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Bretton Woods: Der Dollar auf dem Weg in die Pleite von 1971

30.06.2002  |  Wal Buchenberg
"Die fünfziger Jahre gingen zu Ende, als die letzten Bücher zum Problem der Dollarknappheit erschienen und die ersten Kommentare mit entgegengesetzter Tendenz über das anhaltende Defizit in der Zahlungsbilanz der Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden. In der Tat zeichneten sich die fünfziger Jahre dadurch aus, daß Europa und Japan weitere Fortschritte machten, daß die Nichtkonvertierbarkeit der Währungen nach und nach aufgehoben wurde, daß der Handel sich liberalisierte, daß das jährliche Zahlungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten und der Abfluß langfristiger Gelder insbesondere nach Westeuropa zunahmen, während die diskriminierenden Maßnahmen gegenüber amerikanischen Exporten nach und nach verschwanden.

Während der Jahre der Marshallplanhilfe hatte die amerikanische Zahlungsbilanz ein geringes Defizit aufgewiesen, das jedoch durchaus mit den Zielen der amerikanischen Führung in Einklang stand, da in Fort Knox ein Goldvorrat von über 20 Milliarden Dollar lag, etwas mehr als die Hälfte der Weltreserven an Gold. Damals sprach man nicht vom Zahlungsbilanzdefizit, sondern von einer Umverteilung der Weltreserven. Die Reserven der Vereinigten Staaten waren von 14,6 Milliarden Dollar in 1938 auf 22,9 Milliarden in 1947 und 24,6 Milliarden in 1949 gestiegen, um bis 1958 auf 20,6 Milliarden zurückzugehen. Zehn Jahre später betrugen sie rund 10 Milliarden Dollar. (...)

Der letzte Bericht an den Kongreß enthält für 1969, 1970 und 1971 die folgenden Zahlen: In der Nettoliquiditätsbilanz ein Defizit von 6,084 Milliarden, 3,821 Milliarden und 23,439 Milliarden Dollar und der Bilanz der offiziellen Reservetransaktionen im Jahre 1969 einen Überschuß von 2,704 Milliarden und dann ein Defizit von 9,821 bzw. von 31,810 Milliarden Dollar. (...)

Wenden wir uns zunächst der Waren-, Dienstleistungs-, und Übertragungsbilanz zu. Sie wies 1964 einen Überschuss von 7,8 Milliarden Dollar auf, verschlechterte sich dann aber von Jahr zu Jahr immer mehr (mit Ausnahme des Jahres 1970, als die Vereinigten Staaten zu einer deflationistischen Politik übergingen). In den ersten drei Quartalen 1971 war der Überschuß, auf Jahresbasis umgerechnet, auf 0,1 Milliarden Dollar zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum wies die Handelsbilanz, die 1964 noch einen Überschuß von 6,8 Milliarden Dollar gezeigt hatte, ein Defizit von 1,7 Milliarden Dollar auf. Von 1964 - 1971 hatten die Einfuhren um 147% (jährlich 14%), die Ausfuhren aber nur um 74% zugenommen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß ein Teil der amerikanischen Ausfuhren mit Krediten bezahlt wurde, die von den Empfängern nur in den Vereinigten Staaten verwendet werden durften (zweckgebundene Kredite).

Die Erweiterung des Defizits (trotz gestiegener Kapitalerträge aus Auslandsinvestitionen) hängt offenkundig mit der seit 1965 einsetzenden bzw. sich verstärkenden Inflation und mit der massiven Intervention in Vietnam zusammen (zwischen 1960 und 1964 stiegen die Exporte von 19,650 auf 26,478 Milliarden Dollar und die Importe von 14,744 auf 18,647 Milliarden Dollar). Während der Preis der Arbeitsstunde zwischen 1960 und 1965 in den Vereinigten Staaten sank, stieg er in den übrigen Industrieländern. Zwischen 1966 und 1970 zeigen die Statistiken eine gleichmäßige Steigerung in den Vereinigten Staaten wie bei den Hauptkonkurrenten, während bei den Preisen für exportierte Fertigwaren die Steigerung bei den Vereinigten Staaten höher war als bei der ausländischen Konkurrenz.

Da die militärischen Transaktionen einen Kostenfaktor zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Milliarden Dollar darstellen und die Dienstleistungen genauso wie die privaten und die öffentlichen Übertragungen in der Regel ein Defizit aufweisen, blieben während der sechziger Jahre nur zwei positive Posten übrig: die Warenhandelsbilanz und die Kapitalerträge. Der Überschuß dieses letzteren Postens ist von durchschnittlich 1,2 Milliarden (1960 - 1964) auf 5,2 Milliarden in 1970 gestiegen (das ist der Nettobetrag, der Bruttobetrag beläuft sich auf 11,4 Milliarden Dollar).

Die Verschlechterung der Leistungsbilanz hat auf die langfristigen Kapitalbewegungen, die von durchschnittlich 2,2 Milliarden zwischen 1960 und 1964 auf 4,4 Milliarden in 1970 gestiegen sind, keinen Einfluß gehabt. Seit die Währungsbehörden im Jahre 1970 einen währungspolitischen Expansionskurs beschlossen, um den Wiederaufschwung der Wirtschaft zu unterstützen, und in Europa wegen des Nachhinkens der Konjunktur weiterhin höhere Zinssätze galten, hat sich die Leistungsbilanz in den Hauptposten immer rapider verschlechtert. Das offizielle Defizit hatte 1970 annähernd 10 Milliarden Dollar erreicht. Der auch 1971 anhaltende Dollarabfluß aus den Vereinigten Staaten ließ das Defizit so weit anwachsen, bis es für die europäischen Zentralbanken unerträglich wurde und sie vor der Alternative standen, entweder unbegrenzt Dollars aufzunehmen oder die Parität der amerikanischen Währung auf einem freien Markt schwanken zu lassen (sei es auf einem einheitlichen Markt oder einem gespaltenen Finanz- und Handelsmarkt). (...)

Bei den Vorwürfen und Gegenvorwürfen, die in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zwischen Europäern (vor allem Franzosen) und Amerikanern ausgetauscht wurden, ging es zum einen darum, welchem Posten man die Verantwortung, (im doppelten Sinne von Ursache und Fehler) für das amerikanische Defizit zuschreiben sollte, zum anderen um das Wertverhältnis von Gold und Dollar. Solange der scheinbare Handelsbilanzüberschuß zwischen 4,5 und 6 Milliarden Dollar lag, war nichts leichter, als das Defizit der internationalen Rolle der Vereinigten Staaten, ihrem Anteil an der "Verteidigung der Freien Welt" zuzuschreiben.

Gleichgültig, ob man das Defizit nach der einen oder anderen Methode berechnete, es erreichte in etwa die Höhe der Militärausgaben der amerikanischen Regierung im Ausland. In einer solchen Deutung wird allerdings der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Posten einer Zahlungsbilanz verkannt; der Handelsbilanzüberschuß ging teilweise auf die Dollarschwemme zurück, die durch Regierungsausgaben im Ausland und durch zweckgebundene Kredite (tied loans) entstanden war. Im übrigen setzte eine solche Argumentationen noch auf politischer Ebene die Zustimmung der Europäer zur Diplomatie der Vereinigten Staaten voraus - eine Zustimmung, die wenigstens seit 1965 nicht mehr gegeben war.

Kaum sinnvoller war auch die Auseinandersetzung über die Wertbeziehung zwischen Gold und Dollar. Es ist unklar, was hinter der Behauptung steckt, der Wert des Goldes beruhe auf dem Wert des Dollars, wie mir einer der wirtschaftswissenschaftlichen Berater des Präsidenten wiederholt versicherte. Nehmen wir an, sämtliche Staaten würden beschließen, dem Gold seine monetäre Funktion zu nehmen, dann würde der Preis dieses Metalls, das zu einem Rohstoff wie alle anderen geworden wäre, ganz offenbar sinken, zumindest anfangs; allerdings kann kein Staat, wie mächtig er auch sei, allein eine solche Entscheidung treffen. Es ist allgemein bekannt, daß die Regierung der Vereinigten Staaten es nicht zulassen wird, daß ihre Goldreserven unter einen gewissen Stand sinken (den man auf rund 10 Milliarden Dollar schätzt). Demnach stützt sich der Wert des Goldes keineswegs auf den Wert des Dollar, sondern kann über diesen hinausgehen, wenn eine sowohl industrielle als auch monetäre Nachfrage nach diesem Edelmetall besteht.

Die "Demonetisierung des Goldes" ist ebenfalls ein mißverständlicher Ausdruck. Da die Reserven sämtlicher Zentralbanken zum großen Teil aus Gold bestehen, wird eine offizielle Demonetisierung, die der einstigen Demonetisierung des Silbers vergleichbar wäre, keine Zustimmung finden. Keine Zentralbank, nicht einmal der Federal Reserve Board, ist so mächtig, allein diese Demonetisierung durchsetzen zu können. Da jede Währung im Verhältnis zu den übrigen Währungen Schwankungen ausgesetzt ist, fällt es schwer, auf das Gold als Wertmaßstab zu verzichten. Man kann allerdings die monetäre Verwendung des Goldes auf den Austausch zwischen den Zentralbanken beschränken und die beiden Märkte voneinander trennen - damit wäre die monetäre Verwendung des Goldes eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. (...)

Die Vereinigten Staaten konnten ihr Zahlungsbilanzdefizit mit "gütiger Nachsicht" hinnehmen, da die europäischen Zentralbanken die wegen des amerikanischen Defizits in ihre Kassen strömenden Dollarüberschüsse auf dem New Yorker Markt in Schatzanweisungen umtauschten.

Erhielt sich das Defizit aus sich selbst heraus? Beruhte es mit Notwendigkeit darauf, daß die Dollars, welche das Defizit ausmachten, in den Vereinigten Staaten untergebracht wurden? Mir scheint, daß die amerikanischen Defizite bis zur beschleunigten Inflationsphase von 1965 - 1970 weder für die amerikanische noch für die europäische Inflation die wesentliche Ursache waren. Der Golddevisenstandard oder mit anderen Worten die Verwendung einer einzigen Währung, der amerikanischen, als Reservewährung und die durch das Zahlungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten wachsende internationale Liquidität waren von Anfang an mit einer Schwäche behaftet. Auf lange Sicht muß das Defizit der Vereinigten Staaten Besorgnisse wegen des Wechselkurses wecken, da die Zentralbanken nicht bereit sein konnten, unbegrenzt Dollars anzuhäufen. Eines Tages mußte das System "platzen", auch wenn diese Krise mit der Krise von 1929 nichts zu tun haben würde. Die absehbare Krise mußte sich in der Weise äußern, daß der Dollar nicht mehr in Gold oder in andere Aktiva konvertierbar sein würde - und für die Europäer wirft diese Nichtkonvertierbarkeit mindestens genauso schwierige Probleme auf wie die vorhergehende Phase.

Die These von der "Normalität" des amerikanischen Defizits stützt sich auf einen Vergleich zwischen den Kapitalmärkten einerseits der Vereinigten Staaten, andererseits aller übrigen Länder. Das amerikanische Defizit wird zurückgeführt auf langfristige Auslandsinvestitionen amerikanischer Unternehmen und auf kurzfristige Anlagen der ausländischen Zentralbanken auf dem New Yorker Markt. Unter dem makroökonomischen Gesichtspunkt der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung fungieren die Vereinigten Staaten als Bankier, der kurzfristig leiht und langfristig anlegt und sich so die unterschiedlichen Zinssätze und Gewinnspannen zunutze macht. Auch der Londoner Markt hatte diese "Umwandlung" lange Jahre hindurch praktiziert. Voraussetzung ist jedoch, daß die Währungsparität außer Zweifel steht und daß die auf der makroökonomischen Ebene der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgeübte Bankierfunktion nicht auch innerhalb nationaler Grenzen ausgeübt wird.

Daß es für Privatpersonen in Frankreich interessant sein kann, ihr Kapital durch Veräußerung an amerikanische Unternehmen in Bargeld zu verwandeln, und daß Amerikaner, ihren Vorteil darin sehen, langfristige Investitionen in Europa zu machen, steht außer Frage. Das heißt jedoch nicht, daß sich stets Privatpersonen oder Zentralbanken finden, die bereit sind, Dollars zu behalten, und es heißt nicht, daß alle mit dieser übernationalen Bankierfunktion der Vereinigten Staaten zufrieden sind. Selbst wenn europäische Privatpersonen an der New Yorker Börse Aktien kaufen und diese Käufe das Gegenstück zu den langfristig in Europa angelegten Dollars bilden, so läßt sich doch nicht jede Regierung von den theoretischen Argumenten Professor Kindlebergers überzeugen, denen zufolge die Investitionen letzten Endes dem Interesse aller entsprechen und die Nationalität des Investors gleichgültig ist.




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