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Widrigkeiten

01.08.2008  |  Klaus Singer
Der Dow hat im Juni mit 9,4 Prozent in einem Monat so viel Verlust eingefahren wie seit der Großen Depression nicht mehr. Wenig überraschend führt der Finanzsektor die Kursverluste an mit einem Kursrückgang von gut 44 Prozent im Vergleich zum Ende des zweiten Quartals 2007. Energieaktien stehen mit plus 23 Prozent oben auf der Gewinnerliste. Ein Ölpreis auf Talfahrt könnte die Aussichten hier aber möglicherweise bald eintrüben.

Wir sind mitten in der Saison der Quartalsberichte. Der Finanzsektor meldet bisher als einziger ein negatives Gewinnwachstum. Dieses ist aber mit rund minus 95 Prozent im Jahresvergleich so gewaltig, dass dies die Gewinnentwicklung im S&P 500 insgesamt auf minus 24 Prozent herunter zieht. Andere Sektoren berichten über Quartalsgewinne, enttäuschen aber mit geringem Momentum des Gewinntrends und verhaltenem Ausblick.

Die durch Short-Eindeckungen angestoßene Rallye verlor zum vergangenen Wochenende hin an Dampf - es folgte ein empfindlicher Rücksetzer. Der wurde aber sogleich wieder gekauft, der S&P 500 überwand erneut das 50er Retracement der jüngsten Abwärtsbewegung und die EMA14.

Er tat das, nachdem Merrill Lynch mitgeteilt hat, weitere Abschreibungen in Höhe von 5,7 Mrd. Dollar vorzunehmen. Die Bank verkauft zudem ein Paket forderungsbesicherter Anleihen mit einem Buchwert von 11,1 Mrd. Dollar zum Preis von 6,7 Mrd. Dollar (ursprünglicher Wert 30,6 Mrd. Dollar). Gleichzeitig wird der Plan einer Kapitalerhöhung in Höhe von 8,55 Mrd. Dollar bekannt gegeben.

Das schockte die Aktionäre nicht mehr - im Gegenteil, da ein Stück Unsicherheit beseitigt ist, sehen viele den richtigen Zeitpunkt, zuzulangen. Kursstützend wirkte auch die Meldung, dass der US-Verbraucher-Vertrauensindex im Juli bei 51,9 notiert und damit über den Erwartungen (50,0). Der Wert des Vormonats liegt mit 51,0 nicht weit weg vom 16-Jahres-Tief. Die leichte Stabilisierung wird auf die Wirkung von Steuergutschriften und die abwärts tendierenden Energiepreise zurückgeführt.

Bei der Aufwärtsbewegung der Aktienkurse fällt nach wie vor auf, dass der Nasdaq keine relative Stärke aufbauen kann; er versucht es zwar immer wieder, aber durchhalten kann er sie bis jetzt nicht - ein Zeichen für die Brüchigkeit dieser Bewegung.

Bedenken über das zunehmende Angebot bei Bonds infolge der zunehmendem Belastung des Steuerzahlers mit den Konsequenzen aus dem Hauspreisboom dämpft die Bond-Nachfrage. Die Kosten der diversen Rettungsmaßnahmen für den Finanzsektor wird dazu führen, dass das Budget-Defizit stärker steigt als bisher prognostiziert. Eine vermehrte Ausgabe von TBonds zur Finanzierung dürfte deren Preise längerfristig drücken und die Renditen steigen lassen. Das Schatzamt will im dritten Quartal 171 Mrd. Dollar zusätzlich leihen - historischer Quartalsrekord.

Die Kreditverknappung in den USA nimmt Formen an: Die Ausleihungen von Banken an Unternehmen und die kurzfristigen "Commercial Paper" fallen im Jahresvergleich um 3 Prozent auf 3,27 Bill. Dollar, der stärkste Rückgang seit der Kreditverknappung in 2001, als die damalige Rezession begann.

Der S&P/ Case-Shiller Hauspreisindex (20-City) fiel im Mai um 0,9 Prozent gegenüber dem Vormonat, im Jahresvergleich 15,8 Prozent. Mancher sagt jetzt, das sei bereits eingepreist und damit nichts Neues mehr. Das mag zwar für den Moment stimmen, aber die meisten Beobachter sind sich einig, dass hier noch längst kein Boden erreicht ist. Damit dürfte auch der Druck auf den Finanzsektor übergeordnet bestehen bleiben. Und der Wertverlust für den amerikanischen Verbraucher, die Stütze der US-Wirtschaft, wird in die Billionen Dollar gehen.

Der Abschlag von 78 Prozent auf den Ursprungswert der von Merrill Lynch jetzt verkauften CDOs ist eine Messlatte zur Bewertung vergleichbarer "Assets". Nach Meinung eines Analysten der Deutschen Bank könnte Citigroup z.B. hierdurch einen Abschreibungsbedarf von weiteren 8 Mrd. Dollar auf ein CDO-Portfolio haben, das die Citigroup selbst gegenwärtig mit 53 Cent je Dollar bewertet. Goldman Sachs sieht sogar einen Abschreibungsbedarf für die Citigroup von 16,2 Mrd. Dollar.

Im heutigen Finanzsystem mit seinem Schwerpunkt auf dem Handel, nicht so sehr auf dem Halten von Assets werden endogene Schocks weniger durch Kreditausfälle und Pleiten transportiert, sondern mehr durch starke Bewegungen von Marktpreisen und die daraus folgenden Einflüsse auf die Bilanzen. In diesem Umfeld zeigen Kredit-Spreads und Preise von besicherten Assets nicht nur das Kreditrisiko an, sondern auch die Liquidität und das Risiko der Märkte, an denen sie gehandelt werden. Die CDS-Spreads bewegen sich mittlerweile wieder auf hohem Niveau, teilweise wird das aus dem ersten Quartal diesen Jahres erreicht.

Schon eine geringe Wertberichtigung hat über den Hebeleffekt starke Auswirkungen auf die Entwicklung des Buchwertes bei den entsprechenden Finanzinstituten (von den Auswirkungen auf die Reservequoten/ Kapitalverhältnisse ganz abgesehen). So können schon Wertberichtigungen von 15 Prozent den Firmenwert eines Finanzinstituts nahezu auslöschen (z.B. bei Countrywide Financial). Setzt man die Hälfte, 7,5 Prozent, an, so sehen sich z.B. Citigroup, JPMorgan Chase, Merrill Lynch und Lehman Brothers, die Billionen Dollar in Hypotheken halten, einem Rückgang ihres Buchfirmenwerts um weitere 30 bis 50 Prozent gegenüber. Das würde auf den Kurs ihrer Aktien kaum ohne Einfluss bleiben.

Gegenwärtig spielen die Finanzmärkte Erholung, zumindest aber Stabilisierung der Konjunktur. Die zuletzt gemeldeten Makrodaten wurden zumindest nicht mehr schlechter, jetzt setzt man auf positive Überraschungen. Die laufende Woche hat hier noch einiges bieten.

Bei der ersten Schätzung des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts für Q2/2008 wurde im Vorfeld eine Steigerung um 2,4 Prozent erwartet. Gemeldet wurden plus 1,9 Prozent. In den beiden zurückliegenden Quartalen war die Zunahme mit 1 und 0,6 Prozent schwach gewesen - durchaus möglich, dass sie in der Revision negativ werden. Bei den Arbeitsmarktdaten am morgigen Freitag wird erwartet, dass im Juli mehr als 60.000 Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Demgegenüber zeigt der jüngste ADP-Report, der nur den privaten Sektor (ohne Landwirtschaft) betrachtet, eine leichte Zunahme um 9.000. Hier liegt das Überraschungspotenzial auf der positiven Seite.

Andererseits ist die Zahl der wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung in den USA auf 448.000 gestiegen. Erwartet wurden hingegen lediglich 395.000 nach zuvor 404.000. Als Scheidelinie gilt hier 400.000 - hier fühlten sich viele auf dem falschen Fuß erwischt. Da auch die erste BIP-Schätzung nicht übermäßig positiv überraschte, führte beides in der ersten Reaktion zu einem Abverkauf von Aktien, zu einem steigenden Euro/ Dollar und zu erstarkenden TBond-Kursen. Öl tendierte ebenfalls fester.

Der Chicagoer Einkaufsmanagerindex wird für Juli bei 50,8 gemeldet und damit leicht über den Erwartungen. Im Vormonat hatte der Index bei 49,6 notiert. Das wirft ein positives Licht auf die Veröffentlichung des landesweiten Pendants morgen und sorgte sogleich dafür, die zwischenzeitlich eingetretenen Aktienkursverluste einzudämmen.

Mancher sieht den Zusammenhang sinkender Ölpreis - steigende Aktien - fallende Bonds. Ein schwächerer Ölpreis im aktuellen Kontext Auftriebskräfte der Konjunktur und dämpft Inflationsphantasien. Andererseits beinhaltet ein nachhaltig fallender Ölpreis auch die Botschaft nachlassenden Wirtschaftswachstums. Möglicherweise werden die Optimisten daher auch an einem steigenden Ölpreis noch etwas Bullisches finden - allerdings nur dann, wenn das Aufwärtsmomentum bei Aktien nicht abbricht.

Der Ölpreis (WTI-Future LC) testete zuletzt nach einem gut 15-prozentigen Rückzug von seinem am 14. Juli markierten Hoch bei 145,18 Dollar den wichtigen Support bei rund 122. Aktuell ist er dabei, sich dynamisch hiervon abzusetzen. Analysten sind geteilter Meinung - geht es jetzt gleich noch bis 100 herunter oder von 122 aus wieder hoch? An ein Ende des langjährigen Bull-Marktes glaubt niemand, da sich die langfristigen strukturellen Bedingungen nicht geändert hätten, als da sind wachsende Nachfrage in Asien, schleppendes Angebot der OPEC-Staaten usw. Immer wieder wird auch auf die Hurrikan-Saison verwiesen, die für ein schnelles Ende der laufenden Korrektur sorgen kann.

Aktuell stehen die Chancen gut, dass sich der Ölpreis weiter nach oben orientiert und einen Rebound Richtung Topp einleitet, solange aktuell das Niveau von 124,50 nicht klar unterboten wird. (Prognosechart auf der Web-Seite der TimePattern in diesem Artikel)

Die Ölpreis-Frage lässt sich auch von der Entwicklung des Währungsverhältnisses Euro/ Dollar aus beleuchten. Das Währungspaar ist zuletzt wiederum an der Marke von 1,60 gescheitert. Etwa zeitgleich ging auch dem Ölpreis die Luft aus. An der Unterseite liegt eine wichtige Unterstützung bei einem Tagesschlusskurs von etwas unter 1,54 Euro/ Dollar. Sollte diese Marke fallen, wird sich der Ölpreis dem nicht entziehen können und dann sind die "runden" 100 Dollar keineswegs mehr außer Sichtweite. Aber selbst dann wäre langfristig noch nichts "angebrannt" - der Preis notierte dann lediglich wieder in einem langfristigen Aufwärtskanal, dessen Untergrenze aktuell bei rund 95 Dollar verläuft.

Andererseits - im Währungspaar Euro/ Dollar ist bereits ein gut Teil des aktuellen Konjunkturoptimismus eingepreist. Bleiben weitere positive Überraschungen von der Konjunkturfront aus, dürfte eine Gegenbewegung in Richtung 1,60 dem Ölpreis Rückendeckung bei seiner Aufwärtsorientierung geben.

Ob die Aktienbullen sich gegen alle Widrigkeiten oben halten können? Die SEC leistet ihren Beitrag zur Stützung, indem sie die kürzlich aktivierte Short-Rule den ungedeckten Leerverkauf von Aktien großer Finanzinstitute zunächst bis 12. August in Kraft lässt. Auch die Fed hat weitere Maßnahmen ergriffen, um die Liquidität im Finanzsektor aufrecht zu erhalten. Das dürfte stützen. Andererseits spricht die Marktstruktur noch nicht für eine stabile Aufwärtsbewegung, auch wenn sich die Lage hier mittlerweile verbessert hat. Das Sentiment hat sehr schnell bullische Züge angenommen und könnte sich ebenfalls als Achillesferse erweisen. Wichtig ist jetzt im Dow die Marke von 11.630, wo das jüngste Hoch markiert wurde.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de





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