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Ab in den Keller?

20.02.2009  |  Klaus Singer
Ausgerechnet am gestrigen, hohen, un-gesetzlichen, rheinländischen Feier-Tag unterschreitet der Dow seine Tiefpunkte aus November vergangenen Jahres. Ein in die fünfte Jahreszeit passender Scherz ist das nicht.

Der Dow hatte sich in der 2000er Baisse von den großen US-Aktien-Indices am besten gehalten, der NDX war am stärksten unter die Räder gekommen. In der aktuellen Baisse scheint es umgekehrt. Der NDX ist von seinen November-Tiefs noch ein Stück entfernt, offenbar erwarten die Investoren, dass die Technologie von den Wundern der weltweit beschlossenen staatlichen Anreizpakete besonders profitiert.

Der "Globalisierungsindikator" Dow Jones Transport-Index hat die November-Tiefs bereits über sich gelassen und nimmt die Tiefpunkte aus 2003 ins Visier, aktuell notiert er so tief wie seit Herbst diesen Jahres nicht mehr. Der Halbleiterindex SOXX bewegt sich schon länger unter dem Niveau aus 2003.

Gestern wurde im ersten Drittel des US-Handels längere Zeit versucht, die Kurse vom November-Niveau 2008 weg zu ziehen. Dafür sprach der deutliche Vorlauf der Futures, die teilweise noch deutlich im Plus lagen, als die Kasse schon rote Zahlen zeigte. Dazu passt auch, dass die Volumenverteilung anfangs noch leicht für Akkumulation sprach, per Handelsschluss dann jedoch in Distribution kippte. Ein sehr bärisches Bild - die Seitenlinie ist in Distribution im Käuferstreik.

Ebenfalls für angelegentliche Kurspflege sprach gestern der VIX. Er war vor einigen Tagen über die wichtige Linie bei 47,80 gestiegen und hatte dort als Tageskerzen zwei "Kreuze" in Folge ausgebildet. Gestern tauchte der "Angst-Index" unter die genannte Demarkationslinie und schloss genau an der EMA50. Ein längerer, unterer Docht zeigte, dass den bullischen Avancen nicht genügend Akteure folgten. Auch dies ein Indiz für mangelnden Zulauf auf der bullischen Seite.

Unter Intermarket-Gesichtspunkten passte gut zu dem frühen bullischen Versuch, dass der Euro gegen Dollar zeitweilig deutlich anstieg. Ein fester Dollar war in den zurückliegenden Monaten fast stets Begleiterscheinung von zunehmendem Pessimismus und Angst in den Finanzmärkten (und umgekehrt). Die gleiche Aussage lieferten die "Carry-Trade-Indikatoren" Dollar/Yen und Euro/Yen, die Ausbrüche versuchten. Beide halten sich übrigens auch zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels vergleichsweise fest. Das spricht nicht für Flucht aus dem Risiko und somit auch noch nicht für komplette Kapitulation der Bullen.

Somit scheint mir durchaus noch nicht alles verloren. Vielmehr haben die Aktienmärkte noch die Chance auf eine Gegenbewegung, womöglich nach vorangegangener Panik-Attacke. Aber der Faden, an dem dieses Szenario hängt, ist denkbar dünn. Und das aktuelle Marktverhalten erhärtet den Verdacht, dass das aktuelle Niveau keinen dauerhaften Bestand hat, sprich der Boden der Märkte wird noch deutlich tiefer liegen. Ich hatte dies im S&P 500 bereits vor einiger Zeit bei 500 bis 600 Punkten benannt.

Woher soll es auch kommen? Nur ein paar Schlaglichter, die untermauern, dass diese Krise noch lange nicht ausgestanden ist. Und aufkommende Helligkeit demzufolge nicht das Licht am Ende des Tunnels sind.

(1) Bei der Hypo Real Estate (HRE) sollen zum Teil hochspekulative Geschäfte in Milliarden-Höhe getätigt worden sein, die nicht in der Bilanz auftauchen. Es ist nun von einer Summe von insgesamt knapp einer Billion Euro die Rede, die laufend mit neuen Krediten refinanziert muss. Die Bundesregierung hat die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Enteignung geschaffen. Ein Großaktionär verlangt knapp drei Euro pro Aktie, etwa das Doppelte des aktuellen Kurses. Warum so bescheiden? Hinzu kommt, dass Pfandbriefe ja vielleicht auch weiterhin eine der sichersten Anlageformen sind, aber seit der Krise um die HRE ist der Markt fast völlig kollabiert. Und ob er nochmals aufersteht, ist mehr als fraglich, insbesondere seit Anfang der Woche, als die Bundesregierung Garantien für Bankanleihen von drei auf fünf Jahre verlängert hat. Die sind damit jetzt praktisch so sicher wie Pfandbriefe (so lange die Bonität stimmt...). Damit kauft die Regierung eine Bank, deren Geschäftsmodell ohne Zukunft ist. Das bedeutet nicht anderes, als dass kaum eine Chance besteht, dieses Institut jemals wieder profitabel zu machen und gewinnbringend zu verkaufen. Wer steht wohl für die o.g. Summe gerade? Ja, Frau Merkel und Herr Steinbrück persönlich – wer sonst.

(2) In den weniger von der Krise tangierten osteuropäischen Ländern Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien dürfte das BIP um mindestens 2 bis 5 Prozent fallen. In den stark betroffenen Ländern Baltische Staaten, Bulgarien, Rumänien, Ukraine dürfte der Rückgang zweistellig ausfallen. Das wäre vergleichbar mit oder sogar schlechter als bei der Asien-Krise 1997/98. Die externen Ungleichgewichte (Handelsbilanzdefizit) lagen in den südostasiatischen "Tigerstaaten" seinerzeit bei 3 bis 8,5 Prozent des BIP, in Rumänien, Bulgarien und in den Baltischen Staaten wird für 2008 mit deutlich über 10 Prozent gerechnet.

(3) Den Anstieg des Baltic Dry Index zuletzt hatten Optimisten als Beleg dafür genommen, dass sich der Welthandel erholen könnte. Das Volumen an Containerverschiffungen in Singapur ist jedoch im Januar um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken, Schätzungen gehen für 2009 insgesamt von minus 20 bis 30 Prozent aus. Jeder Markt hat zwei Seiten - Angebot und Nachfrage. Der Hupfer im die Seefrachtraten wiedergebenden Index dürfte eher durch knapperes Angebot bewirkt worden sein, als durch steigende Nachfrage. Und das wäre ein weiterer Hinweis darauf, dass die aktuelle Rezession in eine Depression übergeht (Drehbuch 1930ff).

(4) Die EZB denkt jetzt auch über "unkonventionelle Maßnahmen" nach. Bis jetzt hatte man sich stets von Überlegungen fern gehalten, sich in der Wahl der geldpolitischen Mittel der Fed anzunähern. Dies dürfte auch in Zusammenhang mit der sich zuspitzenden Situation in Osteuropa stehen. Zum ersten Mal überhaupt enthielt das am Mittwoch dieser Woche veröffentlichte FOMC-Protokoll eine langfristige PCE-Inflations-Prognose. Das Inflationsziel soll zwischen 1,7 und 2 Prozent liegen. Im gegenwärtigen Umfeld deflationärer Risiken dürfte eine solche Wendung die Fortdauer der Politik niedriger Leitzinsen (und lockeren Geldes) für einen längeren Zeitraum festschreiben. Beide Nachrichten sind im aktuellen Kontext keine guten Nachrichten - sie untermauern nur, dass die Finanzmärkte noch lange nicht durch das Tal sind.

Gibt es auch etwas Positives? TBonds sind gerade wieder gesucht, nachdem Obama gestern ein Paket zur Rettung notleidender Hypothekenschuldner im Volumen von über 250 Mrd. Dollar vorgestellt hat. "Die richtige Richtung, aber zu wenig", befindet Prof. Shiller (der vom Case/Shiller-Hauspreis-Index). Ich denke auch, 250 Mrd. Dollar sind noch nicht das letzte Wort. ...Wieder nichts Positives...

Der allmählich zumindest kurzfristig in eine exponentielle Bewegung eintretende Goldpreis (erst recht der von Silber) signalisiert, dass immer mehr Marktteilnehmer mit einer deutlichen Inflationierung rechnen. Das wäre der systemkonforme Weg des geringsten Widerstands zur Lösung der Krise. Möglicherweise wird es aber mit der Inflation nichts, denn warum soll ein System in einer existentiellen Krise zwangsläufig so reagieren, dass es sich dabei selbst stabilisiert?

JPMorgan, Citigroup und die HSBC USA halten gut 60 Prozent der gesamten Comex-Shortpositionen im Gold. Daraus ließe sich folgern: Gold müsste eigentlich vor dem Hintergrund, dass die Nachfrage weit größer ist als das Angebot, schon deutlich über 1.000 Dollar notieren. Aber auch das Gegenteil ist bedenkenswert: Was wissen die, was wir nicht wissen? Die engen Beziehungen JPMorgan/Fed sind bekannt, JPMorgans Anteil bei den Shortpositionen kommt auf fast 80 Prozent.

Charts von erwähnten Werten können über diesen Artikel unter "Texte" auf www.TimePatternAnalysis.de eingesehen werden.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de








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