Neue Erkenntnisse über Inflation und Finanzkrisen
08.02.2004 | Markus Mezger
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Die aktuelle Situation ist hoch brisantNoch brisanter stellt sich die Situation heute in den USA dar. Die amerikanische Notenbank hatte die Wirtschaft seit 1995 reichlich mit Liquidität versorgt, als sich die Wachstumspotentiale des Internetsektors abzuzeichnen begannen. Das in den letzten Jahren in Relation zum realen Bruttosozialprodukt stark überproportionale Geldmengenwachstum hat aber nicht nur die Produktivitätskräfte der amerikanischen Wirtschaft geweckt, sondern vor allem eine Aktienpreisinflation ungeheuren Ausmaßes hervorgerufen. Von September 1994 bis März 2000 konnte der S&P500 mehr als 250 Prozent hinzugewinnen, was einer jährlichen Rendite von rund 25 Prozent entspricht. Die Russland-Krise9 und die anschließende Pleite des Hedge-Fonds LTCM10 im Herbst 1998 erwiesen sich nur als kurzfristige Zäsuren. Gerade als die damaligen Entwicklungstrends bei den US-Wachstums- und Inflationsraten eher eine restriktive Politik nahe legten, rang sich die Fed angesichts der deflatorischen Wirkungen dieser Krisen und des starken Kursrückgangs am amerikanischen Aktienmarkt zu drei Leitzinssenkungen durch. Da die erste Zinssenkung außerhalb des regelmäßigen Sitzungsturnus vorgenommen wurde, hat sich der Präsident der US-Notenbank, Alan Greenspan, den Ruf des Retters erworben, der auch in Zukunft nicht zulassen würde, dass die Kapitalmärkte drastisch unter ihr gegenwärtiges Niveau fallen würden (siehe Graphik 2).
Das erneute Aufdrehen der Geldhähne hat die Spekulation insbesondere an der technologielastigen Börse Nasdaq noch einmal kräftig angeheizt. Der die 100 größten Technologieaktien umfassende Aktienindex Nasdaq100 legte von Oktober 1998 bis Ende März 2000 um 230 Prozent zu. Seit Anfang der 90er Jahre konnten Investoren an der Nasdaq sogar unglaubliche 1960 Prozent Rendite einstreichen. Allerdings erfüllten die Kapitalmarktpreise bei diesen extremen Steigerungsraten ihre Lenkungsfunktion nicht mehr. So kam es zu Überinvestitionen in den Boomsektoren. Zum Hochpunkt der Internet-Euphorie konnten sogar Internetshops für Hundefutter zweistellige Millionenbeträge vom Kapitalmarkt abziehen. Damit hatten sich die Kursphantasien von den realwirtschaftlichen Größen weit entfernt. Denn trotz der überdurchschnittlichen Wachstumsraten der Unternehmensgewinne (seit 1995 mehr als 15 Prozent pro Jahr) stieg das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P500 seit 1980 von rund sieben auf über 30 an. Für die an der Nasdaq notierten Technologieunternehmen wird auch nach den Kursrückgängen im Jahr 2000 im Durchschnitt noch mehr als das Hundertfache der laufenden Gewinne bezahlt.
Die Kursgewinne an den Aktienbörsen bis März 2000 haben die amerikanischen Haushalte zur übermäßigen Ausdehnung ihres Konsums verleitet. Als sich während der Krisen in den Emerging Markets im Laufe des Jahres 1998 die Geschäftserwartungen der amerikanischen Unternehmen deutlich eintrübten, hat das scheinbar unerschütterliche Vertrauen der amerikanischen Konsumenten die Konjunktur gerettet. Von einem bereits sehr hohen Ausgangsniveau von 4,5 Prozent 1998 stiegen die realen Konsumsausgaben der amerikanischen privaten Haushalte bis Herbst 2000 auf sechs Prozent an. Dabei geben die Privaten mehr aus, als sie verdienen. Die private Sparquote ist dadurch bis auf minus 0,8 Prozent abgestürzt - ein für entwickelte Volkswirtschaften einmaliger Vorgang. In Verbindung mit dem starken US-Dollar hat der Konsumrausch der Amerikaner zu einem phantastischen Importboom geführt. Allein durch das De fizit in der Leistungsbilanz wächst die Auslandsverschuldung der USA jährlich um mehr als vier Prozent des Bruttosozialprodukts.
Ernüchterung und Hilflosigkeit
Mittlerweile ist bei den Verbrauchern Ernüchterung eingekehrt. So gingen die realen Konsumausgaben und das Konsumentenvertrauen zuletzt drastisch zurück. Die Konsumausgaben können eben nicht auf Dauer schneller steigen als die Einkommen. Die Rückkehr der Privaten zu einer soliden Haushaltsführung bewirkt auch eine deutliche Abschwächung des amerikanischen Wirtschaftswachstums. Die Frühindikatoren sowie die durch den NAPM-Indizes widergegebene Stimmungseintrübung bei den amerikanischen Einkäufern deuten heute auf eine extrem harte Landung der US-Wirtschaft hin, die die US-Börsen erneut unter Druck bringen dürfte.
Nach dem Platzen der Kursblasen reagierten die Notenbanken bislang stereotyp mit Zinssenkungen und massiven Liquiditätsspritzen. Dies war in Amerika 1929 ebenso der Fall wie 1987 und 1998, dem Jahr der letzten Börsenkrise. In Japan wurden die Geldmarktzinsen nach 1990 sogar bis an die Null-Prozent-Marke gesenkt, ohne dass sich eine Besserung der wirtschaftlichen Lage eingestellt hat. Auch die Fed hat auf die alarmierenden US-Konjunkturnachrichten im Januar 2001 mit zwei schnellen Leitzinssenkungen von 6,5 Prozent auf aktuell 5,5 Prozent reagiert. Die prompten und vom Zeitpunkt teilweise überraschenden Zinssenkungen der amerikanischen Notenbank haben bei einigen Marktteilnehmern die bereits im Herbst 1998 entstandene Illusion bestärkt, ihre Aktienpositionen seien durch die Aktionen der Notenbank abgesichert.
Die Möglichkeiten der Geldpolitik sind jedoch begrenzt. Anders als bei den Krisen in den Emerging Markets sind die Aktienkursrückgänge heute nicht die Anpassung an einen externen Schock, sondern Vorboten eines natürlichen Konjunkturabschwungs. Es ist völlig ungewiss, ob die Fed durch eine großzügig bemessene Liquiditätszufuhr die Erwartungen der Konsumenten beeinflussen kann. Auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen wirkt eine Senkung der Geldmarktsätze ohnehin nur mit einer Verzögerung von schätzungsweise sechs Monaten. Auch erlaubt die immer noch bei 3,5 Prozent liegende Inflationsrate in den USA keine allzu drastische Senkung der Leitzinsen mehr.
Etwas Erfolg versprechender scheinen die Aussichten der Fiskalpolitik in den USA. Die staatlichen Budgetüberschüsse geben genügend Spielraum für Steuersenkungen und staatliche Ausgabenprogramme im zweiten Halbjahr 2001. Allerdings sind das Wahldesaster, das politische Patt im Senat und der zeitweilige Zusammenbruch der Stromversorgung in Kalifornien keine guten Auspizien für eine staatlich erzeugte Aufbruchstimmung.
Gold - ein attraktives Anlagemedium
Was passiert mit den Goldpreisen, wenn es in den USA zu einer harten Landung kommt? In der ersten Phase nach dem Platzen einer spekulativen Blase flüchten die Anleger in ihrer Panik in die so genannten "sicheren Häfen", darunter insbesondere den Geldmarkt, und hier vor allem in glaubwürdige Währungen wie zum Beispiel den Schweizer Franken sowie in Staatsanleihen und Gold. Während die Aktien in den kritischen Oktobertagen des Jahres 1987 um rund 30 Prozent einbrachen, stiegen die Goldpreise um zehn Prozent - eine relative Höherbewertung (Überperformance) von 40 Prozent. Nach dem Platzen der Kursblasen in den Emerging Markets überwogen die negativen Kurstendenzen beim Gold, weil verschiedene Marktteilnehmer ihren gestiegenen Liquiditätsbedarf auch über Verkauf ihrer Goldbestände deckten und die deflationären Tendenzen auch die physische Goldnachfrage (zum Beispiel seitens der Schmuckindustrie) senkte. Andererseits konnten asiatische Goldanleger dem Zusammenbruch ihrer Währungen entgehen. Die Abwertungen der asiatischen Währungen vermittelten den Goldanlegern eine relative Überperformance von zum Teil weit über 50 Prozent. Im Gefolge des Crashs von 1929 zeigte sich ein vergleichbares Performancemuster. Nachdem sich die Paritäten in der Weltwirtschaftskrise nicht mehr aufrechterhalten ließen, suspendierten Großbritannien 1931 und die USA 1933 den Goldstandard. Verbunden waren damit erhebliche Werteinbußen der Papierwährungen gegenüber dem Gold. Gold ist insoweit nicht nur eine Versicherung gegen Inflation, sondern auch gegen Deflation.
Der Goldmarkt steht wieder vor einer längeren Aufwärtsbewegung. Selbst wenn man Gold auf seinen Rohstoffcharakter reduziert, wird man bemerken, dass die Goldnachfrage in Höhe von rund 3700 Tonnen - davon 3100 Tonnen für die Schmuckindustrie - die Goldproduktion in Höhe von rund 2600 Tonnen seit Jahren bei weitem übersteigt. Weil die Produktionskosten vieler Minengesellschaften seit langem über dem Goldpreis liegen, stagniert die Goldförderung während die industrielle Goldnachfrage im Zuge eines anhaltenden Wachstums der Weltwirtschaft in den nächsten Jahren stetig zulegen dürfte.
Der jährliche Nachfrageüberschuss nach Gold wurde und wird hauptsächlich durch Zentralbank- und durch Leerverkäufe geschlossen. Allerdings wurden im Herbst 1999 durch das "Washington Agreement on Gold" Zentralbankverkäufe für die nächsten fünf Jahre auf durchschnittlich 400 Tonnen pro Jahr beschränkt. Ohnehin ist das Portfoliogewicht der zu Marktpreisen bewerteten Goldbestände an den gesamten Devisenreserven der Zentralbanken seit 1980 von rund 50 Prozent auf unter 15 Prozent gefallen. Mit ihren Goldverkäufen versuchen die Zentralbanken, die Geldformen zu verdrängen, die sie nicht selbst kontrollieren können. Geldpolitiker, die bei Krisen und Konjunkturrückgängen eine stark expansive, unkontrollierte Strategie bevorzugen, würden durch eine Golddeckung des Geldangebots gewisser Freiheitsgrade beraubt. Insofern ist das Gold der "natürliche Feind" vieler Zentralbanken.
Der Goldpreis ist seit Anfang 1996 von über 400 USDollar pro Feinunze auf aktuell 262 US-Dollar gesunken. Der Negativtrend wurde durch die Goldausleihungen der Zentralbanken verschärft. Dabei leihen sich Geschäftsbanken bei den Zentralbanken zu günstigen Konditionen (ca. ein Prozent Zinsen jährlich für kurzfristige Laufzeiten) Gold, das sie sofort an den Kassamärkten verkaufen. Die Eindeckung der offenen Goldposition erfolgt über Terminmarktkäufe, in der Regel bei den Goldproduzenten. Aber nicht nur die Goldminen haben vielfach Gold verkauft, das sie noch nicht besitzen. Die Verkäufe und Goldleihe der Zentralbanken haben auch Hedge-Fonds und Momentum-Trader angezogen, die durch offene Short-Positionen auf einen fallenden Goldpreis setzen.
Das "Washington Agreement on Gold", in dem sich die wichtigsten Gold ausleihenden Notenbanken verpflichten, ihre Goldausleihungen in den nächsten fünf Jahren nicht weiter auszudehnen, hat die Liquidität an den Terminmärkten schlagartig reduziert. Viele Händler waren zu einer hastigen Eindeckung ihrer offenen Short-Positionen gezwungen, was den Goldpreis binnen weniger Tage von 250 US-Dollar auf über 330 US-Dollar anschnellen ließ. Zum Jahresanfang 2001 existieren nahezu in dem Umfang wie im heißen Herbst 1999 spekulative Short-Positionen an den Gold-Terminmärkten. Angesichts der hausgemachten Probleme, die die drei Weltwährungen US-Dollar (Leistungsbilanzproblem und Sparquote), Yen (Staatsverschuldung) und Euro (Vertrauensproblem) aufweisen, könnte eine erneute Zwangseindeckung der Short-Positionen der Startschuss für einen langjährigen Aufschwung am Goldmarkt sein.
© Dipl.-Volkswirt Markus Mezger und Dr. Markus Stahl
Quelle: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Nr. 87 (1/2001)
Quellenangaben:
(1) | Vgl. Barry Eichengreen/Nathan Sussman, The International Monetary System in the (Very) Long Run, IMF Working Paper WP/00/43, März 2000, Seite 4–15 |
(2) | Zum klassischen Goldstandard vgl. Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems, Berlin 1999, Seiten 45–57. |
(3) | Zur South Sea Bubble vgl. Edward Chancellor, Devil take the Hindmost. A History of Financial Speculation, New York 1999, Seiten 58–95. |
(4) | Zum Lawschen Finanzskandal vgl. Hartmut Kiehling, Kursstürze am Aktienmarkt, 2. Au.age: München 2000, Seiten 19–29 |
(5) | Zu den Parallelen zwischen den Spekulationsbewegungen der zwanziger und der neunziger Jahre vgl. Markus Stahl/Markus Mezger, Der Schatten des Jahres 1929, in: Die Bank, 5/2000, Seiten 300–307 |
(6) | Vgl. Markus Stahl, Die Lektionen des Jahres 1929, in: Christian A. Conrad/Markus Stahl (Hrsg.), Risikomanagement an internationalen Finanzmärkten, Stuttgart 2000, Seiten 3–20 |
(7) | Vgl. Rolf Daxhammer/Tatjana Schmied-Wörle, Japan seit 1990: Das schmerzhaft lange Platzen einer Bubble, in: Christian A. Conrad/Markus Stahl (Hrsg.), Risikomanagement an internationalen Finanzmärkten, Stuttgart 2000, Seiten 45–58 |
(8) | Vgl. Markus Mezger/Marcus Cieleback, Crashs der Emerging Markets – gemeinsame Ursachen und Lehren, in: Christian A. Conrad/Markus Stahl (Hrsg.), Risikomanagement an internationalen Finanzmärkten, Stuttgart 2000, Seiten 45–58 |
(9) | Vgl. Markus Mezger, Eine Krise wie aus dem Lehrbuch? Der Crash in Russland 1998, in: Christian A. Conrad/Markus Stahl (Hrsg.), Risikomanagement an internationalen Finanzmärkten, Stuttgart 2000, Seiten 77–83 |
(10) | Vgl. Gerhard Single/Markus Stahl, Gefahrenherd Hedge-Fonds: der Fall LTCM, in: ÖBA-Österreichisches Bankarchiv, Dezember 2000, 12/2000, Seiten 1060–1066 |