs-Spiels" lässt annehmen dass eine Inangriffnahme der neuen Architektur für politische Koordination längst überfällig ist. Ob es die G-7 die G-8 oder die G-20 sind, die Nationen müssen zusammenkommen um kollektiv einen robusten Rahmen für die gemeinsamen Ziele und Verantwortungen zu erarbeiten.
Ich würde mit einer Neuordnung der G-7, die lange das Herz der politischen Konsultation über wirtschaftliche Schlüsselfragen war, beginnen. Diese Körperschaft ist eine Kreatur aus einer anderen Ära. China nicht einzubeziehen ist lächerlich. Gleich absurd ist es, dem nun vereinigten Europa drei Stimmen zu geben Deutschland, Frankreich und Italien und eine vierte Stimme Großbritannien anzubieten.
Mit einer Entschuldigung an meine kanadischen Freunde und einem Nicken zu den Briten, bin ich so frech und würde einen Wechsel der G-7 zu einer neuen G-5 vorschlagen, nämlich aus den USA, Euroland, Japan, Großbritannien und China. Dies sollte eine permanent existierende und gut ausgestatte Organisation sein und keine, die nur zu bestimmten Gipfeln zusammenkommt.
Als solche braucht sie einen gut definierten Gesellschaftsvertrag, der darauf abzielt, mit allen globalen Ungleichheiten von Währungsdifferenzen aus der Balance gekommen Zahlungsströmen bis zu den Auswirkungen von Handelspolitik und Strukturreformen zurechtzukommen. Formale Treffen sollten mindestens zweimal jährlich mit der direkten Konsultation der permanenten Mitglieder der neuen G-5 und den Finanzministern sowie deren Zentralbankern gehalten werden. Die permanenten Mitglieder sollten auch dazu verpflichtet werden, zweimal jährlich einen Report über den Stand der globalen Balance zu verfassen, der dann wiederum als Agenda für die Gipfeltreffen wichtig sein würde.
Solch eine Organisation würde wichtige Auswirkungen auf andere, für die globale Balance verantwortlichen Institutionen haben, nämlich auf die Weltbank und den IMF. Meiner Ansicht nach ist die Zeit reif über ein ernstes Nachdenken über das Zusammenführen dieser beiden Organisationen. Die in diesen Organisationen größtenteils reagierende Struktur macht alles noch schlimmer. Ein ernster Umbau steht an.
Am Ende sollte dieser Vorschlag als Wunschliste gesehen werden, um die Hauptquellen der Spannungen der aus der Balance geratenen Weltwirtschaft zu mildern.
Vielleicht bin ich naiv anzunehmen, dass die Hauptverantwortlichen die Logik des Moments erkennen. Vielleicht wird die Welt, wie Robert Feldman meint, sich nur im Anblick einer Krise bewegen. So komplex und herausfordernd diese Aufgabe auch ist, meine Absicht ist eine einfache Botschaft zu unterbreiten. Die globale Rückführung zur Balance ist ein ständig dringlich werdender Imperativ für eine so aus dem Gleichgewicht geratene Weltwirtschaft.
Die USA muss wieder herausfinden, wie man spart und der Rest der Welt muss wieder beginnen zu konsumieren. Finanzkapital muss dahin fließen, wo die höchsten Renditen sind, nicht in die Richtung von subventionierten Währungen um die Exportkonkurrenz zu erhalten oder in die Spekulation. Die Welt muss zusammenkommen, um neue Rahmenbedingungen zu schaffen, nämlich die des miteinander sprechens, um dadurch die Verbesserung in Schlüsselfragen zu erhalten. Globalisierung ist viel zu wichtig um es den egoistischen Interessen der einzelnen Staaten zu überlassen. Die aus dem Gleichgewicht gekommene Weltwirtschaft sendet einen Weckruf aus, der nicht ignoriert werden kann.
© Stephen Roach, Chef-Ökonom von Morgan-Stanley
aus "Morgan Stanley Global Economic Forum"
ins deutsche übersetzt von Matthias Lorch