Antony P. Mueller: Warum versagt die Politik?
09.01.2022 | Presse anonym
Lautstark posaunen die Befürworter von Staat und Politik die Mär vom Versagen der Privatinitiative durch die Lande, während allenthalben mit offenen Augen zu sehen ist, dass das Staatsversagen das Übel ist.
Marktversagen
Die Interventionisten haben eine Theorie entwickelt, die vom "Marktversagen" handelt. Dabei werden konkrete Marktsituationen mit dem Ideal des vollkommenen Marktes verglichen. Der Theoretiker stellt dann Abweichungen fest und erarbeitet Eingriffsmechanismus seitens der Regierung, die das Problem beseitigen sollen.
Diese Theorie des Marktversagens ist schon am Ansatz her verfehlt. Niemals haben die Befürworter des Kapitalismus auch nur daran gedacht, dass der Marktablauf vollkommen sei. Im Gegenteil: Für die Anhänger des Kapitalismus gibt es andauernd Marktungleichgewichte. Ohne diese bräuchte es keine Unternehmer.
Die Theoretiker des Marktversagens bilden zuerst ein Modell des vollkommenen Marktes, in dem es keine Unternehmer gibt. Dann untersuchen sie einen konkreten Markt und stellen fest, dass es im Vergleich zum perfekten Markt Ungleichgewichte gibt. Auf dieser Grundlage begründen die Theoretiker des Marktversagens nun den Staatseingriff.
Durch staatliche Interventionen soll das Marktgleichgewicht im Sinne der Theorie hergestellt werden. Da in diesen Modellen von vornherein das unternehmerische Handeln ausgeschlossen wurde, soll nun der Staat eingreifen und Gleichgewicht durch Marktintervention hervorbringen.
Die Theoretiker des Interventionismus ignorieren das Problem des Staatsversagens. Dabei hat die Public Choice Theorie seit den 1970er-Jahren Modelle und Theorien entwickelt und mit zahlreichen empirischen Studien belegt, dass das Staatsversagen keineswegs die Ungleichgewichte beseitigt, sondern meist verstärkt.
Staatsversagen
Wenn Politiker und Bürokraten nicht halten, was sie versprechen, - wie es durchwegs der Fall ist, - wird häufig behauptet, das Problem könne gelöst werden, wenn wir nur bessere Leute in die Regierung brächten. Man sagt, dass die alte Garde von Regierungsmitgliedern sich nicht genug bemühte oder sie nicht die richtigen Absichten hatte.
Es stimmt zwar, dass in den Regierungsämtern viele inkompetente Leute und Menschen mit schlechten Plänen und Beschlüssen agieren, aber wir können den beteiligten Personen nicht immer die Schuld geben. Oft ist die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns eine Folge der Regierung als Institution selbst. Mit anderen Worten, Politiker und Bürokraten sind nicht erfolgreich, weil sie nicht gedeihlich operieren können, denn die Natur des Staatsapparates steht der Lösung der Probleme entgegen.
Wissensverteilung
Die Regierungspolitik leidet unter einer Anmaßung des Wissens. Um erfolgreich eine Marktintervention durchführen zu können, müsste die Politik mehr wissen, als sie kann. Marktwissen ist nicht zentral, systematisch organisiert und allgemein, sondern verteilt, heterogen, spezifisch und individuell. Anders als in einer Marktwirtschaft, in der es viele Akteure gibt und ein ständiger Prozess von Versuch und Irrtum stattfindet, ist die Korrektur staatlicher Fehler begrenzt, da die Regierung ein Monopolist ist. Für den Politiker ist es oft schlimmer, einen Fehler zuzugeben, als an einer falschen Entscheidung festzuhalten - selbst gegen die eigene Einsicht.
Informationsasymmetrien
Während auch auf dem Markt die sogenannten Informationsasymmetrien bestehen, beispielsweise zwischen dem Versicherer und dem Versicherten oder zwischen dem Verkäufer eines Gebrauchtwagens und seinem Käufer, ist die Informationsasymmetrie im öffentlichen Sektor ausgeprägter als in der Privatwirtschaft. Während beispielsweise mehrere Versicherungsgesellschaften und viele Autohändler miteinander konkurrieren, gibt es nur eine Regierung.
Die Regierungsmitglieder haben nicht viel zu verlieren, wenn etwas schiefgeht. Im Gegenteil macht sich oft eher schlechte Politik bezahlt. Der Politiker wird deshalb nicht viel Aufwand betreiben, um fehlendes Wissen zu vermeiden. Als Parteimenschen sind sie bestrebt, nicht die dringendsten Probleme anzugehen, sondern für solche Gruppen Mittel bereitzustellen, die im politischen Machtspiel am wichtigsten sind.
Verdrängung des Privatsektors
Durch staatliche Eingriffe werden scheinbare Marktdefizite nicht beseitigt, sondern durch Verdrängung der privaten Versorgung werden sie geschaffen. Wenn es in den Bereichen Schulbildung und Sozialhilfe keine öffentliche Dominanz gäbe, würden nicht-staatliches Angebot und gemeinschaftliche Wohltätigkeitsorganisationen die Lücke schließen, wie dies vor der Usurpation der Aktivitäten durch die Regierung der Fall war.
Die Verdrängung des Privatsektors durch staatliche Maßnahmen ist ständig am Werk, weil Politiker durch die Bereitstellung zusätzlicher öffentlicher Dienstleistungen Stimmen erhalten können, obwohl durch die öffentliche Verwaltung die Problemlagen nicht gelöst, sondern verschlechtert werden.
Administrative Zeitverzögerungen
Die Regierungspolitik leidet unter langen Verzögerungen zwischen Diagnose und Wirkung. Politik ist ein Machtspiel und die Antenne des Politikers ist auf die Signale ausgerichtet, die für diesen Kampf um die Macht relevant sind. Nur wenn ein Thema ausreichend politisiert ist, wird es die Aufmerksamkeit der Regierung finden. Nach der Verzögerung, bis ein Problem die Wachsamkeit seitens der Politik erfährt und als Problemfall diagnostiziert wird, tritt eine weitere Verzögerung auf, bis die Staatsbehörden und Parteigremien einen Konsens darüber gefunden haben, wie das Problem angegangen werden soll.
Danach dauert es eine weitere Zeit, bis die geeigneten politischen Mittel die notwendige politische Unterstützung erhalten. Nach der Umsetzung der Maßnahmen vergeht eine weitere Zeitspanne, bis der Mitteleinsatz seine Wirkung zeigt. Die Zeit zwischen der Artikulation eines Problems und der Auswirkung ist oft so lang, dass sich die Natur des Problems und sein Kontext in der Zwischenzeit grundlegend geändert haben. Es überrascht nicht, dass die Ergebnisse staatlicher Interventionen einschließlich der Geldpolitik nicht nur vom ursprünglichen Ziel abweichen, sondern das Gegenteil der Absichten hervorrufen können.
Pfründe
Staatliche Eingriffe machen das Streben nach Privilegien attraktiv und ziehen so Personen an, die darauf aus sind, Pfründe durch die Regierungspolitik zu erlangen. In einer Demokratie besteht ein ständiger Druck, die Sondervergünstigungen auszuweiten, um Unterstützung und Stimmen zu erhalten. Die Schaffung von Privilegien zugunsten einer Sondergruppe erhöht den Eifer anderer Gruppen, ebenso nach Pfründen zu suchen. Mit der Zeit wird die Unterscheidung zwischen Korruption und einem anständigen und legalen Verhalten verwischt.
Je mehr sich eine Regierung der Schaffung von Pfründen widmet, desto mehr wird das Land ein Opfer von Klientelismus, Bestechlichkeit und der Fehlallokation von Ressourcen.
Koalitionsklüngel
Der in der Theorie der öffentlichen Wahlhandlungen (Public chic) thematisierte "Koalitionsklüngel" (Logrolling) bezeichnet den Austausch von Gefälligkeiten unter den politischen Fraktionen, um ein bevorzugtes Projekt durch Unterstützung der Interessen anderer Gruppe zu erreichen. Dieses Verhalten führt zu einer stetigen Ausweitung der staatlichen Aktivitäten. Durch diesen Prozess der wechselseitigen Gegenleistungen unterstützen die Parlamentarier die Gesetzesvorlagen anderer Fraktionen als Ausgleich für die politische Unterstützung der eigenen Projekte. Dieses Verhalten führt zu dem Phänomen der "Gesetzesinflation", der Lawine der nutzlosen, widersprüchlichen und schädlichen Gesetze.
Gemeinwohlillusion
Das sogenannte "Gemeinwohl" ist kein klar definiertes Konzept. Ähnliche Begriffe wie der des „öffentlichen Gutes“, das durch Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität definiert wird, verfehlen ebenfalls den Punkt, weil nicht das Gut "allgemein" ist, sondern seine Bereitstellung. Ein Gut wird dadurch zu einem öffentlichen Gut, wenn seine kollektive Herstellung als effizienter angesehen wird als die private oder individuelle Herstellung dieses Gutes. Dies ist aber bei allen Wirtschaftsgütern der Fall, denn der Markt selbst ist ein System zur Bereitstellung privater Güter durch kooperative Bemühungen.
Die Marktwirtschaft ist ein kollektiver Anbieter von Gütern, da sie Wettbewerb mit Kooperation verbindet. Jedes der sogenannten "öffentlichen Güter", die der Staat liefert, kann desgleichen der private Sektor produzieren und dazu noch billiger und besser. Im Gegensatz zur öffentlichen Hand umfasst die Kooperation in einer Marktwirtschaft auch Wettbewerb und damit nicht nur Wirtschaftlichkeit, sondern auch Anreize für Innovationen.
Regulatorische Machtergreifung
Der Begriff der regulatorischen Machtübernahme (Regulatory capture) bezeichnet ein Versagen der Regierung, bei dem die Regulierungsbehörde nicht mehr die ursprüngliche Absicht verfolgt, das "öffentliche Interesse" zu fördern, sondern dem zu regulierenden Gruppeninteresse zum Opfer fällt, zu deren Regulierung die Agentur eingerichtet wurde. Durch die Inanspruchnahme der Administration durch private Interessen wird die Agentur zu einem Instrument, um die besonderen Interessen der zur Regulierung anvisierten Gruppe voranzutreiben.
Zu diesem Zweck werden die Interessengruppen gemäß ihren besonderen Anliegen Sonderregelungen fordern, um den Staatsapparat als Instrument zur Förderung der eigenen Interessen zu benutzen.
Kurzsichtigkeit
Der politische Zeithorizont ist die nächste Wahl. In dem Bestreben, dass die Vorteile politischen Handelns schnell ihren spezifischen Interessenten zugutekommen, wird der Politiker kurzfristige Projekte bevorzugen, auch wenn diese nur vorübergehende Vorteile bringen und langfristig mehr kosten als ein alternatives Projekt, in dem die Kosten zuerst anfallen und die Vorteile erst später kommen. Da die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat die Verbindung zwischen dem Kostenträger und dem unmittelbar Begünstigten trennt, ist die zeitliche Präferenz für die vom Staat scheinbar unentgeltliche Nachfrage nach Gütern zwangsläufig höher als im Marktsystem.
Rationale Ignoranz
Es ist rational, wenn sich der einzelne Wähler in einer Massendemokratie über die politischen Fragen nicht gründlich informiert, weil der Wert der Stimme des Einzelnen so gering ist, dass sie für das Ergebnis keinen Ausschlag gibt. Der rationale Wähler wird für diejenigen Kandidaten stimmen, die die meisten Vorteile versprechen. Angesichts des geringen Gewichts einer Einzelstimme in einer Massendemokratie wird der rationale Wähler nicht viel Zeit und Mühe aufwenden, um zu untersuchen, ob diese Versprechen realistisch sind oder mit seinen anderen Wünschen nicht kollidieren. Daher haben die politischen Kampagnen nicht Information und Aufklärung zum Ziel, sondern Desinformation und Verwirrung.
Was zählt, ist am Ende mehr Stimmen zu bekommen. Nicht die Solidität des Programms ist wichtig, sondern die Begeisterung, die ein Kandidat bei seinen Anhängern erzeugen kann und wie gut er seine Gegner niedermachen, denunzieren und erniedrigen kann. Infolgedessen rufen Wahlkampagnen Hass, Polarisierung und Vergeltungslüste hervor.
Textbeitrag aufgrund von Auszügen aus “Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik” (KDP 2021)
© Antony P. Mueller