Dynamiken der Wirtschaftskrise - Phase 1: Der Boom
21.05.2010 | Mag. Gregor Hochreiter
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch: "Krankes Geld, Kranke Welt - Analyse und Therapie der Globalen Depression" von Gregor Hochreiter, mit einem Vorwort von Roland Baader. Es ist im Resch-Verlag, ISBN: 978-3-935197-94-6 erschienen. Das Buch ist in jeder Buchhandlung oder über unseren Buchshop erhältlich.
Bemerkenswert an fast allen Boomphasen der vergangenen 200 Jahre ist die Tatsache, dass die Baubranche in diesen Phasen des nicht-nachhaltigen Wachstums ausgesprochen stark florierte. Vom Treiben aus den 1860ern berichtet uns Herbert Matis:
"Wie sehr sich die Spekulation auf dem Bausektor von den realen Gegebenheiten entfernte, so dass die Bautätigkeit gegenüber der Grundstücksspekulation und Bodenpreistreiberei nur mehr sekundär betrieben wurde, […]. […] auf den von den Baugesellschaften erfassten Gründen [hätten] weit über 100 000 neue Häuser errichtet werden können, während tatsächlich Wien samt Vorstädten damals 16 636 Häuser mit einem jährlichen Durchschnittszuwachs von 250 Neubauten zählte. In Wirklichkeit haben die Baugesellschaften bei eklatanter Missachtung des von ihnen so stark propagierten gemeinnützigen Zieles bloß knapp 200 Häuser erbaut. Ihr Hauptbetätigungsfeld blieb die Grund- und Häuserspekulation, wobei als "lukrativster Zweig ihrer Tätigkeit … die Gründung von Tochtergesellschaften, denen eigene Häuser und Gründe zu den fabelhaftesten Preisen aufgehalst wurden", anzusehen ist. Vermittler und Agenten sowie die Verwaltungsmitglieder verstanden es dabei, die Differenzgewinne meist auf Kosten der Aktionäre zu kassieren." (1)
Weitere 150 Jahre früher verursachte John Law, der wenig schmeichelhaft als der "Erfinder des Papiergeldes" gilt, ein Spekulationsfiebers um die "Compagnie de la Louisiane ou d’Occident", die danach allgemein als "Mississippi-Kompanie" bekannt war. Und Paris wurde erstmals von einem Immobilienboom heimgesucht:
"Zusammen mit dem Aktienfieber kam es zu einer wahren Orgie, was die Spekulation mit Immobilien betraf. […] Anwesen, die zuvor für bis zu 800 Livre im Jahr vermietet worden waren, ließen sich in zwanzig, dreißig kleine Geschäftsräume unterteilen, von denen sich jeder für an die 400 Livre im Monat untervermieten ließ; eine Summe, die dem durchschnittlichem Jahreseinkommen eines Handwerkers entsprach." (2)
Die Ähnlichkeit mit dem Immobilienboom in den USA und anderen Teilen der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist frappierend. An allen Ecken und Enden schossen neue Siedlungen aus dem Boden. Es wurde nicht mehr Grund gekauft, um darauf Häuser zu bauen, und Häuser gebaut, um darin zu wohnen, sondern um mit dem Weiterverkauf den Ankauf eines größeren Hauses zu finanzieren. In Erwartung ständig steigender Mieten, klettern die Mietpreise in astronomische Höhen und locken noch weitere Unternehmer, Investoren und Spekulanten in den Immobiliensektor.
Der Ökonom Andrew Lawrence zeigt, dass es zur Abschätzung des Krisenbeginns mit dem Wolkenkratzer-Index einen guten Indikator gibt. Nahezu jedes Mal fällt der Baubeginn eines Wolkenkratzers, der einen neuen Höhenrekord aufstellt, mit einer bedeutenden Korrektur auf den Finanzmärkten zusammen. Die Projekte werden während der letzten Phase des Booms, wenn die Wirtschaft noch wächst und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, geplant und der Bau begonnen. Die Fertigstellung des Wolkenkratzers erfolgt dann in der frühen Phase der Korrektur, außer wenn die Korrektur schon so früh offensichtlich wurde, dass die Pläne für den Bau des Wolkenkratzers verschoben oder fallen gelassen wurden. (3)
Alles bloß ein historischer Zufall? Oder steckt hinter den augenscheinlichen Parallelitäten ein und dieselbe Ursache? Der Ansatz der Wiener Schule liefert eine Erklärung für dieses Muster. Sie führt die konjunkturellen Schwankungen auf die künstliche Zinssenkung zurück. Die kapitalintensiven Produktionszweige, zu denen die Immobilienbranche zweifellos zu zählen ist, reagieren auf derartige Eingriffe in das Zinssignal besonders sensibel. Bei den personalintensiven Branchen im Vertrieb und Verkauf, wirkt sich eine Zinsänderung weniger stark aus.
Ihren Ausgang nimmt die Wirtschaftskrise nicht erst, wenn die Börse kracht und die Wirtschaftsleistung zurückgeht. Die Weichen wurden schon viel früher fehlgestellt. Ursprung dieses Übels ist die künstliche Zinssenkung. Von der Vorstellung geleitet, den Wohlstand durch die künstliche, d.h. durch einen Eingriff in die freiwilligen Marktbeziehungen, Senkung des Zinsniveaus nachhaltig erhöhen zu können, fixiert die Zentralbank den Zins unterhalb des natürlichen Zinses. Technisch erfolgt die Zinssenkung über die Offenmarktpolitik der Zentralbank. Zur Steuerung des Zinssatzes kauft bzw. verkauft die Zentralbank notenbankfähige Schuldtitel. Je niedriger der Zinssatz sein soll, desto mehr Anleihen kauft die EZB und bezahlt diesen Ankauf mit neuem, inflationär geschaffenen Zentralbankgeld, das über die Geschäftsbanken in den Kreditmarkt fließt und als Zirkulationskredite der Wirtschaft und den Bürgern zur Verfügung steht.
Abbildung 8 stellt die künstliche Zinssenkung dem in Abbildung 5 dargelegten natürlichen Rückgang des Zinses ("ANZS") gegenüber.
(Abbildung 8 "Folgen der interventionistischen Festlegung des Zinses")
Die fette gestrichelte horizontale Linie markiert den von der Zentralbank unterhalb des natürlichen Zinses - die abgeschwächte gestrichelte Linie - gesenkten Zins. Normalerweise ruft eine administrative Preisfestsetzung unterhalb des Marktpreises das Phänomen der Warteschlangen vor Geschäften hervor, in der ökonomischen Terminologie einen permanenten Nachfrageüberschuss. Wie der Abbildung zu entnehmen ist, übersteigt nämlich die Nachfrage das Angebot aufgrund des abgesenkten Preises dauerhaft. Jene Anbieter, die zum höheren Preis ihre Ware angeboten haben, ziehen sich vom Markt zurück, während zusätzliche Nachfrager, die zum Marktpreis nicht, zum künstlich abgesenkten Preis jedoch schon kaufen wollen, auf den Markt drängen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot dauerhaft, weil der als Ausgleich dienende Preismechanismus, der in dieser Situation mit einem Ansteigen des Marktpreises reagiert hätte, blockiert ist. Daher bilden sich vor den Geschäften Warteschlangen.
Bemerkenswert an fast allen Boomphasen der vergangenen 200 Jahre ist die Tatsache, dass die Baubranche in diesen Phasen des nicht-nachhaltigen Wachstums ausgesprochen stark florierte. Vom Treiben aus den 1860ern berichtet uns Herbert Matis:
"Wie sehr sich die Spekulation auf dem Bausektor von den realen Gegebenheiten entfernte, so dass die Bautätigkeit gegenüber der Grundstücksspekulation und Bodenpreistreiberei nur mehr sekundär betrieben wurde, […]. […] auf den von den Baugesellschaften erfassten Gründen [hätten] weit über 100 000 neue Häuser errichtet werden können, während tatsächlich Wien samt Vorstädten damals 16 636 Häuser mit einem jährlichen Durchschnittszuwachs von 250 Neubauten zählte. In Wirklichkeit haben die Baugesellschaften bei eklatanter Missachtung des von ihnen so stark propagierten gemeinnützigen Zieles bloß knapp 200 Häuser erbaut. Ihr Hauptbetätigungsfeld blieb die Grund- und Häuserspekulation, wobei als "lukrativster Zweig ihrer Tätigkeit … die Gründung von Tochtergesellschaften, denen eigene Häuser und Gründe zu den fabelhaftesten Preisen aufgehalst wurden", anzusehen ist. Vermittler und Agenten sowie die Verwaltungsmitglieder verstanden es dabei, die Differenzgewinne meist auf Kosten der Aktionäre zu kassieren." (1)
Weitere 150 Jahre früher verursachte John Law, der wenig schmeichelhaft als der "Erfinder des Papiergeldes" gilt, ein Spekulationsfiebers um die "Compagnie de la Louisiane ou d’Occident", die danach allgemein als "Mississippi-Kompanie" bekannt war. Und Paris wurde erstmals von einem Immobilienboom heimgesucht:
"Zusammen mit dem Aktienfieber kam es zu einer wahren Orgie, was die Spekulation mit Immobilien betraf. […] Anwesen, die zuvor für bis zu 800 Livre im Jahr vermietet worden waren, ließen sich in zwanzig, dreißig kleine Geschäftsräume unterteilen, von denen sich jeder für an die 400 Livre im Monat untervermieten ließ; eine Summe, die dem durchschnittlichem Jahreseinkommen eines Handwerkers entsprach." (2)
Die Ähnlichkeit mit dem Immobilienboom in den USA und anderen Teilen der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist frappierend. An allen Ecken und Enden schossen neue Siedlungen aus dem Boden. Es wurde nicht mehr Grund gekauft, um darauf Häuser zu bauen, und Häuser gebaut, um darin zu wohnen, sondern um mit dem Weiterverkauf den Ankauf eines größeren Hauses zu finanzieren. In Erwartung ständig steigender Mieten, klettern die Mietpreise in astronomische Höhen und locken noch weitere Unternehmer, Investoren und Spekulanten in den Immobiliensektor.
Der Ökonom Andrew Lawrence zeigt, dass es zur Abschätzung des Krisenbeginns mit dem Wolkenkratzer-Index einen guten Indikator gibt. Nahezu jedes Mal fällt der Baubeginn eines Wolkenkratzers, der einen neuen Höhenrekord aufstellt, mit einer bedeutenden Korrektur auf den Finanzmärkten zusammen. Die Projekte werden während der letzten Phase des Booms, wenn die Wirtschaft noch wächst und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, geplant und der Bau begonnen. Die Fertigstellung des Wolkenkratzers erfolgt dann in der frühen Phase der Korrektur, außer wenn die Korrektur schon so früh offensichtlich wurde, dass die Pläne für den Bau des Wolkenkratzers verschoben oder fallen gelassen wurden. (3)
Alles bloß ein historischer Zufall? Oder steckt hinter den augenscheinlichen Parallelitäten ein und dieselbe Ursache? Der Ansatz der Wiener Schule liefert eine Erklärung für dieses Muster. Sie führt die konjunkturellen Schwankungen auf die künstliche Zinssenkung zurück. Die kapitalintensiven Produktionszweige, zu denen die Immobilienbranche zweifellos zu zählen ist, reagieren auf derartige Eingriffe in das Zinssignal besonders sensibel. Bei den personalintensiven Branchen im Vertrieb und Verkauf, wirkt sich eine Zinsänderung weniger stark aus.
Ihren Ausgang nimmt die Wirtschaftskrise nicht erst, wenn die Börse kracht und die Wirtschaftsleistung zurückgeht. Die Weichen wurden schon viel früher fehlgestellt. Ursprung dieses Übels ist die künstliche Zinssenkung. Von der Vorstellung geleitet, den Wohlstand durch die künstliche, d.h. durch einen Eingriff in die freiwilligen Marktbeziehungen, Senkung des Zinsniveaus nachhaltig erhöhen zu können, fixiert die Zentralbank den Zins unterhalb des natürlichen Zinses. Technisch erfolgt die Zinssenkung über die Offenmarktpolitik der Zentralbank. Zur Steuerung des Zinssatzes kauft bzw. verkauft die Zentralbank notenbankfähige Schuldtitel. Je niedriger der Zinssatz sein soll, desto mehr Anleihen kauft die EZB und bezahlt diesen Ankauf mit neuem, inflationär geschaffenen Zentralbankgeld, das über die Geschäftsbanken in den Kreditmarkt fließt und als Zirkulationskredite der Wirtschaft und den Bürgern zur Verfügung steht.
Abbildung 8 stellt die künstliche Zinssenkung dem in Abbildung 5 dargelegten natürlichen Rückgang des Zinses ("ANZS") gegenüber.
(Abbildung 8 "Folgen der interventionistischen Festlegung des Zinses")
Die fette gestrichelte horizontale Linie markiert den von der Zentralbank unterhalb des natürlichen Zinses - die abgeschwächte gestrichelte Linie - gesenkten Zins. Normalerweise ruft eine administrative Preisfestsetzung unterhalb des Marktpreises das Phänomen der Warteschlangen vor Geschäften hervor, in der ökonomischen Terminologie einen permanenten Nachfrageüberschuss. Wie der Abbildung zu entnehmen ist, übersteigt nämlich die Nachfrage das Angebot aufgrund des abgesenkten Preises dauerhaft. Jene Anbieter, die zum höheren Preis ihre Ware angeboten haben, ziehen sich vom Markt zurück, während zusätzliche Nachfrager, die zum Marktpreis nicht, zum künstlich abgesenkten Preis jedoch schon kaufen wollen, auf den Markt drängen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot dauerhaft, weil der als Ausgleich dienende Preismechanismus, der in dieser Situation mit einem Ansteigen des Marktpreises reagiert hätte, blockiert ist. Daher bilden sich vor den Geschäften Warteschlangen.