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Widrigkeiten II

08.08.2008  |  Klaus Singer
Die Aktienmärkte setzen ihre Achterbahn fort. Allerdings scheint der Boden unter den Bullenhufen etwas fester zu werden. Man sucht Hände ringend nach Anhaltspunkten für eine sich stabilisierende Konjunktur. Dies war zum Ende der Vorwoche nicht von besonderem Erfolg gekrönt, weswegen die Aktienmärkte nochmals tauchten.

Auch in dieser Woche sind die Makro-Nachrichten alles andere als positiv. So friert etwa Morgan Stanley die Immobilien-Kreditlinien tausender Kunden ein, insgesamt sollen 15 Prozent der Hypotheken-Kunden betroffen sein. Das spricht nicht gerade dafür, dass die Bank davon ausgeht, dass sich die Wirtschaft schnell erholen wird.

FreddieMac berichtet über einen Nettoverlust von 821 Mrd. Dollar für das zweite Quartal 2008 und kürzt die Dividende um 80 Prozent. Die Kredit-bezogenen Kosten haben sich gegenüber dem ersten Quartal auf 2,8 Mrd Dollar verdoppelt, es werden weitere eine Mrd. Dollar abgeschrieben. Die Zahl der Rückübertragung von Häusern mangels Bedienung der Kreditlinien steigt um 20 Prozent. Die Meldungen halten die Bedenken hinsichtlich der Finanzkrise wach.

Der Auftragsrückgang in der deutschen Industrie hat sich im Juni überraschend beschleunigt. Die Bestellungen sind um 2,9 Prozent zurückgegangen (m/m), der stärkste Rückgang ist seit rund einem Jahr; vor allem die Nachfrage aus dem Ausland schwindet. Ökonomen hatten nach dem kräftigen Rückgang im Vormonat von 1,4 Prozent mit einem leichten Auftragszuwachs um 0,5 Prozent gerechnet. Für das gesamte zweite Quartal ergibt sich damit ein Rückgang der Bestellungen um 4,1 Prozent zum Vorquartal. Die Auslandsnachfrage sackte im Juni um 5,1 Prozent ab, während die Inlandsbestellungen um 0,6 Prozent nachgaben. Bei den Auslandsorders schwächte sich die Nachfrage aus dem Euro-Raum mit 7,7 Prozent besonders stark ab, während die Bestellungen aus den Nicht-Euro-Ländern um 3,1 Prozent sanken.

Die jüngsten Zahlen aus Frankreich weisen in die gleiche Richtung, Japan steuert auf eine Rezession zu. Zusammen mit den jüngsten negativen Makrozahlen aus den USA steht zu erwarten, dass eine mindestens die G7-Staaten erfassende Rezession in der Entfaltung ist.

Die Fed lässt die Leitzinsen auf ihrer Sitzung am Dienstag dieser Woche unverändert, inmitten von Bedenken über das Wirtschaftswachstum und die Inflation. Sie gibt in ihrem Statement keine Anhaltspunkte dafür, die Zinsen bald zu erhöhen. Das Statement entsprach weitgehend dem vom Juni.

Alles in allem nichts Neues - und so feierten die Bullen noch ein wenig weiter. Angestachelt durch den sich fortsetzenden Ölpreis-Verfall waren die Aktienkurse im Vorfeld der FOMC-Sitzung schon vorgelaufen.

Schaut man sich das Statement der Fed allerdings genauer an, so fällt auf, dass gegenüber Juni jetzt nicht mehr davon die Rede ist, dass sich die Wachstumsrisiken etwas vermindert hätten, gleichzeitig wird auch das Attribut "steigend" bei den Inflationsgefahren gestrichen. Die Fed sieht an Belastungen für die nächsten Quartale: Kreditverknappung, Hauspreisverfall, hohe Energiekosten. Die von ihr herausgehobenen Wachstumsfaktoren für Q2/2008, der durch Steuerschecks gestützte Konsum und der starke Export sind noch lange kein Abonnement. Steuerschecks stehen im zweiten Halbjahr nicht an und der starke Export könnte unter die Räder kommen, wenn der Dollar weiter an Stärke gewinnt oder wenn die Weltkonjunktur weiter erlahmt.

Die US-Inflation ist die höchste seit vielen Jahren, egal welches Maß man hierfür nimmt. Dennoch bleiben die Steigungen der Trends bislang noch zahm. Das gab der Fed bisher gute Argumente an die Hand, sich stärker auf die Wachstumsschwäche zu konzentrieren als die Preissteigerung in den Fokus zunehmen. Mittlerweile allerdings sind die Inflationserwartungen nach einer Erhebung der Universität Michigan aktuell deutlich angezogen, sie übersteigen den zuletzt ereichten Spitzenwert aus Ende 2005 und notieren jetzt auf dem Niveau von 1991.

Das Wachstum in China hat sich über die zurückliegenden vier Quartale abgeschwächt und liegt jetzt bei gut 10 Prozent. Die chinesische Regierung lockert die Geldpolitik, die Aufwertung der Währung ist gestoppt. Jetzt wird wieder das Wachstum fokussiert. Der Konsum trägt nun etwas stärker zum Wachstum bei, die Investitionen behalten aber ihre dominierende Rolle. Die Lagerbestände steigen leicht an, was auf Überkapazitäten in einzelnen Sektoren hinweisen könnte. Die Exporte nach Europa, die in 2007 noch zweistellig wuchsen, nehmen jetzt ab. Der Industrieausstoß scheint zu sinken, es werden höhere Löhne und gestiegene Kosten beklagt. Auch hier tun sich also Risse auf.

Keinem Zentralbänker ist gegenwärtig an einem übermäßig starken Euro gelegen, und so wurde im Vorfeld der heutigen Zinssitzung der EZB den Zinsfalken der Schnabel zugehalten. Ein festerer Dollar ist gegen importierte Inflation (Rohstoffe) besser als eine Zinserhöhung. Und die wäre nach den sehr schwachen Auftragszahlen momentan extrem kontraproduktiv. Abgesehen davon hätte sie wahrscheinlich den Dollar umgehend abgeschossen.

Ein Zinsschritt der EZB war auch nicht erwartet worden. Das war das Signal, dass Euro/Dollar noch das kfr Restpotenzial nach unten ausloten, hier geht es auf Tagesschlusskurs-Basis um die Marke 1,5380. Kurzzeitig kamen die Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung in den USA quer, die unerwartet stark auf 455.000 gestiegen sind.

Im Gegensatz zum vorherigen Aktien-Rallye-Versuch sind die Ansätze des NDX, relative Stärke aufzubauen, jetzt etwas deutlicher. Die Bewegung ist nicht mehr ganz so brüchig. Geholfen hat dabei gestern Cisco - das Unternehmen meldet besser als erwartete Quartalszahlen und bestätigt den Ausblick. Microsoft half ebenfalls mit der Ankündigung eines bedeutenden Aktienrückkaufprogramms. Einige Rohstoffaktien, die noch vor wenigen Tagen angesichts von Konjunkturbedenken verkauft wurden, wurden wieder eingesammelt.

Von der Makro-Front also insgesamt keine belastbaren Zeichen einer Stabilisierung. Da bleibt nur der Ölpreis als Argument. Nun wird argumentiert, billigeres Öl entlaste die Wirtschaft und setze Kräfte frei für eine wirtschaftliche Belebung.

Nachdem zuletzt noch heftig um die Marke bei 124,50 gerungen wurde, gaben die Öl-Bullen auf, im Nu war auch der alte Support bei 122 gebrochen und schließlich auch die runde Zahl von 120 Makulatur. Aktuell geht es um 117 - hier verläuft die Obergrenze eines langen Aufwärtskanals und eine statische Unterstützung.

Es kommt auf Euro/Dollar an - ist das Abwärtspotenzial hier für jetzt ausgeschöpft, dürfte eine solidere Aufwärtsbewegung beim Öl anstehen. Da die Zinssitzungen der Notenbanken hüben wie drüben Geschichte sind, da auch die überraschend schwachen Auftragszahlen (siehe oben) bekannt sind, dürften die wesentlichen kurzfristigen Belastungsfaktoren für den Euro wegfallen. Das macht eine Gegenbewegung bei Euro/Dollar wahrscheinlicher, zumal einiges darauf hindeutet, dass das Währungspaar Euro/Yen am Ausbruch über die langfristig wichtige Marke bei 168,50 arbeitet.

Wenn der Ölpreis demnächst wieder nach oben tendiert, bedeutet das noch nicht zwangsläufig, dass die Aktienkurse wieder unter die Räder kommen. Möglicherweise entdeckt man das Argument neu, dass steigende Preise mit steigender Nachfrage zusammenhängen, die, im Falle Öl, mit konjunktureller Belebung begründet werden könnte.

Ob das nun im konkreten Fall fundamental so stimmt, ist zweitrangig. Hauptsache, dieses "Motto" findet genügend Anhänger.

Ohne kurzfristige Friktionen freilich würde diese "Motto-Umstellung" nicht abgehen, zumal die technische Verfassung kurzfristig bullisch überreizt ist. Zudem kämpfen DAX, Dow und SPX aktuell mit ihren jüngsten Hochpunkten, da ist die Wahrscheinlichkeit eines Rücksetzers sowieso größer als ein kommentarloses Durchziehen.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de






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