Schuldenkrise ad acta gelegt?
12.06.2010 | Klaus Singer
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Ganz typisch sind diese Formationen ohnehin nicht, so bestätigte der Volumenverlauf beim S&P500 diese z.B. zuletzt nicht mehr durchgängig. "Eigentlich" müssen fallende Kurse hierbei mit steigendem Volumen und steigende Kurse mit fallendem einhergehen. Diese Divergenz war zuletzt nicht mehr durchgängig gegeben (siehe Chart!).Nachdem Dow und S&P 500 zuletzt ihre Tiefs aus Februar nach unten durchstoßen hatten, kam es gestern zu einer starken Gegenbewegung - wiederum synchron mit einer Erholung im Euro/Dollar, die gestern über 1,20 und heute über 1,21 führt, wobei jetzt die wichtige Marke von ~1,2150 als Widerstand ansteht.
Handelt es sich bei der Bewegung im S&P 500 wiederum um eine Eintagsfliege, der gleich der nächste Absturz folgt? Wie der Verlauf der Volumenverteilung (siehe Chart!) zeigt, hat sie jetzt in Akkumulation geschaltet. Seit 24. März hatte Distribution geherrscht. Akkumulation ("wenige kaufen viel") ist per se ein bullisches Zeichen für die Kursentwicklung. Es wird gestützt durch die Auswertung der Anzahl steigender und fallender Aktien, dessen Verhältnis gerne der Kursentwicklung etwas vorläuft (ADL - siehe Chart!). Beide Indikatoren untermauern eine laufende Bodenbildung - mithin dürfte sich die bullische Reaktion gestern von früheren unterscheiden.
Aus Sicht der Marktbreite (TRIN - siehe Chart!) wird das im konträren Sinne untermauert: Sie ist übergeordnet so bärisch wie nicht einmal im Herbst 2008. Der damals tiefste Wert lag bei 8,48, vor einigen Tagen wurde 13,56 gemessen. Die Zahl gibt das Verhältnis der durchschnittlichen, auf steigende und fallende Aktien entfallenden Volaumina wider.
Genau dieser TRIN gibt aber auch einen Hinweis auf möglicherweise anstehende Gewinnmitnahmen. Er schloss gestern auf "idiotisch" bullischem Niveau bei 0,14: 98% des Volumens ging auf das Konto steigender Aktien. Solange diese Gewinnmitnahmen die Abwärtslinie aus Mai bei heute ~1.077 respektieren, dürfte nichts "anbrennen", ansonsten könnten die sich zu einem technischen Betriebsunfall ausweiten. Das überordnete Bild wird dadurch aber zumindest so lange nicht eingetrübt, so lange der Index über oder an dem Tief aus Februar bei ~1.057 schließt.
Ob innerhalb der nächsten Monate neue Hochs bei Aktien anstehen, ist aber zweifelhaft. An der Oberseite lockt beim S&P500 zunächst der Bereich 1.115 bis 1.125, dort wird sich entscheiden, ob kurzfristig noch mehr drin ist. Im Gegensatz zu den zurückliegenden kleineren Korrekturen in der Bewegung seit März 2009 ist die aktuelle Situation von deutlich größerer Unsicherheit geprägt, was sich technisch z.B. an dem ausgeweiteten Bollingerband der Volumenverteilung zeigen lässt (siehe Chart!).
Richard Russell, der Herausgeber des Börsenbriefes Dow Theory Letters, sagt, am Ende dieses Jahres werde man die USA nicht mehr wiedererkennen. Er erwartet einen neuerlichen schweren Einbruch am Aktienmarkt. Wenn die Indizes das Mai-Tief unterschreiten, werde es zu einem weiteren schmerzhaften Abgleiten der Notierungen kommen, sagt er. Als Flucht-Hafen böte sich Gold an. Russell geht davon aus, dass die Konjunktur bald wieder einbricht, diverse weitere große Probleme nicht ausgeschlossen.
Auch Marc Faber ist mittelfristig skeptisch. Zwar könnten die Aktienmärkte im Juni und Juli noch zulegen, es sei aber wenig wahrscheinlich, dass in diesem Rahmen neue Jahreshochs erreicht werden. Für den weiteren Jahresverlauf sieht er schwarz, so könnten die US-Indizes in den kommenden sechs Monaten zwischen 20 und 30 Prozent von ihren bisherigen Jahreshochs abgeben.
Man sollte nicht aus dem Auge verlieren: Das 38er Retracement des Bull-Runs von März 2009 bis April 2010 liegt im S&P500 bei gut 1.000, das 50er bei 940/950 (siehe Chart!).
Die fundamentalen Umstände sind (auch jetzt) keineswegs "berauschend". Denn neben der europäischen Schuldenkrise gibt es auch eine in Japan (Staatsverschuldung brutto nach IWF-Schätzung knapp 220% der BIP - netto für 2009 105%), sowie eine in den USA, die mittlerweile auch an brutto 100% des BIP gehen dürfte (netto für 2009: 65%) (siehe Chart!).
Diese Pegel sind nicht tragbar, v.a. angesichts der Tatsache, dass sie nicht isoliert in ein paar Ländern auftreten, sondern überall. Und da den Polit-Bürokraten bei der Lösung dieses Problems nichts einfällt außer die staatlichen Eingriffe in die Märkte weiter zu steigern (siehe oben), ist Skepsis mehr als angebracht - auch wenn sich das nicht eins zu eins auf die Kursentwicklung übertragen lässt (siehe Artikel vom 30 April 2010).
Dass es aber nicht nur um Staatsschulden geht, das zeigt dieser Chart (siehe Chart!).: Noch in und nach der Rezession 2001 konnte man das Verhalten des Arbeitsmarktes als "normal" bezeichnen. Ein Warnzeichen war schon, dass vier, fünf Jahre nach deren Ende die Anzahl der Jobs in den USA nicht wieder im Bereich der statistischen Regressionsgeraden lag, sondern darunter. Aktuell liegt sie 10% tiefer, den stärksten "Durchsacker" davor (seit 1960) gab es mit rund 6% im Zuge der Rezession Anfang der 1980er Jahre. Richtig, damals war auch eine Kreditblase geplatzt.
Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de
© Klaus G. Singer
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