Chris Martenson: Bereiten Sie sich vor, so lange es noch einfach ist!
09.06.2017 | Mike Gleason
Mike Gleason: Zu unserem heutigen Interview darf ich Dr. Chris Martenson von PeakProsperity.com begrüßen. Chris ist der Autor des Buches "Prosper! How to Prepare for the Future and Create a World Worth Inheriting" und verfasst regelmäßig Kommentare und Analysen zu einer ganzen Reihe wichtiger Themenfelder, u. a. über globale politische Entwicklungen, die Edelmetalle und die Notwendigkeit, sich auf einen größeren Crash vorzubereiten. Die Gespräche mit ihm sind immer äußerst informativ. Chris, willkommen zurück und vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für uns nehmen!
Chris Martenson: Danke. Es ist mir immer wieder ein Vergnügen.
Mike Gleason: Da Sie in diesem Jahr noch nicht bei uns zu Gast waren, möchte ich Sie zunächst um eine kurze Einschätzung der Lage bitten. Viele von uns sind verwirrt und irritiert angesichts des robusten Aufwärtstrends an den allgemeinen Märkten. Was denken Sie über die ersten rund 130 Tage von Trumps Präsidentschaft und warum steigen die US-Aktien Ihrer Ansicht nach auf immer neue Hochs, obwohl sie offenbar massiv überbewertet sind? Wie schätzen Sie die Situation an den Finanzmärkten und auch die politischen Entwicklungen in der ersten Jahreshälfte 2017 ein?
Chris Martenson: Tatsächlich sind diese beiden Bereiche in meinen Augen nicht voneinander zu trennen. In den ersten vier Monaten des Jahres haben wir etwas erlebt, das in der Weltgeschichte bisher einzigartig war: Die Zentralbanken haben weltweit 1 Billion Dollar an neuem Geld geschöpft. Wenn Sie also wissen wollen, was ich von den Märkten halte, müssen wir mit den 250 Milliarden Währungseinheiten beginnen, die jeden Monat einfach so aus dem Nichts erschaffen und in das Finanzsystem gepumpt wurden. Dieser eine Faktor erklärt wirklich viel.
Natürlich gab es die Vorstellung, dass Trump ein wenig frischen Wind nach Washington bringen würde, aber eines ist klar: Sein Wahlsieg war eine Überraschung. Gegen 02:30 Uhr in der Wahlnacht startete der Dow Jones, der zu diesem Zeitpunkt 800 Punkte im Minus lag, plötzlich eine Rally und hatte seine Verluste bis Börsenbeginn wieder aufgeholt.
Meiner Ansicht nach kann kein Zweifel daran bestehen, dass das die Folge eines Eingreifens von offizieller Seite war, dass das Plunge Protection Team oder etwas Ähnliches dafür verantwortlich war. Das ist die Welt, in der wir heute leben, das ist meine Einschätzung der Lage. Die Verantwortlichen überschwemmen die Märkte mit frisch gedrucktem Geld, um die Kurse nach oben zu treiben. Sie stellen sicher, dass es nicht zu einem Einbruch kommen kann. Sie tun, was sie können, und das wird so lange so weitergehen, bis sie nichts mehr tun können. An diesem Punkt wird es zum Crash kommen und das wird für viele Menschen sehr überraschend geschehen.
Mike Gleason: In diesem Zusammenhang haben wir in letzter Zeit auch das Gefühl der Erschöpfung angesprochen, das manche Bullioninvestoren befällt. Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben sie beobachtet, wie sich das Wachstum der Staatsschulden beschleunigt, was Sie unter anderen auch in Ihrem fantastischen Crashkurs dokumentiert haben.
Die Federal Reserve in den USA und andere Notenbanken weltweit haben jede Zurückhaltung aufgegeben, Nullzinsen eingeführt, Staatsanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere monetarisiert und andere exotische Finanzprogramme beschlossen. Die US-Regierung verbucht schon lange - vielleicht seit einem halben Jahrhundert - enorme Haushaltsdefizite, aber bis jetzt scheint all das nicht von Bedeutung zu sein.
Der US-Dollar hält sich nach wie vor auf einem hohen Niveau, die sogenannten Bond Vigilantes, die die Rendite der Staatsanleihen bei zu hoher Verschuldung normalerweise nach oben treiben, sind nie in Erscheinung getreten, die Aktienkurse klettern auf neue Allzeithochs und niemand an der Wall Street scheint sich für die typischen Safe-Haven-Assets zu interessieren. In Ihrem Online-Seminar "The End of Money" haben Sie argumentiert, dass diese Fundamentaldaten in Wirklichkeit doch eine Rolle spielen.
Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie in diesem Zusammenhang und warum glauben Sie, dass Investoren, die einen "sicheren Hafen" bevorzugen, ihren Kurs beibehalten sollten, obwohl ihnen das in der aktuellen Marktumgebung auf den ersten Blick keine Vorteile bringt?
Chris Martenson: In Zeiten wie diesen darf man die makroökonomischen Bedingungen nicht aus dem Blick verlieren. Wir befinden und mitten im größten Gelddruck-Experiment der gesamten Menschheitsgeschichte, und ich verwende diesen Ausdruck mit Bedacht. Zu glauben, dass das, was uns in der Vergangenheit genützt hat, auch während dieser außerordentlichen Geldflut hilfreich sein wird, ist meiner Meinung nach völlig unsinnig. Zunächst einmal müssen wir uns die Größenordnung der aktuellen Geldmengenausweitungen vor Augen führen und verstehen, was das eigentlich bedeutet und was es uns über die Notenbanker verrät. Die haben nämlich schreckliche Angst.
Im Grunde genommen gibt es zwei Szenarien. Entweder wissen die Zentralbanken ganz genau, was sie da tun - oder eben nicht. Wenn Sie darauf wetten, dass die Notenbanken alles unter Kontrolle haben, stehen Ihre Gewinnchancen meiner Meinung nach mittlerweile ziemlich schlecht. Aus diesem Grund haben wir das Online-Seminar geplant: Wir wollten mit Experten sprechen, die gut darüber informiert sind, was die Federal Reserve genau ist, wie sie gegründet wurde, wie sie aufgebaut ist, was die Notenbanker derzeit denken usw. Das sind natürlich alles Spekulationen und keine fundamentalen Analysen, aber wir wollen dennoch versuchen herauszufinden, was die Fed tun wird.
Wenn wir noch einen Schritt zurücktreten, erkennen wir, dass auf fundamentaler Ebene immer ein Gleichgewicht bestehen muss zwischen der Geldmenge und den Dingen, die man damit kaufen kann. Das neu geschöpfte Geld ist auf der einen Seite Währung, repräsentiert auf der anderen Seite aber auch Schulden. Beides fungiert als Geld. Wenn ich beispielsweise einen Studienkredit über 50.000 $ aufnehme und dieses Geld ausgebe, dann hat eine Kreditexpansion dafür gesorgt, dass 50.000 $ mehr im Umlauf sind.
In den letzten acht Jahren hat sich das weltweite Kreditvolumen schneller erhöht als je zuvor. Zudem wurde die Geldbasis so stark ausgeweitet wie noch nie. Dadurch sind die Kurse finanzieller Vermögenswerte wie Anleihen und Aktien auf lächerlich hohe Niveaus gestiegen. Die Rohstoffe blieben von diesem Aufwärtstrend seit 2011 und seit der dritten Runde der quantitativen Lockerungen in den USA auf mysteriöse Weise ausgeschlossen. Wenn man all das berücksichtigt, sehe ich vor allem, dass sich die Besitzansprüche und Forderungen gegenüber den realen Vermögenswerten erhöhen. Genau das geschieht, wenn die Schulden und die Geldmenge schneller wachsen als die Realwirtschaft.
Angesichts des Tempos dieses Wachstums muss es eines Tages eine Korrektur geben. In letzter Zeit ist die Lage rund um den Globus wirklich extrem geworden, vor allem an den Aktienmärkten. Was können Sie nun tun? Wir erleben eine Zeit des Wahnsinns und der Finanzblasen und Sie sollten sich einfach zurücklehnen und das Geschehen beobachten, aber Sie müssen die Zusammenhänge kennen. In unserem Crashkurs argumentiere ich, dass wir es hier nicht einfach mit den Nachwirkungen der Immobilienblase zu tun haben, die 2007 geplatzt ist.
Unser Kreditvolumen hat sich zweimal so schnell erhöht wie unsere Einkommen - genauer gesagt sind die Gesamtschulden an den Kreditmärkten doppelt so schnell gewachsen wie das Bruttoinlandsprodukt. Die Schulden steigen doppelt so schnell wie das Einkommen, und das bereits seit 45 Jahren. Genau das hat 2008 zum Crash geführt, doch das Problem wurde seitdem nicht gelöst. Stattdessen hat man weiter an diesem dummen Modell festgehalten.
"Hey, lasst uns die Ausgaben doppelt so schnell erhöhen wie die Einnahmen." Jeder weiß, dass das als Privatperson unmöglich ist, also ist es auch für ganze Staaten unmöglich. Doch genau das haben wir getan und wir haben dabei ein wirklich außergewöhnliches Niveau erreicht. Die Zentralbanken versuchen mittlerweile einfach, das ganze System noch ein kleinen bisschen länger am Laufen zu halten.
Auch die Geschichte bietet uns in dieser Situation kaum eine Orientierungshilfe. Wir haben erlebt, dass Währungen kollabieren und Volkswirtschaften ums Überleben kämpfen müssen. Aktuell sehen wir am Beispiel von Venezuela, wohin eine solche Misswirtschaft führen kann. Aber es gibt praktisch kein Entkommen, denn mittlerweile ist die ganze Welt betroffen. Es ist nicht wie früher, beispielsweise 1918 in Österreich, wo Sie sich über die Grenze in ein sicheres Land flüchten konnten.
Wo kann man heute schon hingehen? Der Dollar, der Yen und der Euro haben alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Auch China hat in dieser Hinsicht wirklich schnell aufgeholt. Wo ist man vor einem Währungschaos in Sicherheit?
Ich habe darauf keine gute Antwort, abgesehen davon, dass es wichtig ist, den Kontext zu verstehen und eine gewisse Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Damit meine ich nicht nur ein widerstandsfähiges Portfolio und eine finanzielle Absicherung, sondern auch alle anderen Formen der Widerstandsfähigkeit, einschließlich eines sozialen Netzwerks, emotionaler Vorbereitung und all der anderen Aspekte, die wir in "Prosper" ansprechen. Ich persönlich sehe keinen Ausweg aus der derzeitigen Lage, der nicht mit großen wirtschaftlichen Opfern einhergeht.
Mike Gleason: Wir befinden uns hier definitiv auf unbekanntem Terrain. Die Federal Reserve ist seit der Präsidentschaftswahl im November ein wenig in den Hintergrund getreten. Trump hat beschlossen, den Posten der aktuellen Vorsitzenden Janet Yellen vorerst nicht neu zu vergeben und das pausenlose Polittheater in Washington scheint selbst die Finanznachrichten zu dominieren.
Ehrlich gesagt war die Besessenheit, mit der unablässig darüber spekuliert wurde, was die Notenbank bei ihrem nächsten Treffen beschließen würde, unglaublich nervtötend. Wir waren dankbar für die vorübergehende Ruhepause. Die Sitzung in diesem Monat wird jedoch wieder jede Menge mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn es wird eine erneute Anhebung des Leitzinses erwartet.
Schließen Sie sich der allgemeinen Einschätzung an, dass es in diesem Jahr noch zwei bis drei Zinserhöhungen geben wird? Wenn die Fed den Zinssatz weiter anhebt, wird sie letztlich unweigerlich in einen Konflikt mit Trump geraten, der mit Sicherheit nicht möchte, dass die nächste Rezession in seine Amtszeit fällt. Was denken Sie in Bezug auf die US-Notenbank vor dem Hintergrund der Trump-Regierung, sowohl kurzfristig als auch auf lange Sicht?
Chris Martenson: Die Fed folgt mittlerweile nur noch ihrem eigenen Drehbuch. Sie ist größtenteils unabhängig vom Weißen Haus. Trump kann natürlich versuchen, die Notenbank zu beeinflussen, aber er wird das nicht auf die Weise tun, die Sie oder ich vielleicht für angebracht halten. Ich denke, dass es eine Straffung der Geldpolitik wahrscheinlich eine gute Idee wäre, aber der aktuelle Zinszyklus stellt in Wirklichkeit keine Straffung dar, denn der Kongress hat der Federal Reserve 2008 das Recht gegeben, den Geschäftsbanken Zinsen auf die Überschussreserven zu zahlen, die sie bei der Fed halten. Darüber habe ich erst kürzlich einen Artikel geschrieben und auch ein kurzes Video dazu produziert.
Die Fed druckt also bergeweise Geld. Das hat zur Folge, dass jede Menge überschüssige Kapitalreserven im Bankensystem entstehen. Diese hinterlegen die Banken dann wieder bei der Fed und erhalten dafür Zinsen. Bei den letzten drei Zinserhöhungen wurde der US-Leitzins von 0-0,25% auf die aktuellen 1% angehoben. Gleichzeitig stieg jedoch auch der Zinsbetrag, den die Fed den Geschäftsbanken auf ihre Überschussreserven zahlt.
Die Banken haben nun also die Wahl: Lasse ich mein Geld risikofrei bei der Fed oder verleihe ich es als Übernachtkredit an Bank B? Selbstverständlich entscheiden sie sich zunehmend für das sichere Geld von der Fed. Das ist es also, was den aktuellen Zinszyklus von früheren unterscheidet: Wenn die Federal Reserve die Zinssätze anhebt, verringert sie damit nicht die Umlaufgeldmenge, sondern pumpt durch ihre Zinszahlungen in Wirklichkeit noch mehr Kapital in das Bankensystem.
Die zwei Billionen Dollar, die derzeit bei der Fed verwahrt werden, werden den Großbanken auf das Jahr hochgerechnet Zinseinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Dollar einbringen. Das bedeutet, dass die Geldmenge nicht reduziert, sondern ausgeweitet wird.
Mike Gleason: Sie haben vor Kurzem auf Peak Prosperity einen Artikel veröffentlicht, in dem Sie darlegen, wie die Fed Ihrer Ansicht nach Amerika zerstört. Ein paar Punkte haben Sie eben schon angesprochen, aber warum glauben Sie, dass das so ist?
Chris Martenson: Was die Notenbank tut, ist nicht einfach nur Gelddrucken, sondern Social Engineering. Sie müssen Gewinner und Verlierer wählen. Ich weiß, dass es den Anschein hat, als würde die Fed Geld schöpfen und allerlei verrückte, komplizierte Dinge tun, Staatsanleihen im Rahmen von Auktionen kaufen, Reverse Repos durchführen usw.
Doch das sind nur verschiedene hochtrabende Ausdrücke, die am Ende alle das Gleiche bedeuten: Die Fed druckt Geld, gibt es dem Markt und nimmt im Gegenzug Schuldverschreibungen an. Wenn man sich diese Dynamik einmal genau anschaut, stellt man fest, dass die Notenbank auf diese Weise das stärkste Wohlstandsgefälle erzeugt hat, dass wir in der gesamten Geschichte bisher erlebt haben. Sie ist auch verantwortlich für eines der ausgeprägtesten Einkommensgefälle, die es je gab.
Zudem hat die Fed die Immobilienpreise bewusst nach oben getrieben, was eigentlich für fast niemanden gut ist, wenn man einmal genau darüber nachdenkt - abgesehen von den wenigen, die ihr bisheriges Haus verkaufen, um in ein kleineres zu ziehen, und dadurch einen Gewinn machen. Für diejenigen, die ihr erstes eigenes Haus kaufen wollen, ist es mit Sicherheit keine positive Entwicklung, und auch nicht für die Hausbesitzer, die sich infolgedessen mit höheren Grundsteuern und Versicherungsbeiträgen konfrontiert sehen.
Dennoch hat die Fed die Preise in die Höhe getrieben, die Einkommensunterschiede vergrößert und die Inflationskosten stark erhöht. Das gilt vor allem für Ballungsräume, in denen neue Private-Equity-Gesellschaften wie Blackstone einfach alle Immobilien aufgekauft haben. Was also hat die Fed wirklich getan?
Zum einen haben die Notenbanker ihre Geldpolitik so angelegt, dass die Generation der Millennials praktisch gar nicht davon profitiert. Zum anderen haben sie es der Regierung ermöglicht, die Staatsschulden noch weiter zu erhöhen, und die Unternehmen zu Financial Engineering ermutigt, wenn nicht gar regelrecht dazu gezwungen. Wenn Sie der Chef eines großen Unternehmens sind und die Möglichkeit haben, zu einem Zinssatz von 1% Geld zu leihen, um es anschließend in Aktien zu investieren, die eine Dividende von 2% abwerfen, dann tun Sie das natürlich. Ist doch ganz klar. Aus diesem Grund haben sich die Unternehmen mehr mit Kapitalvermehrung als mit der Steigerung ihrer Produktivität befasst. All das kann man der Fed anlasten.
Wenn die Notenbank die Zinsen im Jahr 2008 oder 2009 aus der Not heraus für sechs oder vielleicht zwölf Monate gesenkt hätte, wäre das nachvollziehbar gewesen. Doch wie lange verfolgt sie diese Zinspolitik nun schon? Je nachdem, wie Sie es zählen wollen, sind es bereits acht oder neun Jahre. Das ist ein ziemlich langer Notfall, finden Sie nicht? Unterdessen verstärken sich die eben beschriebenen Trends zusehends. Mehr Finanzialisierung der Wirtschaft, weniger Investitionen. Ein schwererer Start für Studenten, Millennials und andere junge Menschen, die gerade an der Schwelle zum Berufsleben stehen.
Die gesunkene Zahl an Firmenneugründungen, die sich u. a. auch darauf zurückführen lässt, dass den traditionellen Sparern - den Müttern, Vätern und Großeltern - eine Billion Dollar an Zinseinnahmen entgangen sind, die sie andernfalls verwendet hätten, um ihre Kinder und Enkel bei der Gründung eines Unternehmens zu unterstützen.
Wir können all diese negativen Folgen der Geldpolitik der letzten Jahre täglich beobachten. Das eigentliche Mysterium besteht darin, dass kaum darüber geredet wird, obwohl das dringend notwendig wäre.
Mike Gleason: Ich würde gern noch einmal auf die Edelmetalle zu sprechen kommen. Trotz der Preismanipulationen durch die Bullionbanken, die offenbar nach wie vor stattfinden, war das Jahr für den Edelmetallsektor bislang vernünftig, aber unspektakulär. Was halten Sie derzeit von den Gold- und Silbermärkten?
Chris Martenson: Ich möchte erst einmal ein bisschen vom Thema abweichen und kurz etwas zu Bitcoin sagen. Heute notiert Bitcoin bei etwa 2.300 $, glaube ich. Es ging ein wenig auf und ab und ich weiß, dass der Kurs schon höher war, aber wenn ich mir die Preisentwicklung so anschaue, sieht es für mich aus, als handelt es sich hier um einen freien und fairen Markt, nicht wahr? Die Kursbewegungen ergeben tatsächlich Sinn. Sobald ein gehebelter Papiermarkt, d. h. ein Derivatemarkt, um einen anderen Markt herum aufgebaut wird, ist der Weg frei für finanzstarke Marktteilnehmer, die ihn kontrollieren wollen. Sie und Ihre Zuhörer wissen das ja nur allzu gut.
Vor etwa zwei Wochen wurde im Wall Street Journal ein sehr guter Artikel über die Quants veröffentlicht, die Mathematikexperten, die die Trading-Algorithmen für die Wall Street schreiben. Die Computerprogramme haben Zugriff auf riesige Kapitalmengen und die meisten von ihnen handeln innerhalb von Milli- oder Mikrosekunden. Die Quants sind an allen möglichen Märkten tätig, einschließlich der Edelmetallmärkte.
Ich denke, dass die Gold- und Silbermärkte schon seit langer Zeit praktisch von den Bullionbanken kontrolliert werden und für diese eine Art persönliches Sparschwein darstellen. Das ergibt auch durchaus Sinn, nicht wahr? Doch wie wir beide wissen, können die Banken dieses Spiel nicht bis in alle Ewigkeit spielen. Ich glaube, dass Gold und Silber mittlerweile eine Basis gefunden haben - zumindest hoffe ich das.
Ich habe das starke Gefühl, dass die Menschen Safe-Haven-Assets besitzen wollen, sobald die nächste Finanzkrise kommt oder der nächste wirtschaftliche Stillstand beginnt - je sicherer, desto besser. Grund dafür wird das institutionelle Risiko sein, das meiner Meinung nach besteht, und vielleicht sogar ein gewisses Staatsrisiko. Das gesamte System könnte zusammenbrechen. Wenn Sie verstehen, wie außergewöhnlich hoch das Schuldenniveau ist und wie die Schulden verteilt sind, dann stellen Sie fest, dass dabei nichts Gutes herauskommen kann.
Was wird wohl geschehen, wenn dieses ganze Konstrukt in Frage gestellt wird? Zu diesem Zeitpunkt wird es wirklich wichtig sein, Edelmetalle zu besitzen. Wir haben auch früher schon oft darauf hingewiesen: Wenn der Moment gekommen ist, und Sie noch nicht über physische Gold- und Silberanlagen verfügen, wird es danach wahrscheinlich zu spät sein, um noch welche zu kaufen. Das ist zumindest meine Einschätzung. Das Angebot kann an diesen Märkte sehr schnell versiegen.
Mike Gleason: Ihre Webseite Peak Prosperity konzentriert sich vor allem auf Maßnahmen zur Vorbereitung und darauf, wie man ein unabhängiges Leben führen kann. Dort kommt eine Community zusammen, deren Mitglieder sich für eine ganze Reihe verschiedener Themen interessieren, von Investments bis hin zur Abkopplung von unseren gewohnten Versorgungsnetzen. Gibt es bestimmte Themen, die derzeit ganz besonders im Vordergrund stehen oder spezielle Aufmerksamkeit erregen? Ich gehe davon aus, dass nicht nur die politischen Entwicklungen in Washington diskutiert werden. Worauf konzentrieren sich die Mitglieder Ihrer Webseite zur Zeit?
Chris Martenson: Gute Frage. Wir besprechen wirklich alle möglichen verschiedenen Themen. Im Moment verbringen wir nicht einmal ansatzweise so viel Zeit mit politischen Diskussion, wie Sie vielleicht denken. Wir interessieren uns sehr für die Richtung, in die sich die Märkte entwickeln, und für verschiedene geopolitische Themen - nicht unbedingt für die US-Politik. Ein dritter wichtiger Aspekt ist interessanterweise ganz einfach das Leben in der heutigen Welt. Wir diskutieren über unser Verhalten und darüber, wie wir die Geschichten erleben, die sich um uns herum entwickeln, denn das sind wirklich beispiellose Zeiten.
Ich treffe immer mehr Menschen, die das verstehen. Sie sagen, "Hmm, irgendetwas ist falsch an dieser Geschichte, wir wissen es." Manche verstehen es, andere fühlen es nur, aber das macht nichts. Es wird viel darüber diskutiert, wie wir fokussiert bleiben und weiterhin an diesem Spiel teilnehmen können. Was können wir tun, um das Leben möglichst in vollen Zügen zu genießen?
Gleichzeitig bereiten wir uns natürlich auch immer besser auf das Kommende vor und ich denke, dass das durchaus sinnvoll ist. Wir erleben derzeit das Überschreiten eines Höhepunkts, aber das ist ein äußerst langwieriger und schleppender Prozess und wir wissen nicht, wie lange er noch andauern wird. Es ist ermüdend, immer wachsam zu sein. Wir sprechen also auch darüber, wie wir unsere Wachsamkeit vorübergehend ablegen und dennoch gleichzeitig auf alles vorbereitet sein können, falls Sie wissen, was ich meine.
Mike Gleason: Bevor wir zum Ende unseres Interviews kommen, würde ich Sie gern noch nach Ihren Gedanken zu der Ruhe vor dem Sturm fragen, die wir anscheinend im Moment erleben. Viele hatten nach dem chaotischen Jahr 2016, in dem u. a. der Brexit und die Präsidentschaftswahl in den USA für Überraschungen sorgten, ein mindestens ebenso turbulentes Jahr 2017 vorhergesagt. Bisher war das allerdings nicht der Fall. Welches Ereignis wird uns schließlich aus der Bahn werfen, den historischen Aufwärtstrend an den Aktienmärkten beenden und die wirtschaftlichen Gegebenheiten grundlegend ändern? Was wird dazu führen, dass die Edelmetalle wieder ins Bewusstsein der Masse der Anleger rücken, Chris?
Chris Martenson: Das könnten ganz verschiedene Ereignisse sein und was letzten Endes der Auslöser sein wird, ist natürlich schwer zu sagen. Das System ist hochkomplex. Rückblickend werden die Leute Erklärungen finden wie "Oh, es ging los, als der deutsche Finanzminister dieses oder jenes sagte." Wir werden natürlich versuchen, den Auslöser rechtzeitig zu identifizieren, aber wir haben mittlerweile verschiedene gigantische Finanzblasen an den Märkten.
Niemand weiß, wann genau sie platzen werden und sie tun das per Definition immer auf eine überraschende Art. Ich denke schon seit einer ganzen Weile, dass es nicht länger so weitergehen kann, aber es ging trotzdem weiter. Folglich musste ich meine Annahmen berichtigen und einsehen, dass die wichtigen Akteure das System doch ziemlich gut unter Kontrolle haben. Die Frage ist nur, zu welchem Preis? Die vielleicht wichtigste Information ist die Tatsache, dass in nur vier Monaten eine Billion Dollar in unser Finanzsystem gepumpt werden mussten, um das überhöhte Kursniveau zu erhalten.
Es gab leichte Gewinne, aber im Großen und Ganzen holpern die Märkte so dahin. Das ist eine wirklich bemerkenswerte Situation. Ich verfolge sehr aufmerksam, was die Zentralbanker tun, nicht was sie sagen. Sie behaupten zwar, dass alles in Ordnung sei, aber sie führen noch immer Notfallprogramme in beispiellosem Umfang durch. Ich denke, dass es vor diesem Hintergrund für jeden Einzelnen sinnvoll ist, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, sich vorzubereiten und widerstandsfähiger zu machen.
Es gibt vieles, was man tun kann. Die meisten Maßnahmen, die wir empfehlen, tragen übrigens auch dazu bei, Ihr Leben schon heute zu verbessern. Es wird niemanden geben, der zurückblickt und sich denkt, "Ich hätte lieber nicht fit werden sollen und ich hätte auch nicht so viel Geld sparen sollen. So ein Pech, dass ich jetzt auch noch dieses überaus praktische Haus habe."
Ich sehe in der Ruhe vor dem Sturm ein Geschenk, das wir nutzen sollten. Es ist noch immer vergleichsweise einfach, all die Schritte zu gehen und die Vorbereitungen zu treffen, die Sie wollen. Erst dann anzufangen, wenn der Kollaps bereits seinen Lauf nimmt, ist eine äußerst schlechte Strategie. Es ist sehr schwierig, effizient, ruhig und rational zu handeln, wenn man sich mitten in einer ernsten Krise befindet. Wir raten schon seit Langem dazu, sich unbedingt rechtzeitig vorzubereiten, und daran wird sich auch nichts ändern. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange es noch so weitergehen wird. Ich bin jeden Monat aufs Neue überrascht.
Mike Gleason: Ja, es ist wichtig, gegen diese träge Selbstzufriedenheit anzukämpfen. Wie Sie schon gesagt haben - wenn die Krise einmal da ist, sollte man nicht erst anfangen darüber nachzudenken, wie man sich in einer solchen Situation am besten verhält.
Chris, wir danken Ihnen, dass Sie sich heute wieder die Zeit genommen haben, Ihre Ansichten und Erkenntnisse mit uns zu teilen. Es war wir immer ein sehr interessantes Gespräch und ich freue mich schon darauf, später in diesem Jahr wieder von Ihnen zu hören. Bis dahin wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Buch und Ihrer Webseite. Genießen Sie den Sommer!
Chris Martenson: Vielen Dank.
© Mike Gleason
Money Metals Exchange
Der Artikel wurde am 2. Junii 2017 auf www.moneymetals.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.