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Null Prozent

23.11.2008  |  Klaus Singer
Die Rendite der Drei-Monats-TBills hat im gestrigen Ausverkauf bei Aktien kurzzeitig die Marke von 0 Prozent erreicht. Unmittelbar nach der Lehman-Pleite stürzte sie im September schon einmal fast auf Null, seither liegt sie im Durchschnitt unterhalb von 0,5 Prozent.

Was sagt uns das? Erstens, die Akteure an den Finanzmärkten verfügen über reichlich Liquidität - Rendite und Nachfrage sind komplementär. Zweitens, ihre Flucht aus „Assets“ wie Aktien und Rohstoffen treibt sie in die Sicherheit von Staatspapieren, sie nehmen dafür auch in Kauf, nur eine minimale bis gar keine Verzinsung zu erhalten.

Parallel zu den Nullzinsen bei den TBills werden TBonds gekauft, als gäbe es morgen keine mehr. Den Startschuss lieferten die Inflationsdaten in den USA. Der CPI ist Oktober um 1,0 Prozent gegenüber dem Vormonat gesunken, er hat damit von Monat zu Monat gerechnet so stark abgegeben, wie seit 1947 nicht mehr. Der PPI hatte am Tag zuvor den stärksten Einbruch seit Beginn der Erhebungen verzeichnet.

Gleichzeitig signalisierte die Fed im Protokoll der jüngsten FOMC-Sitzung, dass weitere Zinssenkungen anstehen. Für 2009 wird eine BIP-Schrumpfung von 0,2 Prozent erwartet. Für 2008 werden zwischen 0 und 0,3 Prozent Wachstum vorhergesagt, im Juni hatte man noch 1,0 bis 1,6 Prozent Wachstum erwartet. Die Arbeitslosenquote wird für 2008 mit 6,3 bis 6,5 Prozent erwartet, 2009 sollen es zwischen 7,1 und 7,6 Prozent werden. Einige Fed-Mitglieder rechnen für 2009 mit minus 1,0 Prozent Wachstum und 8 Prozent Arbeitslosenquote. Selbst das dürfte sich noch als Wunschdenken herausstellen.

Sinkende Preise, niedrige Zinsen, Wirtschaftsabschwung - zunächst das perfekte Umfeld für TBonds. Mit verstärkten Käufen am langen Ende wird die Zinsstruktur etwas weniger steil. Die Differenz zwischen der Rendite der 13-wöchigen TBills und den 20-jährigen TBonds lag zuletzt bei über vier Prozent. Das "faire KGV" nach Fed-Modell liegt aktuell bei fast 32, so hoch wie zuletzt in der ersten Jahreshälfte 2003, als man die vorhergehende Rezession abgehakt und der Irak-Krieg der Startschuss für den zurückliegenden Bull-Run bei Aktien gegeben hatte. Das Momentum ist kurzfristig viel zu hoch für eine nachhaltige Entwicklung, spiegelt aber die panikartige Flucht aus Aktien und Rohstoffen eindrucksvoll wider.

Weitere Indizien für die horrenden Kapitalsummen, die nach Anlage suchen (und bisher bei den Bonds fündig wurden): Die Reserven in den USA haben sich im Monatsvergleich im September verdoppelt und im Oktober nochmals mehr als verdreifacht. (Siehe Chart unter "Makrodaten" auf www.timepatternanalysis.de). Damit stehen sie aktuell mehr als sieben mal so hoch wie zu Jahresbeginn. Zugleich ist die Überschussliquidität seit August von einem Stand bei rund zwei auf aktuell 267,9 Mrd. Dollar explodiert.

Das übersteigt jetzt das Volumen des Übernacht-Interbanken-Geldmarkts. Damit wird es für die Fed zunehmend schwerer, diesen zu steuern. Das zeigt sich daran, dass das Target Fed Fund Rate (FFR) seit Ende Oktober bei einem Prozent, die effektive FFR seither im Durchschnitt aber bei lediglich bei 0,3 Prozent liegt. (Siehe Chart in diesem Artikel unter "Texte" auf www.timepatternanalysis.de).

Dies spiegelt die Erwartung der Akteure wider, dass die Leitzinsen in Kürze um weitere 0,5 Prozent gesenkt werden, bestätigt aber auch einen Paradigmenwechsel bei der Fed>. Seit dem dritten Quartal fokussiert sie nicht mehr so sehr die Steuerung der Leitzinsen, sondern verfolgt einen quantitativen Ansatz, der darauf abzielt, Unmengen an Reserven in das Bankensystem zu pressen.

Die Erwartung ist, dass die Banken die explodierenden Reserven dazu nutzen, Assets mit höherer Rendite handeln und auch die Kreditvergabe für Unternehmen und Verbraucher auszuweiten. Das erstgenannte Ziel dürfte schon bald in Erfüllung gehen. Die auf dem Liquiditätsparkplatz der TBills zwischengelagerten Gelder sind die Luft für die nächste Blase, die so sicher kommt, wie sich der Derivate-Markt auch in den Zeiten der Finanzkrise weiter aufgebläht hat. Der umfasst jetzt nominal ein Volumen von über 680 Bill. Dollar - 15 Prozent mehr als zum Jahreswechsel. Im Jahr 2000 war er gerade mal 95 Bill. Dollar groß. Es passt in die Rezessionslandschaft, dass Zinsderivate im Vergleich zum Halbjahr 2007 um 32 Prozent auf über 450 Bill. Dollar gestiegen sind und damit den größten Einzelposten ausmachen.

Ob allerdings die Kreditklemme so bald vom Tisch kommt, ist eher zu bezweifeln. Warum sonst hat das US-Finanzministerium seine Marschrichtung geändert und gibt Mittel des TARP-Programms künftig verstärkt für den Kauf von Konsumentenkredit-Besicherungen aus? Das dämpft zwar den ansonsten zu schnellen Absturz der Kreditvergabe, eine Trendwende ist damit aber nicht in Sicht.

Die Schulden des amerikanischen Verbrauchers betragen 140 Prozent des verfügbaren Einkommens. Im Jahre 2000 lag die Quote bei 100 Prozent, in den frühen 1990er bei 70 Prozent. Gleichzeitig steht dieser überschuldete Konsument für mehr als 70 Prozent des BIP.

Die Normalisierung dieser Verhältnisse erfordert zumindest eine Angleichung der Sparquote auf das Niveau der frühen 1990er Jahre. Das zieht eine direkte Schrumpfung des BIP um 800 bis 900 Mrd. Dollar nach sich. Mit den damit verbundenen Nachfolgeeffekten ergibt sich ein Kontraktionspotenzial von etwa 10 Prozent. Daran sieht man, wie wichtig es ist, diesen Vorgang zeitlich zu strecken und genau das steckt hinter der Umorientierung von TARP.

Nouriel Roubini glaubt, nachdem die realen Einzelhandelsumsätze in den USA nun schon fünf Monate in Folge sinken, könnte das BIP der USA im vierten Quartal um 5 Prozent oder sogar mehr schrumpfen. Die Rezession dürfte insgesamt drei mal so lang und mindestens drei mal so schwer wie die beiden zurückliegenden und die schlimmste seit dem Ende des zweiten Weltkriegs werden.

Bleibt die Frage, wann die Liquidität den TBill-Parkplatz verlässt und wohin sie dann fließt. Wahrscheinlich dürften Bonds übergeordnet noch weiter profitieren. Man braucht kein Hellseher zu sein, dass ab einem bestimmten Punkt auch Aktien wieder ins Blickfeld geraten. Damit das allerdings etwas nachhaltiger passiert als im Rahmen von kurzatmigen Bärenmarkt-Rallyies, muss die deflationsspirale zum Stillstand kommen. Die ist jedoch erst seit kurzem wieder in Betrieb und das dürfte sich nicht so bald ändern.

Auch ein Element der Deflation - die Krise der Kfz-Branche. Hier schwingen bestimmt - insbesondere bei den Autobauern der USA- Gründe mit, die in einer verfehlten Modellpolitik zu tun haben. Aber zugrunde liegt die mangelnde Kaufkraft und bezogen auf Deutschland gilt: Hartz-4-Empfänger kaufen keine Autos (jedenfalls nicht genügend). Da unternimmt man jahrelang (fast) alles, um das Lohnniveau zu drücken und anschließend wundern sich die Wirtschaftsweisen und solche, die es werden wollen, dass die Autobranche nichts mehr verkauft.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de





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