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Keynes, Sparen und der double-dip

27.06.2010  |  Klaus Singer
Die Finanzmärkte sind zutiefst verunsichert - die Kurse fahren Achterbahn. Dafür gibt es einige handfeste Gründe.

(Grund 1) Die Fed hat ihr Statement der FOMC-Sitzung vom vergangenen Mittwoch differenziert. Sie stuft ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Erholung etwas zurück, die Erholung schreite zwar fort, hieß es. Die Fed sprach aber nicht mehr davon, dass die Wirtschaft weiter an Stärke gewinne. Zudem ist sie nun besorgt über die Auswirkungen der europäischen Krise auf die Wachstumsaussichten der US-Wirtschaft. Dabei verweist sie auf die Finanzmärkte, die sich zuletzt zunehmend weniger robust zeigten.

Gleichzeitig bleiben die Inflationserwartungen zusammen mit den Inflationsdaten schwach, in Japan hält die Deflation sogar schon den 15. Monat in Folge an. Den Verlauf der Inflationserwartungen in Europa kann man schön am Kurs des ETF "InflLinkedEuroBond" verfolgen - das Kaufinteresse an inflationsgesicherten EuroBonds ging zuletzt deutlich zurück (siehe Chart!).

Konjunkturpessimisten haben mit den jüngsten Makrodaten neue Futter bekommen: Die Zahl der Verkäufe neuer Häuser ist in den USA im Mai auf den niedrigsten Wert seit 1963 zurückgegangen. Die Zahlen sind zudem deutlich schlechter ausgefallen als erwartet, außerdem wurden die Daten für März und April um zusammen 108.000 deutlich nach unten revidiert. Das wird besonders negativ beurteilt, weil per Ende April Steuervergünstigungen für Erst-Hypotheken-Schuldner ausgelaufen sind. Zudem wurde die endgültige Zahl für das BIP-Wachstum der USA in Q1/2010 von ursprünglich 3,0 auf 2,7% herabrevidiert. Das ist etwas mehr als halb so viel wie im vierten Quartal 2009 oder auch der Mittelwert aller BIP-Zuwächse seit 1980.

(Grund 2) Die Finanzmarkt-Reform in den USA erzielte der Vermittlungsausschuss des Kongresses gerade noch rechtzeitig vor dem G20-Gipfel eine Einigung. Ein großer Teil des Derivate-Handels muss künftig über Clearingstellen oder Börsen abgewickelt werden, so soll es mehr Transparenz geben. Großbanken müssen sich zwar von einem Teil des Derivatehandels trennen, die lukrativsten Geschäfte bleiben aber unangetastet. Der Eigenhandel wird verboten. Sie müssen für Krisen mehr Eigenkapital vorhalten. Dafür bleibt ihnen der Zugang zu einem staatlichen Rettungsfonds erhalten.

Privatinvestoren und Hedgefonds müssen sich bei Aufsichtsbehörden registrieren und ihre Geschäftsbücher offen legen. Die Börsenaufsicht SEC erhält mehr Macht, sie kontrolliert die Hedge-Fonds-Branche. Die Fed behält die Aufsicht über Banken aller Art und wird mit mehr Kompetenzen zur Überwachung systemrelevanter Institute ausgestattet. Zudem wird sie Sitz der neuen Verbraucherschutzbehörde für Finanzprodukte.

Dagegen wird eine schärfere Kontrolle der Rating-Agenturen aufgeschoben. Der Verbot des Eigenhandels bei großen Banken schränkt das Wachstum der Institute zwar ein, aber wer hindert die Großbanken daran, ihren Eigenhandel in kleinere Einheiten abzuspalten? Da Kapitalfonds von der Kontrolle durch Aufsichtbehörden weiterhin ausgenommen sind, werden sich die Geschäfte mit Privatinvestoren und Hedgefonds in diese Richtung verschieben.

Gescheitert ist auch die Schaffung einer zentralen Bankenaufsicht und die Verschmelzung der Börsenaufsicht SEC mit der für die Rohstoff-Märkte zuständigen CFTC. Ein Rat aus Vertretern der wichtigsten für jeweils einzelne Bereiche zuständige Aufsichtsbehörden nimmt die gesamte Finanzbranche in den Blick.

Meiner Meinung nach halten sich damit die Einschnitte in Grenzen. Das Leben der großen "too big to fail"-Institute wird vielleicht ein wenig umständlicher, mehr aber auch nicht.

(Grund 3) Am 1. Juli läuft das Geschäft aus, bei dem sich vor einem Jahr mehr als 1.100 Banken insgesamt 442 Mrd. Euro bei der EZB geliehen haben. Die EZB hatte zwar geplant, dies zum Anlass zu nehmen, ihre Sonderkreditprogramme allmählich auslaufen zu lassen, aber stattdessen werden Dreimonatstender zu ein % aufgelegt. Die Nervosität im Vorfeld dieses Termins ist groß. Die Über-Nacht-Einlagen der Banken sind am Freitag auf 250 Mrd. Euro gestiegen, ein solch hoher Stand gilt üblicherweise als Zeichen starker Spannungen an den Geldmärkten. Die Frage, die verunsichert, ist, ob die Überschussliquidität zurückgefahren wird, um die fälligen Rückzahlungen zu bedienen oder ob sie nach Verstreichen des Termins neue Anlage in "Assets" findet.

Grund Nr. 2 dürfte sich erledigt haben - das Ende der Finanzindustrie, so wir sie kennen und einschätzen gelernt haben, ist mit dem zweiten großen Obama-Reformvorhaben nicht eingeläutet. Sie ist, wie sollte es anders sein, ziemlich ungeschoren davon gekommen. Grund Nr. 3 dürfte sich im Laufe der nächsten 10 Tage ebenfalls zumindest als Quelle der Unsicherheit erledigen.

Was bleibt, ist Grund Nr. 1. Die aktuelle Wachstums-Delle ist keine im Rahmen eines normalen Konjunkturzyklus. Sie beruht auf einer Kredit-Krise als Abschluss eines Schulden-Super-Zyklus. Die Verschiebung der Verschuldung aus dem privaten in den öffentlichen Bereich lässt einige, in normalen Zeiten zuverlässige Frühindikatoren versagen. So hat der ansonsten sehr zuverlässige "Weekly Leading Economic Indicator" des ECRI im April einen Wert angezeigt, die in sechs Monaten einen Jahres-Zuwachs des realen US-BIP von 8% erwarten ließ. Seitdem hat er diesen Überschwinger jedoch wieder abgebaut und legt aktuell noch einen BIP-Zuwachs von 0,8% nahe.

Ein "double-dip"-Szenario für 2011 besitzt gegenwärtig eine Wahrscheinlichkeit von 50%, schätzen Beobachter. Das ist meiner Meinung nach realistisch. Und da wir von gegenwärtig schon niedrigen Teuerungsraten kommen, besteht damit auch die Gefahr einer deutlich deflationären Bewegung mit all ihren Folgen. Z.B. sind die normalen Mittel der Geldpolitik hier weitgehend machtlos. Das würde einen besonders gravierenden Verlauf nahe legen.





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