Rettung in höchster Not?
23.09.2008 | Klaus Singer
Nachdem in der vergangenen Woche nackte Panik in den Finanzmärkten um sich griff, beschränkte sich dieses Gefühl zum Wochenschluss nur noch auf eine Marktpartei, die Bären. Sie konnten gar nicht schnell genug aus ihren Positionen heraus kommen.
Zwei Faktoren waren dabei ausschlaggebend: Erstens der Rettungsplan der US-Regierung, eine Institution nach dem Vorbild der RTC zu schaffen. Diese Resolution Trust Corporation hatte 1989 und danach dafür gesorgt, die Auswirkungen der Savings-and-Loan-Krise in den Griff zu bekommen. Zweitens das weitgehende Verbot von Leerverkäufen. Bringt das die Rettung aus der größten Finanzkrise mindestens seit der Großen Depression?
Die zu schaffende Institution soll mit Mitteln in Höhe von 700 Mrd. Dollar ausgestattet werden und Schulden, sowie Derivate ankaufen, die sich im Besitz notleidender Finanzinstitutionen, Banken wie Nicht-Banken, mit Hauptsitz in den USA befinden. Zwar fokussiert der Rettungsplan Schulden und Derivate, die in Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung stehen, aber eine Ausweitung auf andere Schulden und Derivate ist möglich, wenn hiervon eine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems ausgeht. Eine Überprüfung der neu zu schaffenden Institution durch Gerichte oder Verwaltung ist nicht vorgesehen.
Die Vorlage, über die der Kongress entscheiden soll, betrifft die Heraufsetzung der gesetzlich festgelegten Obergrenze der Gesamtschuld aller öffentlichen Haushalte um 700 Mrd. auf 11,3 Bill. Dollar. Er entscheidet also über einen Posten in der Bilanz, das ist nicht notwendigerweise mit einem Ausgabenlimit gleich zu setzen. Da die Demokraten ihre Zustimmung nur geben werden, wenn gleichzeitig ein Stimulus-Paket verabschiedet wird, wird allein dadurch schon die Neuverschuldung höher ausfallen als der genannte Betrag.
Völlig offen ist, bis zu welchem Ausmaß das private in öffentliches Risiko transformiert wird. Bei den fraglichen Assets können zum größten Teil keine Preise mehr ausgewiesen werden, da die Märkte ausgetrocknet sind. Das erlaubt Bewertungswillkür in jede Richtung, untermauert dadurch, das die neue Institution keinerlei Kontrolle unterliegt. Je höher man die zurückzukaufenden Assets bewertet, je mehr Mittel könnten aus dem Bundeshaushalt eingesetzt werden, ohne die Schuldenobergrenze zu überschreiten. So kann die Belastung des Steuerzahlers weit über die herumgereichte Zahl von 700 Mrd. Dollar hinaus in die Billionen gehen.
Die Pläne gehen das zugrundeliegende Problem nicht an, nämlich die unzureichende Kapitalisierung im Finanzsektor. Sie würden die Kapitalisierung nur dann verbessern, wenn die notleidenden Assets zu überhöhten Preisen zurückgekauft würden. Noch ist nicht ausgemacht, welche Handhabe der Kongress dagegen hätte. Falls er dies unterbinden kann, bleibt das Finanzsystem unterkapitalisiert mit der Folge einer Kreditklemme. Falls nicht, würden Banken auch noch für ihr exzessives Risiko belohnt.
Damit entsteht die paradoxe Situation, dass der Rettungsplan dann und nur dann eine positive wirtschaftliche Auswirkung hat, wenn die "Assets" zu überhöhten Preisen aufgekauft werden. Das aber stützt genau die Institutionen am meisten, die das schlechteste Risikomanagement gezeigt haben.
Mit dem Rettungsplan wird die dringend nötig konstruktive Vernichtung untauglicher, an die Erfordernisse wechselnder Gegebenheiten nicht angepasster Unternehmen ein weiteres Mal herausgezögert. Unter Bedingungen eines funktionierenden kapitalistischen Marktes würden genau diese Dinosaurier als erste verschwinden. So aber lassen sie aufstrebenden, für die neuen Herausforderungen besser geeigneten Unternehmen keinen Raum. Die Unternehmenslandschaft überaltert weiter, eine untaugliche Unternehmenskultur lebt weiter, exzessives Risiko wird belohnt, statt bestraft.
Apropos "Dinosaurier": Goldman Sachs und Morgan Stanley werden "richtige" Banken. Damit geht die Ära der (unregulierten) Investmentbanken zu Ende, die nach der Großen Depression begann und mit dem Ende des Goldstandards vor fast vier Jahrzehnten so richtig in Fahrt kam.
Weitere Kritikpunkte: Die Pläne untergraben das AAA-Rating der USA und schwächen den Dollar, insbesondere auch vor dem Hintergrund der mangelnden Kontrolle der neu zu schaffenden Rettungsinstitution. Damit aber ist auch offen, wie groß der Einfluss auf künftiges Wirtschaftswachstum ist. Daher dürften ausländische Investoren bei einem US-Engagement deutliche Risikozuschläge verlangen. Außerdem sind die großen Risiken, die weiterhin vom über 60 Bill. Dollar großen, unregulierten Markt der Kredit-Default-Swaps ausgehen, mit diesem Rettungsplan nicht einmal ansatzweise adressiert.
Und schließlich: Wenn die notleidenden Assets (Derivate) erst einmal im Besitz der zu schaffenden Institution sind, ist die Versuchung groß, die zugrundeliegende Schuld, in der Regel Hypothekendarlehen, etwa im Rahmen staatlicher Hilfspakete zur Unterstützung notleidender Hausbesitzer ganz oder teilweise zu annullieren. Das triebe die Staatsverschuldung nur noch weiter an.
Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die Finanzkrise mit diesem Rettungsplan einer Lösung nun näher ist als Mitte der vergangenen Woche, als auf den Finanzmärkten Panik ausbrach. Was sich hingegen deutlich zeigt, das ist der immer größere, immer unkontrolliertere Einfluss der Finanzindustrie.
Was den eingangs angerissenen zweiten Punkt angeht, nicht nur ungedeckte, sondern Leerverkäufe generell bei mehr als 800 Aktien aus dem Finanzbereich zu verbieten, so wird damit dem Markt ein wichtiges Korrektiv genommen. Er wird asymmetrisch verstümmelt. Abgesehen davon gibt es Möglichkeiten der Umgehung der Verbots, etwa durch entsprechende Derivate und dergleichen. Das wird fast zwangsläufig weitere fallweise Verbote und damit weitere punktuelle Eingriffe in den Markt nach sich ziehen. Durch zunehmende Eingriffe wird meiner Meinung nach das Ziel der Stabilisierung der Märkte nicht erreicht - im Gegenteil.
Es ist schon interessant, in Boom-Phasen hat niemand daran gedacht, das Eingehen von Long-Positionen zu verbieten, um ein weiteres Aufblasen von Blasen zu verhindern. Wo war da die Sorge für die Stabilität?
Das Außerkraftsetzen des freien Spiels von Angebot und Nachfrage an den Börsen entspricht dem Aushebeln der Marktmechanismen im Zuge des Rettungsplans der US-Regierung. Damit gewinnen Staat und Bürokratie zunehmend Einfluss genau dort, wo er nicht hingehört. Denn auf der operativen Ebene des Marktes haben sie nichts zu suchen, jedenfalls nicht als gestaltende Kräfte - Überwachung ist ein anderes Thema. Und dort, wo sie gestalten sollten, nämlich bei den Rahmenbedingungen der Wirtschaft, haben sie kläglich versagt. Schon eine deutliche Einschränkung der Möglichkeiten, Kredite auszugeben und das damit verbundene Risiko anschließend weiterzuverkaufen, hätte die Finanzkrise im Vorfeld eindämmen können.
Am Rande: Nouriel Roubini sieht herbe Verluste auf die europäischen Finanzinstitutionen zukommen. Daniel Gros und Stefano Micossi untersuchen in VOX die Frage, ob etwas Ähnliches wie in den USA auch in Europa passieren kann. Ihre Antwort: Hier sind die Finanzinstitutionen nicht nur zu groß, um zu fallen, sie sind auch zu groß, um gerettet zu werden. So belaufen sich die Verpflichtungen der Deutschen Bank auf etwa 2 Bill. Euro, das sind gut 80% des deutschen BIP, die der Barclay-Bank übersteigen sogar das BIP Großbritanniens. Die Verpflichtungen von Fortis sind ein Mehrfaches des belgischen BIP. Damit kann nur noch die EZB helfen, wenn es zu analogen Problemen wie in den USA kommt.
© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de
Zwei Faktoren waren dabei ausschlaggebend: Erstens der Rettungsplan der US-Regierung, eine Institution nach dem Vorbild der RTC zu schaffen. Diese Resolution Trust Corporation hatte 1989 und danach dafür gesorgt, die Auswirkungen der Savings-and-Loan-Krise in den Griff zu bekommen. Zweitens das weitgehende Verbot von Leerverkäufen. Bringt das die Rettung aus der größten Finanzkrise mindestens seit der Großen Depression?
Die zu schaffende Institution soll mit Mitteln in Höhe von 700 Mrd. Dollar ausgestattet werden und Schulden, sowie Derivate ankaufen, die sich im Besitz notleidender Finanzinstitutionen, Banken wie Nicht-Banken, mit Hauptsitz in den USA befinden. Zwar fokussiert der Rettungsplan Schulden und Derivate, die in Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung stehen, aber eine Ausweitung auf andere Schulden und Derivate ist möglich, wenn hiervon eine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems ausgeht. Eine Überprüfung der neu zu schaffenden Institution durch Gerichte oder Verwaltung ist nicht vorgesehen.
Die Vorlage, über die der Kongress entscheiden soll, betrifft die Heraufsetzung der gesetzlich festgelegten Obergrenze der Gesamtschuld aller öffentlichen Haushalte um 700 Mrd. auf 11,3 Bill. Dollar. Er entscheidet also über einen Posten in der Bilanz, das ist nicht notwendigerweise mit einem Ausgabenlimit gleich zu setzen. Da die Demokraten ihre Zustimmung nur geben werden, wenn gleichzeitig ein Stimulus-Paket verabschiedet wird, wird allein dadurch schon die Neuverschuldung höher ausfallen als der genannte Betrag.
Völlig offen ist, bis zu welchem Ausmaß das private in öffentliches Risiko transformiert wird. Bei den fraglichen Assets können zum größten Teil keine Preise mehr ausgewiesen werden, da die Märkte ausgetrocknet sind. Das erlaubt Bewertungswillkür in jede Richtung, untermauert dadurch, das die neue Institution keinerlei Kontrolle unterliegt. Je höher man die zurückzukaufenden Assets bewertet, je mehr Mittel könnten aus dem Bundeshaushalt eingesetzt werden, ohne die Schuldenobergrenze zu überschreiten. So kann die Belastung des Steuerzahlers weit über die herumgereichte Zahl von 700 Mrd. Dollar hinaus in die Billionen gehen.
Die Pläne gehen das zugrundeliegende Problem nicht an, nämlich die unzureichende Kapitalisierung im Finanzsektor. Sie würden die Kapitalisierung nur dann verbessern, wenn die notleidenden Assets zu überhöhten Preisen zurückgekauft würden. Noch ist nicht ausgemacht, welche Handhabe der Kongress dagegen hätte. Falls er dies unterbinden kann, bleibt das Finanzsystem unterkapitalisiert mit der Folge einer Kreditklemme. Falls nicht, würden Banken auch noch für ihr exzessives Risiko belohnt.
Damit entsteht die paradoxe Situation, dass der Rettungsplan dann und nur dann eine positive wirtschaftliche Auswirkung hat, wenn die "Assets" zu überhöhten Preisen aufgekauft werden. Das aber stützt genau die Institutionen am meisten, die das schlechteste Risikomanagement gezeigt haben.
Mit dem Rettungsplan wird die dringend nötig konstruktive Vernichtung untauglicher, an die Erfordernisse wechselnder Gegebenheiten nicht angepasster Unternehmen ein weiteres Mal herausgezögert. Unter Bedingungen eines funktionierenden kapitalistischen Marktes würden genau diese Dinosaurier als erste verschwinden. So aber lassen sie aufstrebenden, für die neuen Herausforderungen besser geeigneten Unternehmen keinen Raum. Die Unternehmenslandschaft überaltert weiter, eine untaugliche Unternehmenskultur lebt weiter, exzessives Risiko wird belohnt, statt bestraft.
Apropos "Dinosaurier": Goldman Sachs und Morgan Stanley werden "richtige" Banken. Damit geht die Ära der (unregulierten) Investmentbanken zu Ende, die nach der Großen Depression begann und mit dem Ende des Goldstandards vor fast vier Jahrzehnten so richtig in Fahrt kam.
Weitere Kritikpunkte: Die Pläne untergraben das AAA-Rating der USA und schwächen den Dollar, insbesondere auch vor dem Hintergrund der mangelnden Kontrolle der neu zu schaffenden Rettungsinstitution. Damit aber ist auch offen, wie groß der Einfluss auf künftiges Wirtschaftswachstum ist. Daher dürften ausländische Investoren bei einem US-Engagement deutliche Risikozuschläge verlangen. Außerdem sind die großen Risiken, die weiterhin vom über 60 Bill. Dollar großen, unregulierten Markt der Kredit-Default-Swaps ausgehen, mit diesem Rettungsplan nicht einmal ansatzweise adressiert.
Und schließlich: Wenn die notleidenden Assets (Derivate) erst einmal im Besitz der zu schaffenden Institution sind, ist die Versuchung groß, die zugrundeliegende Schuld, in der Regel Hypothekendarlehen, etwa im Rahmen staatlicher Hilfspakete zur Unterstützung notleidender Hausbesitzer ganz oder teilweise zu annullieren. Das triebe die Staatsverschuldung nur noch weiter an.
Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die Finanzkrise mit diesem Rettungsplan einer Lösung nun näher ist als Mitte der vergangenen Woche, als auf den Finanzmärkten Panik ausbrach. Was sich hingegen deutlich zeigt, das ist der immer größere, immer unkontrolliertere Einfluss der Finanzindustrie.
Was den eingangs angerissenen zweiten Punkt angeht, nicht nur ungedeckte, sondern Leerverkäufe generell bei mehr als 800 Aktien aus dem Finanzbereich zu verbieten, so wird damit dem Markt ein wichtiges Korrektiv genommen. Er wird asymmetrisch verstümmelt. Abgesehen davon gibt es Möglichkeiten der Umgehung der Verbots, etwa durch entsprechende Derivate und dergleichen. Das wird fast zwangsläufig weitere fallweise Verbote und damit weitere punktuelle Eingriffe in den Markt nach sich ziehen. Durch zunehmende Eingriffe wird meiner Meinung nach das Ziel der Stabilisierung der Märkte nicht erreicht - im Gegenteil.
Es ist schon interessant, in Boom-Phasen hat niemand daran gedacht, das Eingehen von Long-Positionen zu verbieten, um ein weiteres Aufblasen von Blasen zu verhindern. Wo war da die Sorge für die Stabilität?
Das Außerkraftsetzen des freien Spiels von Angebot und Nachfrage an den Börsen entspricht dem Aushebeln der Marktmechanismen im Zuge des Rettungsplans der US-Regierung. Damit gewinnen Staat und Bürokratie zunehmend Einfluss genau dort, wo er nicht hingehört. Denn auf der operativen Ebene des Marktes haben sie nichts zu suchen, jedenfalls nicht als gestaltende Kräfte - Überwachung ist ein anderes Thema. Und dort, wo sie gestalten sollten, nämlich bei den Rahmenbedingungen der Wirtschaft, haben sie kläglich versagt. Schon eine deutliche Einschränkung der Möglichkeiten, Kredite auszugeben und das damit verbundene Risiko anschließend weiterzuverkaufen, hätte die Finanzkrise im Vorfeld eindämmen können.
Am Rande: Nouriel Roubini sieht herbe Verluste auf die europäischen Finanzinstitutionen zukommen. Daniel Gros und Stefano Micossi untersuchen in VOX die Frage, ob etwas Ähnliches wie in den USA auch in Europa passieren kann. Ihre Antwort: Hier sind die Finanzinstitutionen nicht nur zu groß, um zu fallen, sie sind auch zu groß, um gerettet zu werden. So belaufen sich die Verpflichtungen der Deutschen Bank auf etwa 2 Bill. Euro, das sind gut 80% des deutschen BIP, die der Barclay-Bank übersteigen sogar das BIP Großbritanniens. Die Verpflichtungen von Fortis sind ein Mehrfaches des belgischen BIP. Damit kann nur noch die EZB helfen, wenn es zu analogen Problemen wie in den USA kommt.
© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de