Inflation - das Trojanische Pferd?
10.11.1999 | Christian Fürst
Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich eines vorweg nehmen... Die Risiken des gegenwärtigen Amerikanischen Wirtschaftbooms sind nicht inflationär, sondern deflationär.
Übertriebene Inflationsängste?
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht mindestens ein Wirtschaftsindikator mit (angeblichem) Schicksalsfaktor veröffentlicht wird. Das Arsenal der Inflationshengste ist schier unerschöpflich: CPI, PPI, Unemployment Rate, GDP, etc. etc....
Unbestritten ist, dass die kurzfristig vorlaufenden US-Indikatoren anziehendes Gefahrenpotential steigender Preise andeuten. Nicht umsonst hat die Amerikanische Notenbank am 30. Juni die Leitzinsen um 25 Basispunkte angehoben. Aufgrund Alan Greenspan´s letzter Rede vom 22. Juli kann jedoch klar gesagt werden, dass die Kernaussage dieser festeren Geldpolitik nicht in einem akut vorhandenen Inflationsdruck zu suchen ist, sondern in der jüngsten Erholung der Globalen Finanzmärkte. Es versteht sich dabei von selbst, dass die Fed die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung der Preise genaustens verfolgen wird denn... Überhitzungsgefahr besteht durchaus - aber sie ist kontrollierbar.
Der nächste - mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit am August-FOMC-Meeting erfolgende - Zinsschritt wird deshalb erneut nicht unter dem Siegel der Inflation, sondern mit der Begründung einer Rückgängigmachung vergangener Liquiditätsspritzen vollzogen, der insbesondere präventive Wirkung haben soll.
Im übrigen kann es dieses Jahr durchaus noch zu weiteren Zinsanhebungen in 25BP-Schritten kommen. Ob, und vor allem wann es zu solchen kommt ist von Einflüssen abhängig, auf die ich weiter unten noch zu sprechen komme.
Die momentan allgegenwärtigen Inflationsängste sind also nur vorübergehender Natur und werden spätestens infolge der nächsten Korrektur an den Aktienmärkten schnellstens verfliegen.
Das Pferd verbirgt Deflation
Lassen Sie mich erst erwähnen, dass die aktuelle Amerikanische Welt durchaus als "makellos" bezeichnet werden könnte. Mehr noch... Dieses Land verkörpert in fast reinster Manier den Inbegriff des perfekten Wettbewerbs, wie er von A. Smith (1723-1790) und später auch A. Marshall (1842-1924) so treffend beschrieben wird.
In einem kompetitiv perfekt funkionierenden Markt gelten folgende Umstände:
- Jedes Unternehmen kann zu jeder Zeit, in jedes Marktsegment beliebig eintreten. Es bestehen keine einschränkenden Schranken.
- Das Scheitern einer Unternehmung wird nicht von marktfremden Kräften verhindert. Der Staat greift demnach nicht ein, um fehlgeschlagene Firmen aufzufangen.
- Konsumenten besitzen alle benötigten Informationen um die besten Kaufentscheide zu treffen.
- Kein Unternehmen und kein Industriesektor ist in der Lage Preise festzusetzen. Alle Firmen agieren endpreissenkend und sind nicht in der Lage Gewinnzuwächse mittels Preissteigerungen zu erzielen. Steigender Profit kann nur durch Kostenreduzierungen, Produktivitätszuwächse und Innovationen erreicht werden.
Werden diese Grundbedingungen einer - zweifelsohne fiktiven - perfekten Wettbewerbswelt umgesetzt, kann es keine Inflation geben.
Natürlich herrschen diese Grundsätze in der "realen" Welt nicht vollumfänglich. Es wäre im übrigen auch nicht umsetzbar - zu menschlich sind diese Vorgänge. Trotzdem ist jedoch immer mehr festzustellen, dass der globale Wirtschaftsapparat in zunehmendem Masse diesem "Ideal" näher kommt. Dadurch wird noch deutlicher, dass die derzeit vorherrschenden Zinsängste völlig unberechtigt sind - in ihrer Begründung jedenfalls.
1. Deflationsgefahr: Sinkende Produktivitätszuwächse
In dem oben genannten kompetitiven Markt - nennen wir ihn USA - werden die Preise ausschliesslich bestimmt durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Der Preis wird sich folglich dem tiefsten marginalen Aufwand des zuletzt im Markt gekauften Guts annähern.
Ein Produzent kann also Profitzuwächse nur durch Steigerung des Marktanteils erzielen - mit anderen Worten... durch das Verkaufen von mehr Einheiten. Er kann dies erreichen, indem er die Kosten, und somit auch den Preis eines Produkts senkt. Befindet sich ein Unternehmen in einer starken, oder gar marktführenden Stellung, kann es die Mitstreiter dazu "nötigen" die Preise ebenfalls zu senken, oder aber den Markt zu verlassen - falls dem Preiskrieg nicht standgehalten werden kann. Die Idee des perfekt kompetitiven Marktes kann jedoch nicht im Monopolismus enden, da neue Firmen die hinterlassenen Lücken finden und füllen werden.
Kosten können durch zwei Arten gesenkt werden... durch regressive und progressive Massnahmen. Bei der ersteren Methode kommt es vornehmlich zu Entlassungen und Budgetreduzierungen. In der letzteren wird der pro Mitarbeiter erzielte Umsatz erweitert durch Produktivitäts- und Innovationssteigerungen. Am effektivsten lässt sich die erwünschte Kosteneinsparung natürlich durch die Kombination von Marktanteilssteigerung und Umsatzerweiterung erreichen. Das Resultat solchen Vorgehens wären einerseits die Deckung der gemachten Preissenkungen, und andererseits ein enormes Gewinnwachstum.
In einem kompetitivien Markt werden die Preise in fallende Richtung tendieren. Dieses Szenario bietet keinen Grund zur Besorgnis, solange es auf progressiver Kostensenkung basiert. Denn wenn die Umsätze pro Angestellten steigen, können die Produktivitätszugewinne gemachte Preissenkungen mehr als ausgleichen.
Sie können sich nun also vorstellen, dass das Risiko dieses totalen Wettbewerbs in einer nicht wunschgemässen Umsatzentwicklung liegt...
In einem solchen Umfeld können Unternehmen nicht genügend progressive Produktivitätszugewinne erzielen. Die Folge eines solchen Umstands wird unweigerlich ein Wechsel auf eine mehr regressive Bahn sein. Arbeiter werden entlassen, Ausgabenbudgets werden gekürzt.
Die Kombination eines harten Wettbewerbs und schwacher Umsatzentwicklung addiert sich dann auf zu einer zerstörerischen deflationären Spirale, in der zum einen die Firmen unter schlechter Ertragslage zu leiden haben, und zum andern potentielle Arbeitskräfte in Beschäftigungsnotstand geraten.
2. Deflationsgefahr: Die spekulative Blase am Amerikanischen Aktienmarkt
Kaum jemand wird bestreiten, dass sich das gegenwärtige Bewertungsniveau Amerikanischer Aktien auf einem historisch einmalig hohen Niveau befindet. Um den Vorwurf einer "spekulativen Blase" rechtfertigen zu können, bedarf es jedoch trotzdem mehr als blosser Wortspiele - dessen bin ich mir bewusst. Denn hohe Kurs/Gewinn-Verhältnisse alleine reichen nicht aus um eine reale volkswirtschaftliche Gefahr darzustellen.
Als erstes ist es nötig, sich über das momentane fundamentale Umfeld in Kenntnis zu setzen...
Die Schätzungen der durchschnittlichen annuallisierten Gewinnzuwächse der nächsten fünf Jahre belaufen sich zur Zeit auf extrem hohe 15 Prozent. Die Analysten gehen für das Jahr 2000 im Konsens sogar von einem 16.5%-Zuwachs aus. Kombiniert man diese - zum Teil gerechtfertigte - Wachstumsdynamik mit der gegenwärtigen Preisentwicklungssituation wird schnell ersichtlich, dass die bestimmenden Faktoren eindeutig die momentane Bewertungslage unterstützen.
Allerdings muss man aus den euphorischen Zukunftserwartungen auch ableiten, dass die US-Aktienmärkte eine Perfektion vorweg nehmen, die nur sehr schwer erreicht werden kann und deshalb umso anfälliger auf Enttäuschungen ist. Entscheidend wird somit sein, ob die weiter oben beschriebenen progressiven Produktivitätssteigerungen in erforderlichem Masse möglich sein werden.
Angesichts der momentan eher wieder restriktiveren Geldpolitik und steigenden Rohstoffpreisen, wird es immer schwieriger die benötigten Produktivitätssteigerungen in benötigtem Umfang gewährleisten zu können. Der gegenwärtige Konsolidierungsprozess in allen Bereichen der Industrie zeugt hierbei von dem enormen Druck auf der Kostenseite. Somit erachte ich es als unwahrscheinlich, dass die aktuellen Gewinnwachstumsprognosen in erwartetem Ausmass erreicht werden können. Aus diesem Grund ist es auch mehr als Wahrscheinlich, dass die momentan eindeutig überhöhten Aktien-Bewertungsniveaus auf sehr absehbare Zeit korrigiert werden.
"Ja, und?" werden Sie sagen. Korrekturen standen in der Historie der Aktienmärkte an der Tagesordnung. Deshalb bedeutet dies noch lange nicht, dass darin eine Deflationsgefahr liegen muss - und schon gar nicht eine Beendigung der gegenwärtigen Hausse.
Die potentielle deflationäre Gefahr liegt nun nicht in der hohen Bewertung an sich, sondern - etwas abstrakt formuliert - in der Abhängigkeit der Amerikanischen Volkswirtschaft diese immens hoch gesetzten Zukunfterwartungen erreichen zu müssen. Diese Erkenntnis lässt sich erreichen durch einen Blick auf die Entwicklung der US-Sparquote(Personal Savings Rate). Diese sank in den letzten zehn Jahren von +5% bedrohlich rasch in den negativen Bereich, während die Netto-Zuflüsse in Aktienfonds zur selben Zeit in Dimensionen vorstiessen, die selbst im Sommer 1987 nicht mehr als Fünftel der derzeitigen monatlichen Multi-Billionenbeträge betrugen.
Und darin besteht auch die eigentliche Rechtfertigung, die derzeitigen Kursniveaus als spekulativ überhöht zu bezeichnen. Die Spekulation besteht nämlich darin, dass Staat, Unternehmen und Private Haushalte zunehmend Risikokapital an den Finanzmärkten aufnehmen in der Hoffnung, dieses zu einem späteren Zeitpunkt mit erzielten Kursgewinnen zurückzahlen zu können.
Was wird zuerst sein - das Ei oder das Huhn?
Die Frage könnte auch etwa so lauten: Werden zuerst die Aktienkurse fallen, oder kommt es erst zu Produktivitätseinbrüchen?
Nun, es wird rasch klar, dass zwischen der Konsumentenstimmung in Übersee und der mehrjährigen extremen Aufwärtsbewegung von Aktienindices eine enge Wechselwirkung besteht. Deshalb wird es auch schwer sein, die extatische Stimmung an der Börse durch externe Einflüsse wesentlich aus der Fassung zu bringen, solange sich die Produktivität der Amerikanischen Wirtschaft weiterhin progressiv stabil nach oben entwickelt. Allerdings dürfte es auch nur sehr schwer möglich sein ein Produktivitätsabschwung zu erleben, der von steigender Konsumentenstimmung und rekordhohen Aktienständen begleitet wird.
Deshalb wird es erst zu signifikanten Kursverlusten kommen müssen, bevor die deflationäre Spirale in Gang treten kann. Denn wie heisst es so schön?... "Aufschwung beginnt im Kopf." ... und genau so verhält es sich auch mit dem Abschwung.
Das Trojanische Pferd als Auslöser des Stimmungswandels?
Die Initialzündung der Deflation wird mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit täuschend echt in einer Verkleidung daherkommen, die wir heute als Inflationsgefahr bezeichnen.
Meiner Meinung nach wird sich die Amerikanische Notenbank in den nächsten Wochen von der Inflationsseite her - groteskerweise - zunehmend gezwungen sehen, die Geldpolitik zu straffen. Infolge dieser Massnahmen dürfte es (mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung) zu ersten feststellbaren Produktivitätseinbussen kommen - auch verursacht durch sinkende Aktienkurse und begleitend schwächerem Konsumentenvertrauen.
Vielleicht wird aber auch der Faktor Zufall eine entscheidende Rolle spielen wollen wenn es darum geht, Aktienkurse korrigieren zu lassen.
Der Lauf der Dinge dürfte aber auch diesmal wieder einmal klar machen, dass Aufschwung und Abschwung nicht ohne einander auskommen können. Das eine setzt das andere voraus...
© Christian Fürst