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Wehe, wenn sie eindecken!

13.08.2008  |  Ronald Gehrt
Es scheint mir, niemand erinnert sich noch ganz genau an diese bösen alten Zeiten. Es muss einfach zu lange her sein, als die Welt sich offenbar einig war, dass es für die rapide wachsende Menschheit auf diesem Planeten weder genug Nahrungsmittel noch Energie geben sollte. Damals sauste der Ölpreis auf fast 150 Dollar, und die Mehrheit erklärte 200 Dollar für eine ausgemachte Sache. Weizen, Reis, Mais, Sojabohnen vervielfachten sich binnen eines Jahres und wurden für die Armen dieser Welt unerschwinglich. Und die Mehrheit der so genannten Experten erklärte uns mit festem Blick, dass dies erst der Anfang sei. In dieser Zeit glaubten die Anleger diesen Fachleuten. Es hieß, wer eine teure Krawatte trage und bei einer Bank arbeite, der habe Vertrauen verdient und wisse, wovon er spricht. Viele Anleger folgten deren Empfehlungen, denn sie wussten: Wenn diese Menschen sagen, dass die Rohstoffe immer teurer werden, dann ist das so. Verrückte Zeiten müssen das gewesen sein ... damals. Aber wer weiß das schon noch so genau ... das ist immerhin ganze vier Wochen her.

Ich hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Weltuntergangs-Szenarien von auf ewig senkrecht steigenden Rohstoffpreisen ebenso überzogen seien wie die kaum verhallten Prognosen eben dieser Experten, die die Aktienmärkte noch Anfang Januar 2008 in diesem Jahr um 10-20% steigen sahen. Viel Widerhall fanden meine Warnungen nicht. Im Gegenteil: Immer wieder zeigt sich, wie gerne man als Anleger bereit ist, die erwiesen falschen Prognosen von vor ein paar Wochen zu vergessen und den neuen bereitwillig zu glauben, so diese denn nur nach großen Gewinnen klingen.


Dreht sich die Welt auf einmal anders herum?

Und heute? Heute haben wir den Beleg, dass diese Experten entweder bewusst die Unwahrheit sagten oder ihr Handwerk nicht verstehen. Öl bei 111 nach 147, Erdgas bei 8,20 nach 13,75, Gold bei 800 nach 1.030, Palladium bei 300 nach 585, Weizen bei 760 nach 1.300, Sojabohnen bei 1.180 nach 1.630. Die großen Adressen spekulieren, die normalen Anleger verlieren. Diese "großen Adressen" waren die Basis dieser mörderischen Rallyes ... und sie sind es, die nun umso heftiger a la Baisse spekulieren.

Denn seit den finsteren Zeiten immer weiter steigender Kurse sind nur vier Wochen vergangen. 28 Tage ... oder 672 Stunden, seit Öl zuletzt bei 147 Dollar notierte. Und auf einmal soll alles anders sein? Auf einmal soll man, dem Kursgeschehen nach, nicht mehr wissen wohin mit all den Rohstoffen? Selbst, wenn die Börsianer erst von 28 Tagen überrascht erfahren hätten, dass das weltweite Wachstum plötzlich dahin sei (während ich das seit Monaten unterstreiche und dabei nichts anderes getan habe als mir die Konjunkturdaten anzusehen ... das kann wohl schlecht Geheimwissen sein) und die Energienachfrage deshalb falle: Wir werden dennoch immer mehr Menschen, die essen müssen. Energie und Nahrungsmittel WERDEN ja in der Tat knapper, auch, wenn keineswegs so extrem, wie es bis Juli in die Kurse "hineingezockt" wurde. Warum also die Crashs bei den Nahrungsmittel-Rohstoffen?

Nein, die großen Adressen belieben Short zu gehen, also brechen die Kurse ein. Punktum. Und das wird sich so lange fortsetzen, bis die ersten wieder eindecken und die Reise auf einmal wieder senkrecht nach oben gehen wird. Und das Geld all derer, die den Weissagungen der so genannten Experten vertrauen, wird ein weiteres Mal dahin sein. Zuvor löste sich das Geld der Dax-Calls in Rauch auf, die auf die prognostizierte Hausse in Richtung 10.000 setzten, zuletzt waren es die Öl-Calls mit Zielrichtung 150 und höher oder die Gold-Calls mit Basispreisen weit über 1.000 Dollar.


Das Märchen du jour: Öl bei 80 Dollar und die große Wende der Aktien

Heute wird Ihnen bereits das nächste Märchen erzählt: Die Rohstoff-Hausse ist vorbei und die Aktienmärkte werden jetzt die große Wende vollziehen. Sieh an. Ich erinnere daran, dass die Anleger noch vor wenigen Monaten mit dem Argument in Derivate gelockt wurden, dass die Hausse-Zyklen aller Rohstoffe noch am Anfang stünden. Tja ... und gestern erklärte ein "Experte" auf CNBC ohne rot zu werden, dass ein Ölpreis von 80 Dollar sein nächstes Kursziel sei. Und - aber ja doch - er habe das ja bereits seit Monaten gesagt. Solange die Investoren ihr Gedächtnis nicht mit investieren lassen und so immer wieder bereit sind, solche Sprüche zu glauben, wird dieses Possenspiel nie aufhören. Richtig ist:

Ich halte eine Spanne zwischen 80 und 100 Dollar bei Rohöl durchaus für einen marktgerechten Preis. Aber die faktische Veränderung der Nachfrage interessiert momentan niemanden an diesen Märkten. Wer nun, nach diesen Crashs der Rohstoffe und der vorangegangenen Super-Rallye immer noch glaubt, das sei der reine Effekt einer Nachfrage-Veränderung, ist irgendwie für stumpfe Sturheit zu bewundern. Nein, diejenigen, die das mit Abstand größte Kapital an den Start bringen, bestimmen logischerweise auch, wohin der Kurs geht. Wer die meisten Soldaten hat, gewinnt in der Regel den Krieg. Auch an der Börse. Und es wird so lange gnadenlos Short gegangen, bis erste große Adressen ihre Gewinne sichern wollen und eindecken. Und dann, liebe Leser, sollte es mich sehr wundern, wenn wir das Spielchen der letzten vier Wochen nicht erneut sehen ... nur dann nach oben und noch einmal deutlich intensiver.

Es ist völlig unmöglich, bereits im Vorfeld bestimmen zu wollen, wo in diesen Kursstürzen "unten" sein wird. Denn charttechnische Unterstützungen sind den Futures-Tradern bestenfalls als Punkte wichtig, an denen sie durch gezielte Attacken das Tempo nach unten noch erhöhen können. Und da die meisten Trader reine Momentum-Player sind, bringt ein ausgebombter RSI oder ein fast bei Null angelangter Stochastik-Indikator wenig Hinweise - denn das Momentum kennt keine überverkaufte Zone. Aber: So langsam dürfte der Punkt erreicht sein, wo es vielen der "großen Adressen" in den Fingern juckt, einzudecken.


Der gefährliche Öl-Tunnelblick

Und was passiert dann mit dem Aktienmarkt? Der stieg zwar im Gefolge der einbrechenden Rohstoffe und eines plötzlich steil steigenden Dollars. Aber wenn meine Befürchtung, dass die Eindeckungswelle das ohnehin irre Tempo dieser Kursstürze noch toppen wird, zutrifft ... wird es wieder kühl an den Aktienmärkten, zumal die bisherigen Kurssteigerungen der Aktien eigentlich recht verhalten waren. Und:

War da nicht noch was? Im Vergessen sind die Investoren gut, im Ausblenden aber Weltklasse. Natürlich sind fallende Energiepreise nötig, um eine konjunkturelle Wende überhaupt erst zu ermöglichen. Aber es ist eben zweifelhaft, dass eben diese Energiepreise auch unten bleiben ... während viele Anleger die momentan fallenden Kurse nun ebenso blind in die Zukunft fortschreiben wie noch vor vier Wochen die steigenden Kurse. Aber selbst wenn Öl auf 100 fällt und dort verharren würde: Die Abwärtsspirale der Weltkonjunktur hat bereits begonnen. Immobilien- und Kreditkrise sind durch fallende Commodities nicht zu heilen. Die Unternehmensgewinne werden nicht allzu schnell auf fallende Energiekosten reagieren, da die meisten Unternehmen sich ja auf Monate im Voraus einkaufen, um kalkulierbare Preise zu haben. Und die fallende Nachfrage der Konsumenten kann durch billiges Heizöl und Benzin sicher stabilisiert werden ... aber eben nur, wenn die Kurse der Rohstoffe weiter sinken.

Natürlich kann es zunächst gerade dann mit Aktien weiter aufwärts gehen, wenn z.B. am Donnerstag "völlig überraschend" fallende US-Verbraucherpreise für Juli veröffentlicht würden. Nicht, dass man sich das bei DEM Kurssturz aller Rohstoffe nicht ausrechnen könnte ... aber wer denkt schon zwei Tage voraus. Heutzutage eine unzumutbare Forderung. Und das kann dann durchaus auch zu kurzfristigen Kaufsignalen an den Aktienmärkten führen, keine Frage. Aber solche Situationen hatten wir auch schon im Mai, als fast alle großen Indizes blitzsaubere Bullenfallen produzierten, um danach schnell an die alten Tiefs - oder darunter - zu laufen. Das kann sich durchaus wiederholen.

Ich vermute, dass sich die Akteure am Aktienmarkt genau dann dieser unerfreulichen "Nebensachen" erinnern werden, wenn die erste Eindeckungswelle die Rohstoffe erfasst. Und, wie gesagt, es ist nicht im Vorfeld absehbar, wann genau das sein wird. Aber ich wage die Prognose: Länger als zehn Tage wird es nicht mehr dauern. Und dann, meine ich, wäre es kein Fehler, sich die "alte Richtung" wieder ins Gedächtnis zu rufen: Rohstoffe Long, Aktien Short.


© Ronald Gehrt
www.system22.de"



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