V W vvvvvvv?
06.06.2009 | Klaus Singer
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Daher besteht zwischen der Makroentwicklung und ihrer Umsetzung an den Börsen zwar auf lange Sicht gesehen Einklang, nicht aber unbedingt im kurz- und mittelfristigen Bereich. Insbesondere dann nicht, wenn ein solches Maß an Überschussliquidität vorhanden ist, das eine Gleichschaltung der großen Adressen förmlich erzwingt. Das Ergebnis sehen wir seit März: Es läuft eine Bärenmarkt-Rallye erster Güte, die mittlerweile zu absurden Aktienbewertungen geführt hat, die sich wegen der im Vergleich zu 2003 sehr viel trüberen Aussichten hinsichtlich der Entwicklung der Unternehmensgewinne auch auf längere Sicht als viel zu hoch erweist.Die Schere zwischen fundamentalen Gegebenheiten und ihrer Widerspiegelung in den Preisbewegungen der Finanzmarkt-Assets kann noch weiter auseinander klaffen. Wenn es nämlich zu einem stark inflationären Szenario kommt, werden immer mehr Anleger sich schließlich mehr um ihr Geld an sich als um seine Rendite sorgen. Wenn sie die Finanzmärkte immer stärker unter diesem Blickwinkel sehen und ihre Mittel hier platzieren aus Angst davor, dass sie die Inflation frisst, dann kann es tatsächlich zu einer verrückten Bewegung kommen. Von der spricht z.B. auch der australische Analyst Colin Twiggs: "... mad scramble for real assets".
"Verrückt" hieße dann auch, dass die Kursbewegungen sehr erratisch und volatil werden, weil Anleger auf alle möglichen fahrenden Züge auf- und wieder abspringen.
Und "ganz verrückt" wäre es, wenn genau das zusammen mit der Überschussliquidität im Finanzsektor einen ähnlichen Wohlstandseffekt wie vor 2000 (in der Technologieblase) herbeiführen würde. Das erscheint aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich - aber man wird ja mal phantasieren dürfen. Für unsere Finanz-orientierte Wirtschaft wäre das jedenfalls der "eleganteste" Weg (bis zur nächsten, noch schwereren Krise, die angesichts der Kreditblase unausweichlich kommt). Unrealistisch ist dieses Szenario jedoch vor allem dann, wenn der Angst vor künftiger Inflation die Inflation selbst folgt. Dann macht sich der Wohlstandseffekt aus gestiegenen Asset-Preisen von selbst zunichte - anders als zu Zeiten der Technologieblase, die in einem Umfeld relativ geringer Inflation stattfand.
Aktuell dürfte der Aspekt der „Geldsicherung“ noch eine untergeordnete Rolle spielen. Aber das Thema Inflationserwartung gewinnt allmählich an Bedeutung. Und mit der zuletzt gesehenen Verschiebung von Liquidität in den Rohstoffbereich machen sich die Akteure ihre Argumente selbst.
Marc Faber nimmt in einem aktuellen Interview in der FAZ ein deutlich inflationäres Szenario als sicher an. Er sagt: "Eine Inflation lässt sich in jedem Land ohne weiteres schaffen, indem man große Fiskaldefizite mit einer lockeren Geldpolitik kombiniert." Dies hatte Alan Meltzer Anfang Mai in der NYT auch behauptet und u.a. darauf verwiesen, dass der GDP-Deflator in Q1/2009 annualisiert plus 2,9 Prozent zeigt (nach kürzlich veröffentlichten Zahlen 2,8 Prozent). Kein Land mit enormen Budget-Defiziten, schnellem Wachstum der Geldmenge und der Aussicht nachhaltiger Entwertung der eigenen Währung habe je Deflation produziert. Paul Krugman hatte dem in seinem Blog widersprochen und einen Chart vorgestellt, der die steigende M1 und das Fiskal-Defizit im Japan zwischen 1991 und 2003 zeigt bei gleichzeitiger negativer Preissteigerung. Meltzer erwiderte, Japans Deflation sei durch schlechte Geldpolitik begründet. Damals hätte man mit der Weigerung, Staats-Anleihen zu kaufen, nichts gegen steigende Zinsen getan.
Meiner Meinung nach lässt sich die Inflations-Frage nicht allein von der monetären Seite her beantworten. Es kommt auch auf die kaufkräftige Nachfrage (Arbeitslosigkeit) an. Ist die schwach, kann es nicht ohne weiteres zu nachhaltig steigenden Preisen kommen. Weitere wichtige Punkte sind Kapazitätsauslastung und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Wenn die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes durch starke Inflationserwartungen schnell steigt (Gegenteil von Cash-Präferenz in einem deflationären Umfeld), kann das auch zu Hyperinflation führen.
Die steigende Geldmenge verlässt momentan den Tellerrand des Finanzsektors noch nicht und sorgt daher hier für Inflationierung der Kurse. Fließt sie durch evtl. zunehmende Kreditvergabe und durch die Zentralbank-Politik des "quantitative easing" darüber hinaus in die Realwirtschaft, kommt es darauf an, ob die nicht-monetären Faktoren eine nachhaltige Tendenz steigender Preise stützen. Von den Inflationsindikatoren gibt es hierzu momentan kaum Anhaltspunkte. Von der Seite der Erwartungen zeigt der entsprechende Chart seit einigen Wochen eine zunehmende Tendenz, auch wenn das absolute Niveau noch klar unter der Spitze aus dem Sommer 2007 liegt. Demzufolge schlägt sich im S&P 500 die "nominale" Rallye seit Anfang März in der um die Inflationserwartungen bereinigten "realen" Fassung kaum nieder.
Der anhaltende TBond-Verkauf führt gegenwärtig zu deutlich steigenden Zinsen am langen Ende. Hieran orientierten sich gewöhnlich auch die Hypothekenzinsen. Damit kommt eine höhere Belastung auf den Konsumenten zu. In die gleiche Kerbe schlagen die Energiekosten, insbesondere dann, wenn Rohöl das Niveau von 70 Dollar je Barrel überschreitet. Der ohnehin gebeutelte amerikanische Verbraucher könnte hierauf mit weiteren Sparmaßnahmen reagieren und dadurch die wirtschaftlichen Stabilisierungsansätze in einem frühen Stadium abwürgen.
Zusammenfassung: Die Finanzmärkte werden den weiteren Verlauf der Konjunkturentwicklung sehr wahrscheinlich nicht in einem "V", sondern in einem "W" oder sogar als "vvvvv" abbilden. Die Frage "Inflation oder Deflation" wird wichtige Weichen stellen. Starke Inflationserwartungen könnten zu einer "verrückten" Desynchronisierung von Finanzmärkte und fundamentaler Basis führen.
© Klaus G. Singer
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