Ist die Krise der Finanzmärkte vorbei? - Interview mit Ralf Borgsmüller
20.06.2009 | Rohstoff-Spiegel
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Rohstoff-Spiegel: Nachdem sich die Weltkonjunktur im vierten Quartal als Folge der Lehman Pleite kurz vor dem Herzstillstand befand, sehen einige Ökonomen in den letzten Monaten vermehrt so genannte "Green Shoots". Was halten Sie von dieser Theorie? Gibt es wirklich einen Silberstreif am Horizont?R. Borgsmüller: Die im Zuge der Krise eingeleiteten, historisch hohen geldpolitischen Maßnahmen der Notenbanken und fiskalpolitischen Programme der Regierungen können durchaus gegen Ende 2009 von sehr niedrigem Niveau ausgehend temporär positives Wirtschaftswachstum für ein bis zwei Quartale bewirken. Die grundlegenden Probleme im Bankensystem sind aber keineswegs gelöst. Wir rechnen mit weiteren Abschreibungen der Banken von über 3.000 Mrd. USD bis Ende 2012. Das wird weiter zu einer massiven Einschränkung der Kreditvergabe führen. Zudem befindet sich die Gesamtverschuldung in den wichtigsten Industrieländern auf historischem Höchststand, was vor allem bei den Konsumenten deutlich nachlassende Nachfrage erwarten lässt. Die Investitionen der Unternehmen gehen weltweit ebenfalls zurück.
Rohstoff-Spiegel: Die Aktienmärkte befinden sich seit Mitte März in einer massiven, liquiditätsgetriebenen Aufwärtsbewegung. Angesichts des geringen Investitionsgrades vieler institutioneller Investoren gehen die meisten Strategen von einer Fortsetzung der Rallye aus. Sollte man Ihrer Meinung nach derzeit noch auf den Zug aufspringen? Ist die aktuelle Bewegung bereits mit der Rallye zum Ende der letzten Baissen Anfang 2003 zu vergleichen?
R. Borgsmüller: Einen ähnlich positiven Verlauf der Aktienkurse wie nach dem letzten Aktieneinbruch von 2000 bis 2003 erwarten wir von Juni 2009 ausgehend nicht. Zwischen 2003 und 2008 hat sich die nach allen Maßstäben größte Kreditblase der Wirtschaftsgeschichte ereignet, die inzwischen mit lautem Knall geplatzt ist. Es wird viele Jahre dauern, bis sich die überschuldete Weltwirtschaft und das nach wie vor mit über 3.000 Mrd. USD fauler Kredite belastete Weltbankensystem nachhaltig erholen werden. Die gegenwärtige, rein technische Rallye an den Aktienmärkten kann zwar noch ein wenig weiterlaufen, danach dürfte es aber wieder zu deutlichen Kursverlusten kommen. Verkaufen von Aktien in die gegenwärtige Stärke ist daher angeraten.
Rohstoff-Spiegel: Anleihen waren in der Krise bisher die klaren Gewinner, in 2008 haussierten die Staatsanleihen und seit Januar kam es zu einer deutlichen Einengung der Risikoaufschläge bei den Corporates. Sind Anleihen immer noch ein gutes Investment oder überwiegt hier das Risiko mittlerweile?
R. Borgsmüller: Für mindestens die nächsten zwei Jahre wird Deflation und Wirtschaftskrise und nicht Inflation das bestimmende Thema an den Märkten sein. Im Vergleich zu den bisherigen, weltweiten Vermögensverlusten seit dem Hoch im Sommer 2007 in Höhe von ca. 50.000 Mrd. USD sind alle bisherigen Maßnahmen der Notenbanken und Regierungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Banken werden weiter ihre Bilanzen reparieren (Deleveraging) verbunden mit rückläufiger Kreditvergabe für die Wirtschaft. Überschuldete Konsumenten werden ihren Konsum inschränken und sparen. Unternehmen werden ihre Investitionen zurückfahren. Staatsanleihen bester Bonität sind deshalb nach Beendigung des gegenwärtigen, temporären Zinsanstiegs schon bald wieder interessant. Die Zinsen dürften vor allem in Europa wirtschaftsbedingt noch deutlich fallen, verschuldungsbedingt weniger in den USA.
Rohstoff-Spiegel: Anfang des Jahres beherrschten Diskussionen über die Zahlungsunfähigkeit einzelner Volkswirtschaften die Finanzmedien. So wurde beispielsweise über einen möglichen Ausfall von Euroländern wie Österreich, Italien oder Irland spekuliert. Hat diese Diskussion Ihrer Meinung nach nachhaltig die Ansichten der Finanzmarktteilneher zu den Risiken von Staatsbankrotten geändert? Welche Lehren sollten Anleger daraus ziehen?
R. Borgsmüller: Die Diskussionen um mögliche Staatsbankrotte sind fehlgeleitet. Die Notenbanken und/ oder die supranationalen Institutionen (IWF, Weltbank) können und werden im Ernstfall bedrohten Staaten jeden Geldbetrag zur Verfügung stellen. Natürlich ist dies auf lange Sicht inflationär, aber den Notenbanken und Regierungen bleibt angesichts der einmaligen Dimension der aktuellen Krise ohnehin nichts anderes übrig. Inflationieren oder Bankrottgehen ist das Schicksal der Weltwirtschaft.