Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Der Tanz ums Goldene Kalb (1)

10.05.2000  |  Frank Müchler
- Seite 2 -
Der Höhepunkt des Tulpenwahns

Im Herbst 1635 geschah nun die entscheidende Veränderung hin zum totalen "Windhandel", der Grundlage für die nun folgenden Exzesse. Urheber waren die Floristen, denen - trotz ihres Namens - die Tulpen völlig egal waren, sie hatten auch weder den Wunsch noch die Fähigkeiten, selber Tulpen zu ziehen. Sie sahen in ihnen nur das Potential eines enormen Gewinns. Sie gingen jetzt dazu über, bereits mit den Tulpen zu handeln, die noch in der Erde lagen. Gegenstand des Handels war jetzt nur noch ein übertragbares Stück Papier mit einem Lieferdatum für die Zwiebeln und einer Beschreibung der Blume - und dieser Handel war ganzjährig möglich. Ende 1636 hatte sich der Tulpenhandel in einen reinen "Windhandel" verwandelt - ein Glücksspiel mit Papier. Man spekulierte damit wie mit Aktien.

Charles Mackay schrieb dazu: "Wie immer bei neuen Glücksspielen herrschte in der ersten Zeit starke Zuversicht, und alle gewannen. Die Tulpenjobber spekulierten auf steigende wie auf fallende Tulpen-,Aktien' und machten starke Profite, indem sie bei fallenden Preisen kauften und bei steigenden wieder verkauften. Viele wurden schlagartig reich. Ein goldener Köder schien verführerisch im Raum zu hängen, und einer nach dem anderen drängte zur Tulpenbörse - wie die Fliegen zum Honigtopf. Alle waren überzeugt, daß die Tulpenkonjunktur ewig dauern würde, daß die Wohlhabenden in allen Teilen der Welt in Holland Tulpen ordern und jeden gewünschten Preis dafür zahlen würden. Die Reichtümer Europas würden sich an den Gestaden der Zuidersee konzentrieren und alle Arten der Armut aus Holland... verschwinden. Adlige, Bürger, Handwerker, Seeleute, Lakaien, Dienstmädchen, selbst Schornsteinfeger und alte Flickschneiderinnen handelten mit Tulpen. Alle liquidierten ihr Vermögen, um Investitionskapital zu haben."

Wie risikoreich dieses Geschäft war, schildert Mike Dash in seinem Buch vom Tulpenwahn sehr anschaulich: "Um 1635 standen den Regenten und großen Kaufleuten der Republik viele Wege offen, ihr Geld zu investieren. Sie konnten durch den Kauf von Staatsanleihen garantierte Festzinsen bekommen oder ihr Geld bei einer der vielen neuen Banken anlegen, die aus dem Boden schossen. Für risikofreudigere Naturen bot sich die Möglichkeit, an der Börse Aktien zu kaufen oder Anteile an einem der Trockenlegungsprojekte oder an einer Schiffsladung nach Amerika zu erwerben. Doch alle diese Investitionen erforderten ein nicht unerhebliches Kapital, weshalb es für die Handwerker, die Händler und Pachtbauern der Republik gänzlich unmöglich war, eine profitable Möglichkeit zu finden, das wenige Geld anzulegen, das sie besaßen. Im 17. Jahrhundert gab es keine Bausparkassen, keine Investmentgesellschaften, keine Stammaktien, keine Kleinaktionäre, keine Steuerlücken und keine Steuerflucht. Für einen Haarlemer Weber bedeutete Investieren, daß er mehr Flachs kaufte oder eine Anzahlung auf einen neuen Webstuhl leistete. Jetzt tat sich plötzlich ein neuer Markt zum Geldverdienen auf - ein Markt, der verführerisch einfach und zugänglich zu sein schien, Sicherheit und Gewinn versprach und vor allem wenig Kapitaleinsatz erforderte.

In Wirklichkeit waren Termingeschäfte jedoch alles andere als einfach und sehr viel riskanter, als es anfangs den Anschein hatte. Ein Florist mit einem Kapital von nur 50 Gulden, der sich sicher war, daß die Preise weiterhin stiegen, könnte zum Beispiel jede Vorsicht in den Wind geschlagen und in den Kauf von fünf Hundert-Gulden-"Goudas" eingewilligt haben. Sein Geld reichte, um die Anzahlung von zehn Prozent auf jede Zwiebel zu leisten, und sollte sich zur Erntezeit der Preis für die Tulpen verdoppelt haben, hätte er es dank seiner 50 Gulden zum stolzen Besitzer von Tulpenzwiebeln im Wert von 1000 Gulden gebracht. Wenn er dann die Blumen zu dem neuen, höheren Preis verkaufte, konnte er den Differenzbetrag seiner Schuldverschreibung begleichen und nahm dann einen eindeutigen Gewinn von 500 Gulden mit. Blieb der Handel also schwungvoll, konnte der arme Handwerker tatsächlich darauf bauen, mit dem Besitz von Tulpenzwiebeln ein riesiges Vermögen zu machen. Fiel aber der Preis der Tulpen, war die Katastrophe sicher und der Bankrott nahezu unvermeidlich. Verloren beispielsweise die "Goudas" die Hälfte ihres Wertes, sähe sich der Florist, der seine ganzen Ersparnisse von 50 Gulden in die Zwiebeln gesteckt hatte, mit einem Verlust von 200 Gulden konfrontiert -- einer Summe, die er unmöglich zurückzahlen konnte. Und zum zweiten unterließen die Kollegien es gänzlich, zu überprüfen, wie es bei ihren Mitgliedern um die Solvenz bestellt war und ob sie die gehandelten Tulpen auch tatsächlich besaßen. Da die Zwiebeln selbst nicht vorhanden waren, wäre dies eine elementare Vorsichtsmaßnahme gewesen, aber sie wurde nicht getroffen. Somit ermutigten die Schankklubs zu zügelloser Spekulation, ohne ihren Mitgliedern dabei Schutz vor Insolvenz oder Betrug zu bieten. Jetzt konnte tatsächlich auch ein Florist, der gar keine Zwiebeln besaß, eine bestimmte Zwiebel an einen anderen Händler verkaufen, weil er bis zur Einlösung Zeit hatte und damit rechnen konnte, seiner Verpflichtung schließlich doch noch nachkommen zu können, inzwischen aber den Gewinn aus dem Handel in seinen nächsten Kauf investierte. Und genauso konnte dieser Mann auch in dem Moment zahlungsunfähig werden, in dem die Tulpenpreise fielen.


Die Blase platzt

Was jetzt den Crash Anfang Februar auslöste, ist heute nicht mehr so genau nachvollziehbar. War es die Androhung der Magistrate, gegen den ausufernden, nicht mehr zu kontrollierenden Handel einzuschreiten, oder war es der Vertrauensverlust einiger Händler in den Markt? Vielleicht ist dem "Windhandel" auch einfach nur die Puste ausgegangen, weil der Handel zum Schluß immer rasanter wurde und immer mehr Geld und Zwiebeln gebraucht wurden, und beides einfach nicht mehr da war. Auf jeden Fall kam der Handel zum Erliegen, erst in Haarlem, als während eines normalen Schankhandels einfach nicht mehr geboten wurde, dann aber verbreitete sich die Panik im ganzen Lande. Die Floristen wollten ihr Unglück zuerst überhaupt nicht wahrnehmen. Der Verfasser der "Samenspraecken", einer Dialogsammlung, die den Tulpenwahn spöttisch begleitete, läßt den Weber Gaergoldt (was wohl soviel wie "Simpel" bedeutet) angesichts des ihn unerwartet treffenden Preisverfalls sagen: "Mag Flora auch krank sein, sterben wird sie nicht". Seine Frau beklagt, daß er den Webstuhl und all sein Werkzeug bereits verkauft habe, er aber kehrt zurück in sein Schankkollegium und muß feststellen, daß der Markt wirklich zusammengebrochen ist.

Nun wird er sich der Schulden bewußt, die er angehäuft hatte, um Tulpen zu kaufen, und fragt seinen Freund Waermondt (was soviel heißt wie "der, der die Wahrheit sagt") um Rat. Und der sagt ihm unverblümt die grausame Wahrheit, nämlich daß der Tulpenhandel tot sei ohne Chance auf Wiederbelebung. Die Floristen keine andere Wahl hätten als in ihre ursprünglichen Berufe zurückzukehren. Wenn sie Glück hätten, würde man sie ehrenhaft aus ihren Schulden entlassen.

Der Zusammenbruch der Preise erwies sich als katastrophal. Aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, daß eine Tulpe, für die man vor dem Crash 5000 Gulden bezahlen mußte, nunmehr für 50 zu haben war. Bekam man für ein Beet einer bestimmten Sorte im Januar noch 600 bis 1000 Gulden, reichten im Mai 6 Gulden. Wurden überhaupt noch in den folgenden Wochen Tulpen verkauft, erzielte man höchstens bis 5% des alten Wertes. Weit schwerwiegender war der gesamtwirtschaftliche Schaden. Wenn man bedenkt, daß seit 1634 die Hoffnung auf schnelles Geld viele produktiv tätige Niederländer dazu verleitet hatte, ihren Beruf zu verlassen und ihre Werkstätten und Werkzeuge zu verkaufen, wird dies das Land in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen haben. Abgesehen davon waren die bankrotten Handwerker auch nicht in der Lage, Werkstatt und Werkzeug zurückzukaufen, sie konnten also auch nicht mehr arbeiten.

Ein anderer bedeutender Aspekt wird auch gewesen sein, daß das Geld, das vor dem Tulpenwahn in produktive Investitionen geflossen war, wie z.B. die Trockenegungsprojekte an der Küste, Infrastrukturprojekte und ähnliches mehr, jahrelang für die Tulpenspekulation verschwendet wurde; denn irgendwoher mußte das Geld ja kommen! Das tatsächliche Ausmaß der verheerenden Schäden, die für das Land entstanden, ist nie ernsthaft untersucht worden.

Die vernünftigeren Niederländer machten sich schon seit dem Höhepunkt des Wahns Gedanken über ihre irregeleiteten Mitbürger, und so erschienen seit 1636 bis weit nach dem großen Crash vom Februar 1637 zahlreiche Satiren und Drucke, die große Verbreitung fanden. Simon Schama beschreibt sie in seinem Buch "Überfluß und schöner Schein": "Für die "bedeutenden Leute"lag sogar etwas Unheilvolles in dem Phänomen, das die Menschen so sehr ihres Verstandes beraubte." Einige Traktate beschrieben es als eine Art ketzerischen Volksglauben, komplett ausgestattet mit seinen eigenen liturgischen Beschwörungsformeln, primitiven Überzeugungen und rituellen Praktiken. Es war wirklich die auf den Kopf gestellte Wirtschaftswelt, eine Börse der Narren...

Aus jener Quelle stammt die anschauliche Darstellung der Gefahr in Pieter Nolpes "Floras Narrenkappe", einem der vielen Drucke von 1637 "Während Flora", wie der darunterstehende Text erläutert, "wegen ihrer hurenhaften Verderbtheit" auf einem Esel fortgetrieben wird, betreiben ihre Gehilfen in Gesellschaft der Tulpenfreunde ihre Geschäfte in einer riesigen Narrenkappe, die an die Kappen von Pieter Brueghels Zeichnung "Der Hochmut" erinnert (aus der Serie über die sieben Todsünden.) Zerlumpte Bauern schleppen Tulpenzwiebeln in Schubkarren oder Körben fort, während ein Stutzer eine Ladung Zwiebeln auf den nicht viel versprechenden Boden schüttet. Ihm zur Linken hockt der Teufel -der böse Geist des Wahns- mit einer abgelaufenen Sanduhr in der einen Hand, während er mit der anderen eine Stange mit einer weiteren Narrenkappe hält, an der Kontrakte und Lieferscheine befestigt sind. Hinter ihnen erhebt sich ein ruinenhaftes, verlassenes Gebäude. Und für den Fall, daß dem Betrachter etwas entgangen sein sollte, lautet die Überschrift des Druckes: "Darstellung des seltsamen Jahres 1637, als der eine und der andere Narr den Plan ausheckte, ohne Fähigkeit reich und ohne Verstand weise zu werden."



© Frank Müchler

Quelle: Zeitschrift "Neue Solidarität", Ausgabe 19/2000



Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"