Liquiditätstod an der COMEX
08.09.2011 | Theodore Butler
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Ich bin mir bewusst, dass ich auf Einzelmission war, als ich mich jüngst zu den außerordentlichen Entwicklungen am COMEX-Goldmarkt äußerte und die Meinung vertrat, die Gold-Commercials hätten sich beim Aufbau ihrer gigantischen Short-Position deutlich verkalkuliert. Ich weiß auch, dass ich ganz allein war, als ich den 300 $-Eilmarsch des Goldpreises Anfang August, ausgehend von der 1.600 $-Marke, im Wesentlichen auf die Short-Glattstellungen der Gold-Commercials zurückführte.
Aber nach wie vor deuten die staatlichen Daten darauf hin, dass der beispiellose Fehltritt der Commercials so ziemlich genau der Punkt ist, mit dem die volatile Preisentwicklung erklärt werden kann. Heute möchte ich der Frage nachgehen, was das für die Zukunft bedeutet; und an dieser Stelle möchte ich ganz deutlich hervorheben, dass eine korrekte Erklärung des kürzlich Geschehenen nicht mit einer akkuraten Prognose der vor uns liegenden Ereignisse gleichzusetzen ist.
Ich möchte an dieser Stelle nur erneut das aus meiner Sicht Offensichtliche darstellen: Die drastische Gold-Rally wurde durch aggressive Käufe einer Gruppe spekulativer Trader verursacht, die von der CFTC als "Commercials" klassifiziert werden. Viele machen den Fehler und nehmen an, dass allein die Klassifizierung "Commercials" schon bedeuten würde, dass deren Handelsgeschäfte durch reine Absicherungsabsichten motiviert sind. Ganz weit gefehlt! Denn ein Großteil ihres Trading-Geschäfts ist spekulativer Natur.
Obgleich es aus technischer Sicht sicher korrekt wäre, zu sagen, die Rally wurde durch Spekulativkäufe ausgelöst, so werden doch die meisten annehmen, dass diese Preisentwicklung mit neuen spekulativen Long-Positionen in Verbindung stand, die von schnell identifizierten Spekulanten - wie Hedgefonds und Momentum-Trader - etabliert wurden. Aber das ist definitiv nicht das, was sich in letzter Zeit beim Gold ereignet hatte, denn die normalen Hedgefonds- und Tech-Fonds-Spekulanten hatten Gold-Kontrakte an der COMEX verkauft - und nicht gekauft! Stattdessen traten die Commercials, die zuvor heftig short gewesen waren, als die großen Spekulativkäufer beim COMEX-Gold auf. Die korrekte Identifizierung der wahren, markttreibenden Spekulanten macht einen riesigen Unterschied und ist von entscheidender Bedeutung. Dass dieser Unterschied von nur so wenigen erkannt wird, verwundert mich sehr.
Es besteht kaum Zweifel daran, dass die Commercial-Gold-Shorts eine rüde Abreibung bekommen haben, als sie ihre Leerverkäufe glattstellen mussten. Ich schätze, dass der Gesamtverlust für die glattgestellten Goldkontrakte bislang im Bereich von 1,5 Mrd. $ liegen wird. Auch wenn man einen solchen Verlust zu gleichen Teilen auf die ungefähr 40 Trader, die an der COMEX als Commercial-Gold-Shorts klassifiziert sind, verteilt, so hat jede einzelne Körperschaft immer noch einen heftigen Durchschnittsverlust von 37,5 Mio. $ zu tragen. Und damit sind nur die Verluste aus den bisherigen Glattstellungen gemeint; es gibt jedoch immer noch eine große Anzahl offner Leerverkäufe in den Büchern der Commercials, die noch auf eine Begleichung warten.
Und jene "offenen" Verluste belaufen sich, zum aktuellen Goldpreis, auf weitere 8 Mrd. $. An dieser Stelle muss ganz einfach der beispiellose Umfang der glattgestellten und offenen Verluste deutlich hervorgehoben werden. Es reicht einfach nicht, zu sagen, diese Commercials hätten richtig dicke Verluste eingefahren. Da sie noch nie zuvor Verluste in diesen Dimension erlitten hatten, muss der allgemeine Umschwung jetzt schockierende Wirkung auf diese Commercials haben. Und vor diesem Hintergrund möchte ich nun der Frage nachgehen, was das für die Zukunft bedeuten könnte.
Die Commercial-Gold-Shorts an der COMEX sind Banken und Handelsfirmen - keine Privatpersonen. Jede kommerzielle Handelsfirma führt gewisse interne Finanzkontrollen durch und wird durch hauseigene Finanzdirektoren sowie Financial & Risk Officers überwacht. Der Umfang der im jüngsten Gold-Short-Debakel erlittenen Verluste stellt die in den Vorjahren generierten Gewinne in den Schatten. (Dasselbe war im Jahresverlauf schon beim Silber passiert.)
In Anbetracht der Plötzlichkeit und des Ausmaßes der Verluste der Commercial-Gold-Shorts wäre es nicht plausibel, sollten die unternehmensinternen Risikokontrollen nicht angeschlagen haben. Ganz sicher werden die Finanzvorstände und Leiter der Risikoabteilungen den Aktionsradius der für die Goldverluste verantwortlichen Trader eingeschränkt haben. Unbegrenztes Margin-Kapital wurde nicht erhöht - ganz im Gegenteil: Den Tradern wurde zweifellos Risikosenkung und Glattstellung der Positionen verordnet. Alles andere wäre unverantwortlich.
Sollte meine Analyse der jüngsten Geschehnisse am Goldmarkt ungefähr richtig sein, was hätte das dann zukünftig für Gold - und besonders für Silber - zu bedeuten? Eine Folge, die mir als nahezu sicher scheint, wäre ein schwerer Verlust von Liquidität oder wahrer Markttiefe. Es sieht tatsächlich nach dem Tod der wahren Liquidität am COMEX-Markt für Gold und Silber aus, die Hinweise darauf verdichten sich zunehmend. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sehr wohl über die in letzter Zeit hohen Volumenstatistiken an der COMEX im Bilde bin; und trotz des scheinbar hohen Volumens und der reichlichen Liquidität könnte die tatsächliche Markttiefe nahezu gestorben sein. Ich würde das gerne erklären.
Der Modus Operandi der großen berichtspflichtigen COMEX-Commercials war immer folgender: Die betreffenden Körperschaften dienten fast allen anderen Marktteilnehmern als Gegenpartei, besonders den Tech-Fonds, die aufgrund von Preissignalen kaufen und verkaufen. In dieser Rolle dienten die Commercials als Marktmacher, die am Markt für Liquidität sorgten. Die Tech-Fonds kaufen Positionen und die Commercials verkaufen sie ihnen - und umgekehrt. Das ist der Marktrhythmus, den ich anhand der COT-Berichte zu analysieren versuche.
Da Rohstoffmärkte offene, auktionsartige Märkte sein sollten und keine Märkte, die von Spezialisten dominiert werden, war ich auch immer der Meinung, dass diese Marktfunktion der Commercials Schwindel war. Es ist auch kein Geheimnis, dass ich die Geschäfte der Commercials allgemein als abgekartet und manipulativ erachte. Ungeachtet meiner persönlichen Gefühle ist es aber fraglos so, dass die großen Commercials an der COMEX als Marktmacher funktioniert haben.
Und dort liegt das Liquiditätsproblem begründet: Die dominaten Commercial-Marktmacher an der COMEX haben gerade die Goldpreis-Rally angeschürt und fahren jetzt ihre Aktivitäten deutlich zurück. Und das steckt hinter der großen Preisvolatilität beim Gold. Die ehemaligen Großverkäufer der letzten Instanz sind keine Verkäufer mehr. Die Aufgabe koordinierter Verkäufe seitens der Commercials fällt zudem mit dem Aufstieg des computerisierten Hochfrequenzhandels zusammen. Die geistlosen HFH-Aktivitäten sorgen für ein wildes Anwachsen des täglichen Handelvolumens, aber im Grunde erhöht diese Form des hochgepowerten Daytradings nur die Preisvolatilität, ohne dabei wirklich am Markt für Tiefe zu sorgen.
HFH erweist legitimen Absicherungsaktivitäten - und das ist die wirtschaftliche Legitimation des Terminhandels per se - einen schlechten Dienst. Es ist mit anderen Worten zu einem immensen Anstieg des stupiden Handels im Sekundentakt gekommen, der den vorausdenkenden Hedgern aber kaum wirklichen Nutzen bringt und der zudem noch einen schweren Rückgang echter Marktmacheraktivität verursachte. Womit das jeweils Schlechteste befördert wurde. Und ermöglicht wurde diese Entwicklung dank der Aktivitäten der CME Group (Eigentümer der COMEX), die den HFH unbedingt ausweiten will. Vielen Dank auch.
Die Short-Glattstellungen der Commercials waren nicht nur die Haupttriebkraft für die Goldpreis-Rally, sie stecken ebenfalls hinter der steigenden Volatilität am Markt. Als sich die besagten Commercials von Markt zurückzogen, trieben sie nicht nur die Goldpreise in die Höhe, sie verursachten ebenfalls eine wahrhaftige Leere bei der echten Liquidität. Wenn die Commercials nicht bei hohen Preisen verkaufen, wer dann?
Irgendjemand muss ihren Platz einnehmen, weil es für jeden Käufer auch einen Verkäufer geben muss; doch jetzt zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Verkäufer, die an die Stelle der Commercials getreten sind, nicht mit derselben Kraft und demselben Druck verkaufen, wie es früher die Commercials taten. Die besagten Verkäufer sind bislang Tech-Fonds und andere Long-Spekulanten gewesen, die bei hohen Gewinnen Kasse machten. In der Folge ist der Goldpreis jetzt plötzlichen Preissprints, hoch wie runter, ausgesetzt - wie ich schon an anderer Stelle deutlich machte.
Auf der einen Seite haben die fehlenden Leerverkäufe der Commercials den Goldpreisen Auftrieb gegeben. Auf der anderen Seite ermöglichen die fehlenden Käufe der Tech-Fonds wiederum schwere Kursverluste. Der Rückzug der Commercials und die vorläufige Kaufenthaltung der Tech-Fonds (da wir aktuell so weit über allen Kaufsignalen der Tech-Fonds liegen) haben einen Markt geschaffen, der frei jeder echten Liquidität ist. Folglich haben wir große Preisumschwünge bei gleichzeitig geringen Käufen und Verkäufen im Übernachthandel. Stimmt, wir haben aufgrund von HFH hohes Marktvolumen, das aber für alle anderen "Müll-Volumen" ist - außer für die HFH-Programme selbst, und für die gierigen Raffer in der CME Group, die an jedem gehandelten Kontrakt mitverdienen - ob nun Müll oder nicht.
Was bedeutet all das für den normalen Anleger? Es bedeutet, dass wir uns an die Volatilität gewöhnen müssen, weil sie nicht verschwinden wird. Überraschenderweise bedeutet es, so denke ich, viel mehr für Silberinvestoren als für Goldinvestoren, obgleich es in diesem Artikel bisher fast nur um Gold und nicht um Silber ging. Und das hat einen Grund. Der von mir eben beschrieben Prozess hat beim Gold in schon viel stärkerem Maße als beim Silber eingesetzt und Wirkung gezeigt. Beim Gold könnte es noch mehr Short-Glattstellungen geben, und wenn das passiert, wird auch anhaltender positiver Preisdruck wirken. Aber dieser Prozess ist schon recht fortgeschritten und der Goldpreis wurde schon in die Höhe geschickt; mir fällt es schwer, vorherzusagen, was als Nächstes passieren wird, aber es würde mich überraschen, wenn preislich überhaupt etwas passieren würde.
Beim Silber wird meiner Meinung nach etwas ganz anderes passieren. Auch beim Silber haben wir echte Liquidität verloren - so wie beim Gold. Das zeigt sich an der Volatilität des Silberpreises, genau wie beim Gold. Damals im April war es zur Panik unter den Silber-Commercials gekommen, sie stellten Short-Positionen glatt, was eine Preisexplosion nach sich zog, die bis zum Monatsende andauerte.
Dann kam es ab dem 1. Mai zu einer gigantischen, manipulativen Preisdrückung. Aktuell reagieren die Commercial-Silber-Shorts aber noch nicht so panisch wie es die Commercial-Short beim Gold jüngst taten. JP Morgan, die ich für den größten COMEX-Silber-Short halte, erhöhte laut COT sogar die Zahl der Leerverkäufe. Angesichts der Ereignisse am Goldmarkt glaube ich, dass es nur einer Frage der Zeit ist, bevor die großen Commercial-Shorts auch beim Silber panisch reagieren werden. Aber die Panik wird am Silbermarkt viel weitreichender sein als am Goldmarkt.
Die Haupttriebkraft der Gold-Rally waren die Short-Glattstellungen der Commercials an der COMEX. Bei einer Panik der Commercial-Silber-Shorts werden auch noch andere mächtige Kräfte freigesetzt. Und das liegt am grundsätzlichen Unterschied zwischen Gold und Silber - nämlich, dass Silber neben einem Edelmetallinvestment auch ein Industriemetall ist. Aufgrund von Short-Glattstellungen oder Investmentkäufen können die Preise von Gold und Silber sehr steil ansteigen. Da aber Gold kein Industriemetall ist, ist es auch höchst unwahrscheinlich, dass es hier zur Knappheit oder zu panischen Käufen seitens der industriellen Verbraucher kommen wird. Wie könnte es unter den industriellen Goldverbrauchern zur Panik kommen, wenn es keine industriellen Goldverbraucher gibt?
Industrielle Silberverbraucher gibt es weltweit in rauen Mengen, sie sind wie eine riesige Herde Gnus, die auf einer afrikanischen Ebene grasen. Nur der Anflug von Löwengeruch versetzt die Gnus in Panik. Der Geruch, der die Silberverbraucher aus der Industrie in Panik versetzen wird, sind deutliche Preissteigerungen einhergehend mit verzögerten Silberlieferungen. Eine Short-Glattstellung der Commercials an der COMEX wird mit Sicherheit für steigende Preise sorgen, so wie auch beim Gold und zuvor schon beim Silber.
Doch in Anbetracht der Knappheitssignale aus dem physischen Silbergroßhandel braucht es nicht viel, um einen Run auf das physische Metall auszulösen, was wiederum bei den industriellen Verbrauchern für Lieferverzögerungen sorgen wird. Wenn der erste industrielle Verbraucher panisch reagiert und seine physischen Lagerbestände aufstocken will, um die Produktion nicht zu gefährden, so wird sich das zusätzlich beschränkend auf die Lieferketten auswirken und die Lieferungen weiter verzögern - was wiederum für erhöhte physische Käufe sorgen wird.
Es lässt sich unmöglich sagen, wann ein solcher Prozess beim Silber einsetzen wird, aber wir sind diesem Punkt mit Sicherheit näher als jemals zuvor. Hier geht es mehr um Unausweichlichkeit als um Timing. Es wird dann kommen, wenn man es am wenigsten erwartet, aber es wird kommen.
Es ist bedauernswert, dass die wahre Liquidität an der COMEX abzusterben scheint, aber für langfristige Silberinvestoren ist das zweitrangig. Wichtiger ist, dass der Liquiditätstod wahrscheinlich auch das Sterben der laufenden Silbermanipulation signalisiert. Denn Liquidität und Manipulation sind fest mit den großen Commercial-Shorts an der COMEX verbunden. Wenn es eine Sache gibt, die den Silberpreis in den Himmel schicken könnte, dann das Ende der Silbermanipulation.
Die Gold-Botschaft lautet, dass sich die Commercials gewaltig verkalkulieren können, was die Preise und die Volatilität in die Höhe schnellen lässt. Die Silberbotschaft wird aber nicht allein diese sein, sie wird auch lauten, dass die unvermeidliche physische Knappheit zu weitaus steiler steigenden Preisen und weitaus kräftigerer Volatilität führen wird, als wir jetzt begreifen können.
© Theodore Butler
(Diese Abhandlung wurde vom Silberanalysten Theodore Butler, einem unabhängigen Berater, verfasst. Investment Rarities teilt seine Ansichten nicht notwendigerweise, diese können sich als richtig oder falsch herausstellen.) Exklusiv übersetzt für GoldSeiten.de. Das Original wurde am 06.09.2011 auf der Website www.investmentrarities.com veröffentlicht.
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