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Harry Schultz: Nur eine Reaktion im übergeordneten Bärenmarkt

10.02.2004  |  Ralf Flierl
Smart Investor im Gespräch mit der Investment-Legende Harry Schultz über die Auswirkungen der Abschaffung des Gold-Standards, dahingehende philosophische Aspekte und das baldige Ende des momentanen Börsenaufschwungs.


Smart Investor: Mr. Schultz, seit mehr als 39 Jahren schreiben Sie den "International Harry Schultz Letter" und können somit neben Jim Dines und Richard Russel zu den drei erfahrensten Herausgebern von Börsenbriefen gezählt werden. Wie unterscheidet sich die heutige Zeit von früheren Zeiten in Ihrer Karriere?

Schultz: Ich möchte darauf in französisch, der Sprache meiner Wahlheimat, antworten: Plus ca change, plus c’la meme chose (zu deutsch: je mehr sich die Dinge verändern, um so ähnlicher werden sie sich; Anm. d. Red.). Wenn Sie nur lange genug leben, sehen Sie die Wiederkehr einer jeden Art von Marktphase bzw. eines jeden Zyklus. Vergleichbar den 70ern erleben wir momentan wieder einen Gold-Bullenmarkt.

Smart Investor: Das klang nun sehr philosophisch. Überhaupt fällt einem beim Lesen Ihres Börsenbriefes auf, daß Sie sich nicht nur mit der Börse und der Wirtschaft beschäftigen, daher die Frage: Sehen Sie irgendwelche Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen?

Schultz: Ja. Veränderungen beim Sozialverhalten und/oder den Moralvorstellungen sind hilfreich, um einordnen zu können, in welchem Stadium sich ein Bullen- oder Bärenmarkt befindet, und ob es bald zu Eskalationen oder Rückgängen kommen wird, oder ob ein Markt in ein nächstes Stadium übergehen wird. Diese sozialen Veränderungen sind keinesfalls als präzise Timing-Instrumente zu sehen, wohl aber können sie eine wertvolle Hintergrundinformation sein, um das, was die technischen Indikatoren sagen, zu untermauern oder zu entkräften.

Smart Investor: Sie sehen in der Abschaffung der Gold-Standards einen Grund für soziale Veränderungen. Können Sie uns das näher erklären?

Schultz: Jedermann benötigt Standards bzw. Gesetze, Kinder sind hierfür ein gutes Beispiel. Ohne Verhaltensmaßregeln verhalten sich Kinder falsch und werden egoistisch, das gleiche gilt natürlich auch für Erwachsene. Der Gold-Standard gab Richtlinien für das Verhalten von Regierungen. Demnach konnte nicht inflationiert werden, die exzessive Kreation von Papiergeld war unmöglich, und die Staatsverschuldung konnte nicht aus dem Ruder laufen. Das Nichtvorhandensein des Gold-Standards in den letzten Jahrzehnten hat zweifelsohne auf die Gesellschaft abgefärbt. So können Sie beobachten, daß alle moralischen Errungenschaften unserer Zivilisation mehr und mehr unter die Räder kommen, und infolgedessen nehmen Scheidungen, Betrug und Verbrechen ständig zu.

Smart Investor: Erklären Sie doch einmal Ihre persönliche Beziehung zum Gold!

Schultz: Obwohl ich immer ein Befürworter des Gold-Standards war, empfehle ich Gold nicht prinzipiell als Investment, außer in einem Gold-Bullenmarkt wie momentan. Im Jahre 1980, als der Goldmarkt sein Hoch erklomm, habe ich verkauft und sogar empfohlen, short im Gold zu gehen. Ich bin eben ein Realist.

Smart Investor: Ein weitsichtiger Investor sollte Ihrer Meinung nach also jetzt im Edelmetall-Sektor engagiert sein. Empfehlen Sie nur physisches Metall oder auch Minenaktien?

Schultz: Beides. Das Metall eignet sich nicht für das Trading. Es eignet sich für das finanzielle Überleben. Goldaktien dagegen sollten sogar energisch getradet werden. Gewinne in der einen Aktie sollte man mitnehmen und zugleich den Erlös in einer anderen Aktie investieren. Man sollte stark gestiegene Aktien verkaufen und liegengebliebene Aktien kaufen. Ich halte die Charttechnik dabei für die beste Methode um laufend, aber beständig kleinere Gewinne zu machen.

Smart Investor: Welches sind Ihre Favoriten unter den Goldminen-Aktien? Können Sie uns ein paar Namen nennen?

Schultz: Ja und nein. Namen zu nennen ist einfach, aber was ich heute als Kauf einstufe, kann für mich in wenigen Tagen schon ein Verkauf sein. Ich halte ein Goldaktie selten länger als zwei bis drei Wochen. Warum sollte ich meine Gewinne wieder hergeben? Making a profit (= eine Aktienposition ist im Gewinn; Anm. d. Red.) und taking a profit (= Realisation eines Gewinns; Anm. d. Red.) sind zwei sehr verschiedene Dinge. Dennoch möchte ich Ihnen ein paar Goldminen nennen, die ich qualitativ für gut erachte: Wheaton River, Newmont Mining, Inmet, Gold Resources, Golden Star und Goldcorp. Nebenbei bemerkt gebe ich jeden Mittwoch Kauf- und Verkaufsempfehlungen in meinem wöchentlichen Online-Service "Gold Charts R Us".

Smart Investor: Was halten Sie vom aktuellen Verhalten der USRegierung und der amerikanischen Notenbank?

Schultz: Die Fed handelt unverantwortlich. Sie schürte das Feuer der Dotcom-Blase, obwohl es klar war, daß sie eindämmend hätte agieren müssen, z.B. indem sie die Margin-Anforderungen heraufgesetzt hätte, wie ich immer angeregt hatte. Aber Greenspan weiß es nun einmal besser, und überhaupt tut er ja immer das, was der jeweilige Präsident ihm aufträgt. Und die Mitglieder der US-Administration tun in erster Linie das, was ihnen zur Wiederwahl verhilft. Auch einige deren Aktionen halte ich für unverantwortlich.

Smart Investor: Seit März dieses Jahres gehen die meisten Aktienmärkte sehr stark nach oben. Sehen Sie in dieser Bewegung einen neuen Bullenmarkt oder nur eine Rally?

Schultz: Ich habe in meinem Leben 22 Bücher geschrieben, vier davon über Bärenmärkte. Ich habe mich also sehr stark mit dieser Materie beschäftigt und kann Ihnen daher sagen: Wir sind in einem übergeordneten Bärenmarkt, und dieser wird sich vermutlich noch über einige weitere Jahre erstrecken. Was wir seit März erleben, ist folglich nur eine untergeordnete Gegenbewegung bzw. Reaktion innerhalb einer großen Baisse. Wenn Sie wollen, können Sie natürlich von einer Rally sprechen, aber technisch gesehen handelt es sich um eine untergeordnete Gegenbewegung. Im übrigen habe ich den Start dieser Rally vor ziemlich genau einem Jahr vorhergesagt (die US-Indices markierten ihr Tief bereits im Herbst 2002; Anm. d. Red.). Meiner Meinung nach ist die Rally noch nicht vorbei, aber sie dürfte nicht mehr sehr lange andauern.

Smart Investor: Und was wird uns danach erwarten?

Schultz: Danach werden die Bären wieder das Zepter übernehmen, und daher erwarte ich, daß der US-Aktienmarkt während der kommenden zwei bis vier Jahre immer wieder neue Tiefs markieren wird.

Smart Investor: Geben Sie uns doch zum Schluß einen Langfrist-Ausblick für die Märkte.

Schultz: Nachdem der übergeordnete Bärenmarkt zuende gegangen sein wird, womit ich – wie bereits gesagt – in zwei bis vier Jahren rechne, wird sich ein neuer übergeordneter Bullenmarkt entwickeln, welcher sehr stark sein wird. Ich vermag nicht zu sagen, was dann mit Gold passieren wird. Es ist zu früh, um sich jetzt schon festzulegen. Es wird unter anderem davon abhängen, wie sich das monetäre System bis dahin entwickeln wird, z.B. im Hinblick auf einen weiterhin schwachen Dollar und die Rezessionen, die vermutlich noch vor uns liegen werden.

Smart Investor: Danke für das interessante Gespräch.

Interview: Ralf Flierl



Download: Nur eine Reaktion im übergeordneten Bärenmarkt

Quelle: Fachzeitschrift "Smart Investor", Ausgabe 01/2004



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