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Keynes, Sparen und der double-dip

27.06.2010  |  Klaus Singer
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In diesem Umfeld haben sich zwei Lager gebildet, deren Fronten vor dem in Toronto stattfindenden G20-Gipfel verhärtet sind, wie Mohamed El-Erian von Pimco schreibt. Das eine Lager, angeführt von den USA, hat sich unter der Fahne "Wachstum über alles" versammelt, das andere stellt die fiskalische Konsolidierung oben an. Hier ist Deutschland in der ungewollten Rolle des Protagonisten. Viel lieber würde die Regierung irgendwo unauffällig mitlaufen - keiner soll merken, dass das Land momentan vom schwachen Euro besonders profitiert.

Die "Wachstums-Fraktion" argumentiert, dass ein starkes wirtschaftliches Wachstum das Verschuldungsproblem von selbst löst. Die besonders exponierten Vertreter befürworten sogar weitere staatliche Anreizprogramme und damit weitere Staatsverschuldung. Sie werfen der "Entschuldungsfraktion" vor, sie würden das bisschen Konjunktur abwürgen. Durch einen dadurch folgenden "double dip" würde die Situation eskalieren und alles noch schwieriger werden.

Die "Entschuldungsfraktion" argumentiert, dass die Quote der Staatverschuldung zu hoch ist. Der Staat gerate an die Grenzen seiner Möglichkeiten, könne seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Dadurch könne das Vertrauen der Finanzmärkte in die Stabilität verloren gehen und zu einem gravierenden Ausverkauf von Assets und Schuldtiteln führen. Das würde die Lage dann noch weiter verschlimmern.

Diese beiden Standpunkte treffen in Toronto aufeinander und vermutlich wird es keine Annäherung geben. Die "Wachstums-Fraktion" wirft dem anderen Lager zudem vor, sich auf Kosten der Handelspartner sanieren zu wollen. Der Vorwurf geht insbesondere an die Adresse Deutschlands, dessen exportlastige Industrie über den durch die Schuldenproblematik geschwächten Euro profitiert.

Die Wachstums-Fraktion verweist gerne auf das historische Beispiel der frühen 1980er Jahre in den USA, als schon einmal eine große Kreditblase platzte. Damals gelang es tatsächlich, sich per weiterer Verschuldung an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Die heutige Situation gleicht der damaligen jedoch nur oberflächlich (siehe Artikel vom 28.5.10: "An den eigenen Haaren aus dem Sumpf?"). Deshalb sind Zweifel angebracht, ob dieses Argument heute zieht. Und die Volkswirte des Spar-Lagers rechnen aus, warum die Spar-Milliarden jetzt kein Wachstum kosten, während gleich große Beträge als Anreiz-Programme verpackt noch vor gut einem Jahr noch für x% Wachstum sollten sollten.

Eigentlich unterscheiden sich die beiden Positionen nur dadurch, dass die erste die Verschuldung relativ, die andere sie absolut reduzieren will. Die viel wichtigere Frage aber ist, was bei jeder der beiden Übungen das übergeordnete Ziel ist.

Meiner Meinung nach müsste es darum gehen, dass die westlichen Industriestaaten ihre Produktivität verbessern. Zudem stehen wir vor erheblichen, auch technologischen Herausforderungen. Das hat u.a. auch der "Betriebsunfall" von BP im Golf von Mexiko gezeigt - die heutige Art des Wirtschaftens kalkuliert immer noch nur mit einem Bruchteil der realen Kosten des "Umweltverbrauchs". Wir brauchen Innovation auf der ganzen Linie, und das geht nur über eine bessere Bildung und Ausbildung (z.B. nicht über "G8"), über eine höhere berufliche und soziale Qualifikation der Bürger. Weiter müssen die staatlichen Strukturen abgespeckt werden, die Bürokratie muss reduziert, statt immer weiter aufgeblasen werden. In einer Situation, in der die "fürsorgliche Kontrolle" des Staates allgegenwärtig ist, kann keine umwälzende Innovation entstehen. Und weiter muss der Moloch Finanzindustrie wieder so zurechtgestutzt werden, wie es seiner Funktion entspricht: Die Realwirtschaft macht die Arbeit, schafft Werte, die Finanzwirtschaft versorgt sie mit den benötigten Mitteln (und nicht umgekehrt). Wunschdenken, Ende.

Was die Politik diesseits und jenseits des "Großen Teiches" auf den offenen Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 hin getan hat, hat mit einer qualifizierten Reaktion wenig zu tun. Die Geldschleusen wurden aufgerissen, die Probleme sollten in der Flut untergehen. Sie wurden aber nicht ertränkt. Bei den seinerzeit aufgelegten Anreiz-Programmen ist es wie bei den jetzt auf dem Tisch liegenden Sparpaketen, es fehlt die Ausrichtung auf übergeordnete, nachhaltige Ziele.

Insofern geht die Auseinandersetzung zwischen Wachstums- und Sparlager am Ziel vorbei. Das Wachstumslager betreibt dabei eine im Sinne des Kapitalismus systemimmanentere Politik - typisch USA; das Sparlager ist eher orientiert an einem typisch europäischen Gleichgewichtsgedanken. Aber in der Einseitigkeit, wie die beiden Lager ihre Maßnahmen vertreten, wird mit ziemlicher Sicherheit beides schief gehen. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines "double dip".

Richtig wäre es, einen auf die jeweiligen Bedingungen zugeschnittenen Mix an Sparen und Investieren zu wählen, der die langfristigen Aspekte im Auge hat. Wir haben nicht nur die Folgen eines neoliberalen Laissez-faire der Finanzindustrie gegenüber zu verkraften, wir stehen auch am Ende des gegenwärtigen, langen, von Elektronik getragenen Kondratieff-Wirtschaftszyklus.

Die eingangs diskutierten "drei Unsicherheiten" hinterließen deutliche Bremsspuren v.a. bei Aktien, während der beständige Kauf von Staatsanleihen vor allem aus Deutschland und den USA zeigt, dass die Akteure an den Finanzmärkten (noch) an die Bonität der Protagonisten aus beiden Lagern glauben.

Wenn ein "double-dip" in den USA und anderswo früh in 2011 kommt, dürften die Finanzmärkte diesen nach der Sommerpause einzupreisen beginnen.

Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de/comments/MB20100626.html


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de






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