Der neue Personalausweis - innovatives High Tech oder gläserner Bürger?
28.08.2010 | Redaktion
Im Dezember 2008 beschloss der Bundestag die Einführung eines neuen Personalausweises (nPA) im Scheckkartenformat. Ab dem 1. November 2010 soll er nun ausgegeben werden. Die Bundesregierung und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) preist die "wichtigste Karte" als innovativ, revolutionär und hochgradig sicher an. Datenschützer indes laufen Sturm, befürchten einen Orwellschen Überwachungsstaat und mannigfaltige Betrugsmöglichkeiten.
Auf dem nPA mit seinem eingebauten Chip werden alle Personalien inklusive Lichtbild und (auf Wunsch) Fingerabdrücke gespeichert und sind elektronisch mittels des kontaktfreien RFID-Verfahrens auslesbar. Mit dieser Technik sind heute schon Ski-Pässe, Zugangskarten zu Büros und Parkhäusern oder Studentenausweise ausgestattet.
Da die Datenübertragung per Funk geschieht, sehen Datenschützer hier große Risiken: es ist kein Kontakt mehr zwischen Chipkarte und Lesegerät nötig, wie es bei Bankkarten oder Versichertenkarten noch der Fall ist. Datenräuber könnten mit einem entsprechenden Lesegerät beispielsweise in der U-Bahn in großem Stil Ausweisdaten auslesen, ohne dass der nPA die Brieftasche des Ausweisinhabers verlässt. Auf einen Blankoausweis kopiert, wäre dem Datenmissbrauch und Identitätsdiebstahl Tür und Tor geöffnet.
Nicht zu knacken oder nicht zu fassen?
Das BSI beruhigt: Die Daten seien hochgradig verschlüsselt und durch eine individuelle PIN derart geschützt, dass die Daten nicht geknackt werden könnten. Noch nicht - denn wer weiß, welche Möglichkeiten die Hackergemeinschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre, in welchen die erste Generation von nPAs gültig sein wird, noch erlangen werden.
Das elektronische Prüfverfahren für den Reisepass (ePass) hat sich jedenfalls als längst nicht so sicher wie versprochen herausgestellt. Ob das eigens für den nPA entwickelte Verschlüsselungsprotokoll ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren kann, wird sich eben erst zeigen, wenn das System einmal implementiert ist und von den Hackern "ehrenamtlich getestet" wird. Einen Artikel zur Sicherheit des nPA finden Sie auch hier.
Ein weiteres Horrorszenario der Datenschützer ist die Möglichkeit, anhand der kontaktlosen Ausweisidentifikation ein Bewegungsprofil des Bürgers zu erstellen - wann er sich wo aufgehalten hat, also an einem Lesegerät vorbei gekommen ist; ob die Strecke im Fahrtenbuch des Dienstwagens auch wirklich richtig dokumentiert ist; ob er sich im Ausland aufgehalten hat usw. Der gläserne Bürger bekäme von all dem nichts mit. Hinter jedem Fenster, unter jeder Parkbank könnte ein Lesegerät versteckt sein. Perspektive: Paranoia.
Kein Grund zur Sorge, so das BSI, sei doch die Reichweite der kontaktlosen Abfrage auf wenige Zentimeter begrenzt und nur besondere Behörden wie etwa Polizei, Zollverwaltung, Steuerfahndung, Pass- und Personalausweisbehörden oder Einwohnermeldeämter hätten die entsprechenden Zertifikate, um Ausweisdaten ohne Zustimmung des Karteninhabers auszulesen.
Allerdings kann man nicht garantieren, dass irgendwann ein solches Zertifikat den Weg in die falschen Hände findet. Zudem bedeutet das Wort "Ausweispflicht" nicht, dass man seinen Ausweis stets dabei haben muss. Man muss lediglich im Besitz eines gültigen Ausweises sein, der kann aber auch daheim bleiben.
Ausweisen im Internet
Als bahnbrechend werden die Verwendungsmöglichkeiten zur Authentifizierung im Internet beschrieben: Seien es Online-Shops, Behördendienste im Internet, Online Banking oder nicht jugendfreie Inhalte, der Inhaber des neuen Ausweises könne sich problemlos authentisieren, ohne dass der Anbieter auf der anderen Seite die Ausweisinformationen zu sehen bekommt - das System bestätige einzig die Richtigkeit der Daten. Außerdem könne der Karteninhaber mittels des nPA auch digitale Unterschriften tätigen. So soll der Bürger Zeit und Geld sparen können.
Eine Milchmädchenrechnung, denn erst einmal müssen Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher recht tief in die eigene Tasche greifen. Die dafür notwendigen Lesegeräte schlagen je nach Funktionsumfang mit 20 bis 80 Euro zu Buche. Wann sich diese Ausgabe rechnen wird, muss sich zeigen.
Auf der anderen Seite der Leitung müssen natürlich auch all jene Anbieter in die neue Technik und die Zertifikate investieren, die diese Funktionen erst ermöglichen. Für kleinere Verkäufer wird das deutsche System zu teuer, für internationale Riesen wie Amazon zu unbedeutend im Vergleich zum Rest der Welt sein.
Natürlich wird keiner gezwungen, das elektronische Identifizierungsverfahren (eID) zu nutzen. Zwar werden die nPAs standardmäßig mit einer aktivierten eID-Funktion ausgehändigt, auf Wunsch kann sie aber abgeschaltet werden. Andersherum wäre die Chance auf Akzeptanz bestimmt größer.
Logische Konsequenz fortschreitender Entwicklung
Über kurz oder lang wird sich eine Digitalisierung der Ausweise durchsetzen. Durch seine Pionierrolle hat Deutschland allerdings erst einmal den Schwarzen Peter und wird von den Datenschützern als "Big Brother" verdammt. Dabei sind diese Befürchtungen weitgehend unbegründet.
Doch bleibt bei der Datensicherheit ein Restrisiko, das schlichtweg nicht ausgeschlossen werden kann. Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Außerdem bleibt noch abzuwarten, ob sich die deutschen Standards international durchsetzen können.
Schlimmstenfalls könnte jedes Land sein eigenes Süppchen kochen, wenn alle neuer, sicherer und innovativer und gleichzeitig der Hackergemeinschaft stets ein, zwei Schritte voraus sein wollen. Wird es tägliche Updates für unsere Ausweise geben, wie wir sie schon vom Virenprogramm des Computers kennen? Wird eine Gültigkeitsdauer von aktuell zehn Jahren zum Sicherheitsrisiko? Wie oft müssen Ausweise, Zertifikate, Lesegeräte erneuert werden und wie teuer wird das? Wir werden sehen. Sicher ist nur: der nPA ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
Strategie für Skeptiker
Der neue Ausweis hat natürlich auch seinen Preis: Wer über 24 Jahre alt ist, muss 28,80 Euro auf den Tisch legen (unter 24 Jahre: 22,80 Euro). Die beste Strategie für nPA-Skeptiker und Schnäppchenjäger ist, bis spätestens September einen neuen "alten Personalausweis" zu beantragen. Dieser ist dann für über 24-jährige 10 Jahre lang gültig und kostet "nur" 8 Euro.
Weitere Infos zum neuen Personalausweis sowie ein Musterexemplar finden Sie beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unter: https://www.bsi.bund.de.
© Redaktion GoldSeiten.de
PS: Auch der Führerschein ist ab 2013 nur noch 15 Jahre lang gültig, danach muss ein neuer beantragt werden. Grund für diese Neuregelung ist eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006. Unbefristete Führerscheine, wie sie jeder Autofahrer noch in der Tasche hat, müssen bis 2033 umgetauscht worden sein. Aber keine Sorge: Sie müssen bislang weder eine erneute Fahrprüfung noch einen Gesundheitscheck bestehen.