Finanzkrise lotet Grenzen der Geldpolitik aus
16.07.2008 | Klaus Singer
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Apropos "teuer": Die Ratingagentur S&P schätzt die Kosten des Plans zur Rettung von Fannie Mae und Freddie Mac auf 420 Mrd. bis 1,1 Bill. Dollar. Die beiden "halb-staatlichen" Hypotheken-Giganten besitzen oder garantieren 5,3 Bill. Dollar an meist erstklassischen Hypotheken. Die "Savings and Loan"-Krise der 1980er Jahre hatte den Steuerzahler lediglich 250 Mrd. (heutige) Dollar gekostet.Nouriel Roubini wiederholt aktuell seine schon im März formulierten Warnungen: Dies sei mit Verlusten zwischen einer bis eher zwei Bill. Dollar die schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression. Hunderte von Banken werden bankrott machen. Auch einige Großbanken seien "semi-insolvent". Sie seien zwar zu groß, um pleite zu gehen, aber ihre Rettung mit dem Geld des Einlagensicherungsfonds werde extrem teuer. Der wiederum werde letztlich nicht genug Mittel haben und müsse vom Staat rekapitalisiert werden. Den kürzlich durchgepeitschten Rettungsplan für Fannie und Freddie bezeichnet er als "moral hazard" in Reinkultur - Sozialismus für die Reichen auf Kosten der Steuerzahler.
Die aus der Finanzkrise folgende, schwere Rezession werde 12 bis 18 Monate dauern, schreibt er. Während im Rahmen einer normalen Rezession die Aktienkurse um durchschnittlich 28 Prozent zurückgehen, seien nun Verluste von rund 40 Prozent zu erwarten.
In diesem Szenario sei Inflation eines der geringsten Probleme, schreibt Roubini. Entlastung bringe schon ein von ihm erwarteter Fall der Rohstoffpreise um 20 bis 30 Prozent. Die entstehenden Überangebote auf den Gütermärkten drückten auf die Verbraucherpreise, steigende Arbeitslosigkeit drückt Löhne und Massenkaufkraft, was den Unternehmen weitere Preismacht nimmt - Lohn-Preis-Spirale in die andere Richtung eben.
Martin Feldstein weist auf einen weiteren Punkt hin, der ökonomische, vor allem aber politische Dimensionen hat: "Die wichtigere Frage ist im Moment, ob die Zwangshochzeit von Bear Stearns, die Fannie-Freddie-Rettung und der IndyMac-Kollaps nicht Vorboten einer viel weiter gehenden Nationalisierung eines insolventen US-Finanz-Systems sind. Wenn das passiert, muss man sich ein wenig sorgen über die Kreditwürdigkeit der US-Regierung - und wenn ausländische Investoren wirklich anfangen, sich darüber Gedanken zu machen, dann könnten sich Dollar-Verfall und Finanzkrisen-Angst, die wir bis jetzt sahen, als kleines Vorspiel erweisen. Das ist noch nicht vom Tisch, Leute!“
Die geschilderten Faktoren im Finanzbereich treten Teufelskreise in der Realwirtschaft los, die sich dem einfachen Zugriff mit den Mitteln der Geldpolitik auch einer sehr großen Notenbank, entziehen. Gleiches gilt für die Gefahr eines Dollar-Kollapses und seine politische Dimension. Und wie immer in Situationen, wo der Einflussbereich der Geldpolitik verlassen wird, wird es aus Sicht der Finanzakteure unsicher und brisant. Erst recht dann, wenn, wie in der aktuellen Krise, die Geldpolitik selbst auf dem Prüfstand steht.
Die Finanzmärkte spiegeln diese Unsicherheit und Brisanz eindrucksvoll wider. Euro/Dollar attackiert die zuletzt markierten Hochs bei 1,60; die Yen-"Carry-Trade-Indikatoren" geben zusammen mit den Aktienkursen nach, vielfach werden in den Indices die Jahrestiefs erreicht, bzw. unterschritten.
Angemerkt: Die Anleihen von Freddie Mac und Fannie Mae sind zu einem hohen Prozentsatz im Besitz ausländischer Groß- und Zentralbanken. Mit den beschlossenen Maßnahmen zur Rettung sind diese erst einmal weitgehend abgesichert. Was sich auch in der Stabilisierung des ECW bei ziemlich genau 1,60 gestern zeigte...
Zahlreiche Marktindikatoren "schreien" gemessen an ihren erreichten statischen Werten nach einer Gegenbewegung bei den Aktienkursen, doch ihre Verläufe zeigen noch keine belastbaren Drehpunkte. Aber mehr als eine Rallye im Bärenmarkt wird das nicht, erst recht kein neuer Aufschwung. Die geschilderte Gemengelage bleibt bestehen und dürfte für den Fortbestand des Gemütszustands "höchste Verunsicherung" sorgen.
Wir durchleben keine "einfache" Bankenkrise, sondern bewegen uns am Rande einer Systemkrise, wenn nicht schon mitten drin. Da kann es sehr lange dauern (und tief runter gehen), bis alles eingepreist ist.
© Klaus G. Singer
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