Finanzcrash 2.0 - darum ist der 27. November 2014 der wichtigste Tag seit Jahrzehnten!
25.11.2014 | Uli Pfauntsch
- Öl-Preiskrieg mit Saudi Arabien - eine Schlacht, die US-Shale-Produzenten nicht gewinnen können.
- Potenziell katastrophale Konsequenzen für US-Kreditmärkte und möglicherweise für die gesamte globale Wirtschaft.
- Zunehmend politische und wirtschaftliche Instabilität ölproduzierender Staaten wie Russland, Iran, Irak und Venezuela.
Am 27. November steht den globalen Finanzmärkten das vielleicht bedeutendste Ereignis seit Jahrzehnten bevor. An diesem Tag werden die 12 Mitglieder der OPEC in Wien über ihre Förderpolitik beraten. Noch ahnen die wenigsten, wie weitreichend die Folgen sein könnten. Sollte die OPEC unter Führung von Saudi Arabien ihre Zapfhähne offen lassen, droht das Ende des US-Shale-Booms. Mit weitreichenden Konsequenzen für das US-Finanzsystem und die globale Wirtschaft.
"Alice im Wunderland"
Die Politik in den USA sieht es mit Genugtuung, dass Erzfeind Russland unter den niedrigen Ölpreisen langsam aber sicher in den Ruin getrieben wird. Autofahrer freuen sich über die niedrigen Spritpreise und US-Konsum-Aktien schießen auf neue Jahreshochs. Die Internationale Energieagentur und US-Medien verkünden, dass die USA seine Rivalen Russland und Saudi Arabien in der Ölproduktion bald überholen und zur Nummer eins der Welt werden. Wie in alten Zeiten sollen die Vereinigten Staaten sogar wieder Öl exportieren.
90 Prozent aller CEOs von US-Ölunternehmen erwarten, dass die USA in fünf bis zehn Jahren energieautark sein werden. Auch Präsident Obama feiert sich und selbst und den Öl- und Gasboom: "Wir sind näher an der Energie-Unabhängigkeit als wir je zuvor, oder zumindest seit Jahrzehnten waren. Wir importieren zum ersten Mal seit langer Zeit weniger ausländisches Öl als wir selbst produzieren. Wir haben Erdgas für 100 Jahre, und wenn wir es verantwortungslos erschließen, kommen wir, wenn es um Energie geht, in die stärkste Position irgendeines industrialisierten Landes auf der gesamten Welt", so der US-Präsident in einer Rede vom 5. November.
Illusion und Realität
Doch der dramatische Absturz der Ölpreise offenbart eine geologische und ökonomische Realität, vor der sich Washington, Houston und die Wallstreet verweigern. Um es kurz zu machen: Das derzeitige Ölpreisniveau ist für die US-Shale-Revolution schlicht und ergreifend untragbar. Den Preiskrieg gegen Saudi-Arabien kann die US-Shale-Industrie nicht gewinnen.
Ursache sind die rapiden Schrumpfungsraten in den US-Schiefer-Plays: Die Produktion eines typischen Shale-Wells schrumpft bereits im ersten Jahr um circa 70 Prozent. Und nach drei Jahren ist die Produktion gewöhnlich um 80 bis 90 Prozent geschrumpft. Die Kosten pro Shale-Well belaufen sich auf etwa 7 bis 10 Millionen Dollar. Und es müssen viele Wells gebohrt werden. In North Dakota, benötigt es circa neue 2.500 Wells pro Jahr, allein um die Produktion von 1 Millionen Barrel Öl pro Tag aufrecht zu erhalten. Zum Vergleich: Im Irak benötigt es für dieselbe Menge Öl nur 60 Wells pro Jahr.
Der kanadische Geologe David Hughes, der erstmals zur Verfügung stehende Daten von bestehenden Shale-Wells auswertete, beschreibt das tödliche Dilemma der US-Shale-Companies mit einer "Drilling-Treadmill" (Bohr-Tretmühle). Es müssen mehr und mehr Wells gebohrt werden, nur um die Produktion aufrecht zu erhalten. Sobald die vielversprechendsten Öl-Gebiete, die so genannten Sweet-Spots, abgegrast sind, müssen die Unternehmen in Regionen bohren, die weniger Öl- und Gas liefern.
Vier von sieben Shale-Gas-Basins sind in Bezug auf ihre Well-Produktivität bereits im Rückwärtsgang: Das Haynesville Shale, Fayetteville Shale, Woodford Shale und Barnett Shale. Das bedeutet, dass die Bohrunternehmen mehr Geld ausgeben müssen, um noch tiefer zu bohren. "Wenn die Zukunft der US-Öl- und Gasproduktion von Ressourcen in den tiefen Shale-Lagerstätten abhängt, stehen wir vor einer großen Enttäuschung", so David Huges.
Das Problem mit den Break-Even-Kosten
Es gab in letzter Zeit viele Diskussionen über den Breakeven-Preis pro Barrel Öl, der benötigt wird, um die Bohrungen in unterschiedlichen Öl-Plays aufrecht zu erhalten. Manche sagen 80 Dollar, andere 70 Dollar. Einzelne Unternehmen, die in den Sweet-Spots produzieren, könnten sogar noch mit Ölpreisen von bis zu 50 Dollar überleben. Laut Research von JP Morgan Asset Management, sind allerdings 80 Prozent von den 12 größten Shale-Oil-Plays in den USA mit Ölpreisen von unter 80 Dollar pro Barrel, "kaum profitabel".
Morgan Stanley schätzt, dass die meisten Shale-Plays bei unter 76 bis 77 Dollar pro Barrel unrentabel werden. Mit aktuell 75 Dollar pro Barrel US-Öl, befinden wir uns bereits knapp unter diesem Niveau. Noch viel besorgniserregender ist die Tatsache, dass in diesen Prognosen keine noch Zinszahlungen zur Bedienung der Schulden enthalten sind, die Shale-Produzenten leisten müssen.
Tatsächlich wurde das Shale Öl- und Gas-Bonanza in den USA über die letzten fünf Jahre auf Grundlage der Nullzins-Politik der Fed und gigantischen spekulativen Investments gieriger Wallstreet-Banker und Fonds erbaut. Finanziert wurde der Boom insbesondere über den Markt für hochverzinsliche Anleihen (Junk Bonds). In 2010 machten "Energy & Materials" nur 18 Prozent des US-High-Yield-Indizes aus. Heute liegt ihr Anteil bei satten 29 Prozent.
Das Problem ist, dass der Markt für Hochzinsanleihen selbst einen gigantischen Boom erlebte. Allein bis Oktober wurden in diesem Jahr Papiere im Wert von rund 275 Milliarden Dollar ausgegeben. Mit etwa 1,60 Billionen Dollar ist der High-Yield-Markt doppelt so groß wie vor der Finanzkrise und fast drei Mal so groß wie vor zehn Jahren. In der Folge schieben die US-Shale-Companies einen gewaltigen Schuldenberg vor sich her.
Shale-Mid- und Smallcaps: "The Walking Dead"
Auf Breakeven zu produzieren, ist längst nicht gut genug. Denn Investoren verlangen Renditen auf ihr Kapital. Jedes Unternehmen, das über einen längeren Zeitraum keinen Reingewinn generiert (Free Cashflow), ist irgendwann wertlos. Über einen sehr langen Zeitraum war die US-Shale-Industrie Ölpreise von 100 Dollar gewöhnt. Wenn ein Unternehmen bei 100 Dollar Ölpreis 15 Dollar Nettogewinn pro Barrel generierte, so hat sich diese Marge mit dem Ölpreisverfall in Luft aufgelöst. Fakt ist: Die Mehrzahl der Shale-Companies verdient zu den aktuellen Ölpreisen kein Geld mehr.
Die größte Gefahr geht zum jetzigen Zeitpunkt weniger von den großen, bilanziell noch relativ soliden Big-Playern aus, sondern von schwächeren, mit Schulden beladenen Small- und Mid-Cap-Unternehmen.
In den letzten Jahren entstand eine ganze Armada von neuen Playern, die sich hauptsächlich über den Junk-Bond-Markt finanzierten. Solange der Ölpreis nicht zügig auf über 100 Dollar klettert (was sehr unwahrscheinlich ist), sind diese Unternehmen nicht mehr als der "wandelnde Tod".
Die Kurse der meisten Small-und Midcaps haben von den Jahreshochs durchschnittlich zwischen 40 und 70 Prozent verloren. Die Anleiherenditen sind teilweise auf mehr als 10 Prozent gestiegen. Langsam dämmert es den US-Investoren, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit dieser Shale-Bonds drastisch zunimmt.
Sollte der Ölpreis weiter fallen, spitzt sich die Lage erst richtig zu. Die Analysten der Deutschen Bank unterzogen den Shale-Sektor kürzlich einem Stresstest. Das Ergebnis: Sollte US-Öl WTI auf 60 Dollar pro Barrel fallen, könnten 30 Prozent aller mit CC und CCC bewerteten Schulden in der Shale-Industrie ausfallen. "Ein Schock dieser Größenordnung könnte ausreichen, um einen breiteren Ausfallzyklus im Markt für hochverzinsliche Anleihen loszutreten", warnen die Strategen der Deutschen Bank.
Mit anderen Worten: Es besteht die akute Gefahr einer globalen Finanzkrise nach dem Vorbild der Subprime-Krise in 2007/2008. Am Anfang fallen die schwächsten Glieder aus. Das führt zu Verunsicherung und mündet schließlich in einer Kreditklemme, die eine Kettenreaktion auslöst und letztlich die Banken und den gesamten Finanzmarkt erreicht. Damals waren es die ersten Ausfälle von Immobilienkrediten, heute könnte uns selbiges mit dem Ausfall von Shale-Krediten bevorstehen.
Ausblick Ölmarkt + OPEC-Meeting
Die US-Ölproduktion toppte im November 2014 zum ersten Mal seit 1983 die Marke von 9 Millionen Barrel pro Tag. Trotz des Ölpreis-Einbruchs ist bislang keine Abschwächung des Produktionswachstums in Sicht. Denn die US-Shale-Industrie ist keine Maschine, die sich nach Belieben ein- und ausschalten lässt. Die begonnen Operationen müssen zunächst zu Ende geführt werden. Deshalb wird die US-Produktion auch im laufenden Quartal steigen. Hinzu kommt, dass die Shale-Industrie in einer Zwickmühle gefangen ist: Die Shale-Produzenten sind auf ständig auf Kredite angewiesen, um die steilen Rückgänge aus der Produktion mit neuen Bohrungen auszugleichen.
Neue Wells sorgen in den ersten Wochen und Monaten der Produktion für den höchsten Cashflow. Deshalb hat die Industrie großes Interesse daran, dass möglichst viele neue Wells ans Netz gehen. Kürzen die Unternehmen ihre Ausgaben, sinken Produktion und Einnahmen, was das finanzielle Abdriften nur noch beschleunigt. Auch wenn es für viele Unternehmen vernünftiger wäre, die unrentable Produktion aufzugeben, ist es dafür häufig bereits zu spät. Wer kürzt, wird vom Markt abgestraft und ist raus aus dem Spiel. Game Over.
Die US-Shale-Industrie hofft nun auf die Rettung durch das OPEC-Meeting am 27. November. Die Amerikaner erwarten eine Kürzung von 1 bis 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag - genug, um den Ölpreis wieder in Richtung 90 Dollar pro Barrel zu befördern. Die Frage aller Fragen ist: Wie wird die Entscheidung ausfallen? Einerseits kann der Ölpreis nicht ewig auf diesen niedrigen Niveaus bleiben. Selbst die Saudis benötigen einen Ölpreis von mindestens 90 Dollar für einen ausgeglichenen Haushalt.
Andere OPEC-Mitglieder, einschließlich Iran, Irak, Oman, Algerien, Venezuela, Nigeria und Libyen benötigen Ölpreise von weit über 100 Dollar, um ihre Staatsausgaben zu finanzieren. Innerhalb der OPEC herrscht deshalb große Uneinigkeit. Venezuela, ausgerechnet dem Staat mit den weltgrößten Ölreserven, droht schon jetzt der Bankrott. Saudi Arabien hingegen kann es sich mit seinen üppigen Devisenreserven leisten, über einen längeren Zeitraum Druck auf die Ölpreise auszuüben.
Tatsächlich haben die Saudis wenig Anlass, einer Produktionskürzung zuzustimmen: Einerseits nutzt das Königreich die Schwäche Russlands, um seinen Marktanteil in Asien auszubauen, andererseits würde eine Produktionskürzung den US-Shale-Boom nur noch weiter beflügeln. Heben die Saudis die Hände und lassen den Markt entscheiden, könnte US-Öl WTI schlagartig auf 65 Dollar abstürzen.
Der größte Verlierer unter diesem Szenario wäre die US-Shale-Industrie. Angenommen, der Ölpreis würde über einen längeren Zeitraum in einer Bandbreite von 60 bis 70 Dollar verharren, drohen weite Teile der US-Shale-Industrie unter ihrer Schuldenlast zusammenzubrechen. Die Folge wären Kreditausfälle über zig Milliarden Dollar, die möglicherweise den gesamten Finanzmarkt zum Beben bringen könnten. Wir haben bereits das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und der Subprime-Blase in 2007 erlebt. Im Nachhinein betrachtet, könnte sich auch der US-Shale-Boom in die Liste der historischen und bewusst in Kauf genommenen Finanzcrashs einreihen.
Letztendlich könnte es den Saudis gelingen, die Machtverhältnisse im globalen Ölmarkt wieder zurechtzurücken. Zumindest solange, ehe die Saudis selbst unter rückläufiger Produktion zu leiden haben. In den Vereinigten Staaten wird man erkennen müssen, dass der Traum von der Energieunabhängigkeit eine Illusion war. Das wird auch aus geopolitischer Sicht weitreichende Konsequenzen haben. Dennoch wird die US-Shale-Produktion weitergehen, wenn auch nicht in dem enthemmten Ausmaß der vergangen fünf Jahre.
Große Shale-Player, die sich rechtzeitig in den Sweet-Spots positioniert haben, werden auch mit Ölpreisen von 60 bis 65 Dollar nicht untergehen. Im Gegenteil: Kommt es zu einer Marktbereinigung, einschließlich Insolvenzen, Zwangsliquidationen am Aktienmarkt und Asset-Verkäufen, werden liquide und gut aufgestellte Ölunternehmen die Gunst der Stunde nutzen, um Öl-Assets zu Schnäppchenpreisen aufzukaufen.
Der 27. November ist das vielleicht wichtigste OPEC-Meeting seit zwei Jahrzehnten. Der Ölpreis dürfte heftig ausschlagen - entweder nach oben oder nach unten. Vieles spricht dafür, dass die Saudis den Zapfhahn offenlassen und den Markt entscheiden lassen. Bricht der Ölpreis weiter ein, droht im schlimmsten Fall eine Kreditkrise im High-Yield-Bond-Markt nach dem Vorbild der Subprime-Krise in 2007/2008. Mit möglicherweise drastischen Folgen für die USA und das globale Finanzsystem.
© Uli Pfauntsch
www.companymaker.de
Risikohinweis und Haftung: Alle in Companymaker veröffentlichten Informationen beruhen auf Informationen und Quellen, die der Herausgeber für vertrauenswürdig und seriös erachtet. Die Informationen stellen weder ein Verkaufsangebot für die behandelte(n) Aktie(n), noch eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Den Ausführungen liegt zudem eigenes Research zugrunde. Für die Richtigkeit des Inhalts kann trotzdem keine Haftung übernommen werden. Gerade Nebenwerte, sowie alle börsennotierten Wertpapiere sind zum Teil erheblichen Schwankungen und Risiken unterworfen. Deshalb ist auch die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Heranziehung der Ausführungen für die eigene Anlageentscheidung möglicherweise resultieren können, kategorisch ausgeschlossen. Die Depotanteile einzelner Aktien sollten bei niedrig kapitalisierten Werten nur soviel betragen, dass auch bei einem möglichen Totalverlust das Depot nur marginal an Wert verlieren kann. Zwischen dem Abonnent und Leser von Companymaker kommt kein Beratungsvertrag zustande, da sich unsere Empfehlungen nur auf das Unternehmen, nicht aber auf die Anlageentscheidung des Lesers bezieht.
Hinweis gemäß § 34 WpHG: Wir weisen darauf hin, dass die CM Network GmbH, sowie Mitarbeiter der CM Network GmbH Aktien von Unternehmen, die in dieser Ausgabe erwähnt wurden halten oder halten könnten und somit ein möglicher Interessenskonflikt besteht. Zudem begrüßt und unterstützt die CM Network GmbH die journalistischen Verhaltensgrundsätze und Empfehlungen des Deutschen Presserates zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung und wird im Rahmen der Aufsichtspflicht darauf achten, dass diese von den Autoren und Redakteuren beachtet werden.Bitte beachten Sie diesbezüglich auch das Impressum im PDF-Börsenbrief!