Hat der lang erwartete Crash begonnen?
07.11.2018 | Chris Martenson
Ich gebe es zu: Ich bin ein "Permabär". Für diejenigen, die mich schon lange kennen und meine Arbeit über die Jahre hinweg mitverfolgt haben, ist das sicher keine Überraschung. Aber ich erkläre meine "Bearishness" hiermit öffentlich, weil sich daraus vielleicht die Chance auf einen längst überfälligen Dialog ergibt.
Meine grundsätzliche Überzeugung ist: Grenzenloses Wachstum ist auf einem begrenzten Planeten nicht möglich.
Aus diesem Grund prognostiziere ich einen enormen Crash bzw. den Kollaps der Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkte. Die Schwäche, die sich in den letzten Wochen an den Aktienmärkten gezeigt hat, ist nicht gegen das, was noch auf uns zukommt. Wie wir in einem früheren Artikel im Detail aufgezeigt haben, platzen Blasen "von außen nach innen", d. h. die Probleme beginnen in den schwächeren Sektoren der Peripherie, bevor sie auf das Zentrum übergreifen.
An den Schwellenmärkten haben die Aktienkurse seit ihrem Hoch im Januar 26% nachgegeben und notieren heute 18% tiefer als zu Jahresbeginn. In China liegt der Aktienmarkt trotz staatlicher Eingriffe zur Stützung der Kurse sogar 32% im Minus. In der Peripherie nimmt die Schwäche bereits seit Anfang des Jahres immer weiter zu und nun überträgt sie sich auch auf die Zentren der Finanzwelt.
Weltweit haben die Aktienmärkte in diesem Jahr rund 13 Billionen Dollar an Marktkapitalisierung eingebüßt und sind 15% gesunken:
Die Fäulnis ist mit erstaunlicher Geschwindigkeit bis ins Mark vorgedrungen. Nun gerät selbst der ehemals kugelsichere US-Aktienmarkt ins Straucheln. Der S&P 500 notiert im Vergleich zum Jahresbeginn im Minus:
Für alle, die unseren Crash Course gesehen haben, ist schon seit Langem klar, dass grenzenloses Wachstum ganz einfach unmöglich ist. Das gilt für eine Bakterienkultur in einer Petrischale genauso wie für eine Volkswirtschaft und jede Spezies auf diesem Planeten. Wenn endliche Ressourcen im Spiel sind, stößt jedes System letztlich an seine Grenzen.
Doch die Mehrheit der Gesellschaft tut einfach so, als wäre das nicht wahr. Die US-Regierung lässt bereits seit Jahrzehnten zu, dass der gigantische Schuldenberg schneller wächst als die Einnahmen (das Bruttoinlandsprodukt) des Landes. Die Manager der Rentenfonds legen für ihre Investments einen Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten zu Grunde und kaufen dennoch Aktien und Anleihen, die nur dann einen Gewinn abwerfen können, wenn sich das Wachstum ewig fortsetzt (z. B. Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 100). Ein großer Teil aller Gebäude und der gesamten öffentlichen Infrastruktur muss innerhalb der nächsten 50 Jahre erneuert oder ersetzt werden, doch niemand kann mit Sicherheit sagen, ob uns dafür auch genügend Energie zur Verfügung stehen wird.
Mit Blick auf die Finanzmärkte im Besonderen hat uns die Geschichte genügend deutliche Lehren erteilt, die uns eine Warnung sein sollten. 1929, 1987, 2001 und 2008 haben uns gezeigt, dass zwangsläufig eine schmerzliche Korrektur folgt und die Grenzen der Realität sich unweigerlich wieder Geltung verschaffen, wenn die ganze Welt in eine solche Manie verfällt, dass die Investoren an ewige Perfektion und grenzenloses Wachstum glauben müssen, um die aktuellen Assetpreise zu rechtfertigen.
Bullen vs. Bären
Mein permanenter Pessimismus ist das Nebenprodukt eines Blicks in die Zukunft: Meine Einschätzung des Weges, auf dem sich die Welt zur Zeit befindet, lässt sich nicht mit den Hoffnungen unserer Gesellschaft vereinbaren. Als Babyboomer unterscheidet mich das in gewisser Weise von meinen Altersgenossen, von denen viele davon profitierten, dass unsere Generation über ihren Verhältnissen lebte. Dagegen ist es keineswegs ungewöhnlich, junge Erwachsene zu treffen, die sich mit schlechteren Zukunftsaussichten konfrontiert sehen und meine Ansichten teilen.
Wenn ich die Finanzmärkte heute betrachte, frage ich mich: Welchen Sinn hat eine Investition in einen finanziellen Vermögenswert, der per Definition davon abhängig ist, dass ein logischer Trugschluss (endloses Wachstum) wahr ist? Gar keinen!
Wenn Sie glauben, dass Sie schlauer und geschickter sind als der Rest, dann gelingt es Ihnen vielleicht mit kurzfristigen Spekulationen einen Gewinn zu erzielen. (Viel Glück, wenn Sie es versuchen...) Aber der durchschnittliche Anleger? Ist es eine gute Wette, die eigenen Ersparnisse in einem Rentenfonds zu parken, der in allgemeine Indexfonds investiert ist, und zu hoffen, dass die nächsten 20 Jahre so ähnlich werden wie die letzten 20 Jahre? Nicht, wenn das Wirtschaftswachstum weiterhin so trügerisch und schwer erreichbar bleibt wie in den Jahren seit der Finanzkrise 2008.
Die Bullenfalle
Bullische Aktieninvestoren glauben per Definition an Wachstum, genauer gesagt an endloses Wachstum. Sie glauben, dass es an den Märkten langfristig gesehen immer aufwärts geht. Ich denke wie gesagt nicht, dass das möglich ist. Und selbst wenn es möglich wäre, wäre es schädlich für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten als Ganzes.
Früher zählte auch ich zu den Wachstumsgläubigen. Am Beginn meiner Karriere, als Berater, half ich Unternehmen sogar, dem Wachstum nachzujagen. Doch als mir die wissenschaftlichen Daten vertrauter wurden und ich begann, einige neue Verknüpfungen herzustellen, wurde mir bewusst, wie naiv und teilweise vollkommen falsch meine Ansichten in Bezug auf das Wachstum waren.
In den MBA-Seminaren wurde mir beispielsweise beigebracht, dass sich immer ein neues Angebot finden wird, um die Nachfrage des Marktes zu decken, wenn der Preis nur hoch genug ist. Doch schon die geringsten Nachforschungen zeigen, dass die Wirtschaft keine Ressourcen liefert, sondern dass wir nur deswegen eine Wirtschaft haben, weil es natürliche Ressourcen gibt, die wir nutzen können. Die Wirtschaft ist der natürlichen Welt untergeordnet, nicht andersherum.
Die meisten Menschen verstehen das intuitiv, aber es bleibt ein Mysterium, warum sich so viele mit dem Gedanken schwer tun, dass immer mehr Wachstum auch immer mehr Ressourcen erfordert. Sie ignorieren die Tatsache, dass die Endlichkeit der Ressourcen irgendwann eine Rolle zu spielen beginnt.
Die wichtigste Ressource ist Energie. Ohne Energie können wir gar nichts haben, keine Wirtschaft, nichts. Genauer gesagt macht überschüssige Energie all das möglich, was Sie und ich an unserem erstaunlichen globalen Lebensstil, in dem alles genau zur rechten Zeit verfügbar ist, so schätzen. Wenn ein Gepard bei der Jagd mehr Kilokalorien verbraucht, als er tatsächlich erbeutet, stirbt er. Jeder Organismus kann nur dann wachsen und gedeihen, wenn ihm mehr chemische Energie zur Verfügung steht, als er verbraucht.
Einfach ausgedrückt verbrauchen wir Menschen hunderte Millionen Jahre von in Form von fossilen Brennstoffen gespeichertem, uralten Sonnenlicht im geologischen Äquivalent einer Mikrosekunde. Unsere Spezies hat von einer einmaligen Goldgrube profitiert. Doch diese nähert sich rasend schnell der Erschöpfung.
Klar, es hat Spaß gemacht. Und wir haben mit all der überschüssigen Energie aus den fossilen Brennstoffen jede Menge richtig coole Sache gemacht, z. B. den Weltraum erkundet und Smartphones hergestellt. Was wir jedoch nicht getan haben, ist in eine Zukunft zu investieren, die auch dann noch funktionieren wird, wenn all die tollen fossilen Energieträger aufgebraucht sind.
Die ersten Auswirkungen sind bereits heute zu spüren, wie wir schon mehrmals angemerkt haben. Im Laufe der kommenden Jahrzehnte wird das nur noch schlimmer werden. Ein kritischer Faktor ist die Tatsache, dass das System, auf dem die Funktionsweise unserer ganzen Welt beruht, immer instabiler wird. Mit dem sinkenden Energieüberschuss greifen wir zunehmend auf Schulden zurück, um schon heute in den Genuss des Wohlstandes von morgen zu kommen und die Party am Laufen zu halten.
Das kann jedoch nicht unendlich so weitergehen. 2008 hat uns gezeigt, dass das gesamte System bebend zum Stillstand kommt, wenn das Kreditvolumen nicht weiter zunimmt. Unser aktuelles Kredit- und Geldsystem wird entweder ausgeweitet oder droht zu kollabieren. Es gibt keinen Mittelweg mehr.
Das soziale Netz beginnt zu reißen
Die Ansicht, dass Wachstum vom Vorhandensein überschüssiger Energie abhängt, beruht nicht auf besonders komplizierten logischen Schlussfolgerungen. Aber wie ich auf die harte Tour lernen musste, während ich diese Botschaft im Laufe der Jahre öffentlich verkündete, sind Logik und Fakten nur selten ausreichend, um das menschliche Verhalten zu ändern.
Menschliches Handeln wird von unseren Überzeugungen gesteuert, und diese sind fest in unserem limbischen System verankert, d. h. nicht im eher rationalen Cortex. Wenn unsere Ansichten in Frage gestellt werden, beginnen die Emotionen zu kochen. Daten sind dann irrelevant. Logik spielt keine Rolle. Der sogenannte Backfire-Effekt breitet sich aus und übernimmt die Kontrolle.
Wir stehen heute am wichtigsten Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, doch nur den Wenigsten ist das bewusst. Aber versuchen Sie einmal, die Aufmerksamkeit der Menschen auf dieses Thema zu lenken und ihre bisherige Weltanschauung anzufechten! Die ersten Emotionen, die dabei ausgelöst werden, sind Angst und Wut, und die Zuhörer beginnen sofort nach irgendeinem Grund zu suchen, um die neuen Informationen verwerfen zu können.
Das ist eine verrückte Verschwörungstheorie! Das ist missglücktes malthusianisches Gewäsch! Das ist Panikmache! Sie unterschätzen den menschlichen Einfallsreichtum! Wenn das wirklich wahr wäre, würde man in den Medien darüber lesen!
Im Laufe der Jahre habe ich tausende von "Gründen" gehört, um eine kritische Auseinandersetzung mit den Daten zu vermeiden. Das ärgert mich nicht länger, denn ich erkenne es als das, was es wirklich ist: Ein Versuch, sich selbst vor einer Auseinandersetzung mit der Möglichkeit zu schützen, dass das Versprechen von endlosem Wachstum, auf dem unserer aktueller Wohlstand beruht, womöglich eine Lüge ist.
Ich denke, dass vielen Menschen das nichtsdestotrotz auf einer unterbewussten Ebene klar wird. Das ist dieses Gefühl, das wir bekommen, wenn wir sehen, dass die 1% so viel besser leben als wir. Wenn wir hören, wie "großartig" die aktuelle Arbeitslosenquote ist oder wie toll sich der Aktienmarkt entwickelt, während wir gleichzeitig sehen, wie schwer es für viele Haushalte ist, über die Runden zu kommen, weil die Mittelschicht durch stagnierende Löhne und steigende Lebenshaltungskosten immer stärker belastet wird. Wenn wir sehen, dass führende Politiker und Unternehmen nach anderen Regeln leben als die allgemeine Bevölkerung, und in den Genuss von Vorzügen kommen, die dem Durchschnittsbürger verwehrt bleiben.
Ich denke, dass diese Situation erklärt, warum die Spannungen derzeit so hoch und die Gemüter so erhitzt sind, auch wenn nur wenige das zu verstehen scheinen. Sie erklärt, warum unser Land so gespalten und zunehmend verzweifelt ist. Sie erklärt die verhärteten Fronten, die Opioid-Epidemie, die Briefbomben.
So wie ich es sehe, ist ein Großteil der emotionalen Energie, die derzeit freigesetzt wird, darauf zurückzuführen, dass unsere gesamte Lebensweise einem fundamentalen Wandel unterzogen ist. Unser grundlegendes Narrativ davon, wie "das Lebens funktioniert", bricht zusammen. Die Folge dessen ist eine Welle der Trauer, Depression und Wut.
Hat der Crash begonnen?
Da nun vor Kurzem alle Kursgewinne dieses Jahres innerhalb weniger Tage wieder zunichte gemacht wurden, stellt sich die Frage: Hat der nächste Crash begonnen? Steht das Finanzsystem kurz vor dem Zusammenbruch, wie im Jahr 2008?
Bei Peak Prosperity behalten wir eine Reihe von Indikatoren sehr genau im Auge. Doch obwohl viele zwar Stresssignale senden, ist die Lage allem Anschein nach insgesamt noch nicht so festgefahren, wie man das vor einem plötzlichen Einbruch der Märkte erwarten würde. Während des Sell-offs an den Aktienmärkten hat sich das schwächste Glied an den Kreditmärkten, hier stellvertretend dargestellt durch den ETF "JNK", der den Junk-Bond-Sektor nachbildet, beispielsweise kaum bewegt:
Was mir vor dem Crash von 2008 den warnenden Hinweis gab, waren die Kursbewegungen an den Kreditmärkten und bei den Finanzunternehmen, die am stärksten von diesen Märkten abhängig sind. Im Englischen gibt es das Sprichwort "stocks are for show but bonds are for dough" - Aktien für die Show und Anleihen für das "echte Geld". Die wirklich großen Akteure an den Anleihemärkten verlagern ihre Investments typischerweise in sicherere Anlagen, bevor die risikofreudigeren Aktieninvestoren etwas merken.
Doch die Preise für die als "sicherer Hafen" geltenden US-Treasuries sind kaum gestiegen. Wenn sich eine Panik anbahnen würde, wäre ein steilerer Sprung nach oben zu erwarten, auch wenn China seine Bestände an US-Staatsanleihen reduziert und die Fed sich aus dem Markt zurückgezogen hat.
Der kleine "Rückprall" der letzten Wochen bringt den Kurs der 20-jährigen US-Staatsanleihen nicht einmal auf das Niveau von Anfang Oktober zurück, vom Stand im September ganz zu schweigen.
Auch der Goldpreis in US-Dollar hat keine große Rally hingelegt (der Goldpreis in Euro und Yuan ist eine andere Sache):
Wenn man außerdem bedenkt, dass sich die US-Wirtschaft (noch) nicht in einer Rezession befindet, wird klar, dass sich die jüngste Korrektur wahrscheinlich nicht zu einem ausgewachsenen Crash ausweiten wird.
Aber: Was wir heute an den Märkten beobachten können, sind genau die Entwicklungen und Aktivitäten, die man in der letzten Phase vor einem Crash erwarten würde. Die Korrektur an den Aktienmärkten hat aus diesem Grund meine volle Aufmerksamkeit. Nein, ich denke nicht, dass es sich schon um den nächsten großen Crash handelt. Aber ich denke, dass dieser nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird.
Im Hier und Jetzt ist es daher wichtig, sich auf die nötigen Vorbereitungen zu konzentrieren und trotz der hitzigen Debatten und der emotionalen Kämpfe, unter denen viele Menschen heute leiden, einen kühlen Kopf zu bewahren. In Zukunft wird es höchstens noch schlimmer werden.
© John Mauldin
www.mauldineconomics.com
Dieser Artikel wurde am 26. Oktober 2018 auf www.mauldineconomics.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.