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Blasenanatomie

12.07.2005  |  Dr. Kurt Richebächer
Die Hälfte dieses Jahres liegt schon hinter uns. Die größte Überraschung sind sicherlich die plötzlich schlechter werdenden Daten über die amerikanische Wirtschaft. Die Frage, ob es sich hierbei wieder nur um eine kurze Abschwächung handelt oder um einen länger andauernden und ernsteren Konjunkturrückgang - oder sogar um noch Schlimmeres - beschäftigt die gesamte Welt.

Eben wurde eine neue wirtschaftliche Vorhersage des International Monetary Fund veröffentlicht. Darin findet sich Folgendes über die amerikanische Wirtschaft: "Nachdem uns Daten erreichen, die im Allgemeinen stabil und das Vertrauen der Geschäfte und der Verbraucher stark zu sein scheint, sind die Aussichten für 2005 ermutigend. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird voraussichtlich durchschnittlich bei 3,6 Prozent liegen, leicht über den Erwartungen ... das Nachlassen des Wachstums beim privaten Verbrauch spiegelt den zunehmenden Rückzug der steuerlichen und monetären Stimuli ... es wird durch die weiterhin hohen Investitionen ausgeglichen. Die Risiken in der Vorhersage schienen weitestgehend ausgeglichen, mit einem Vorzug, der sich aus der Stärke der Bilanzbücher der Unternehmen begründet, ebenso wie aus den steigenden Immobilienpreisen und den Aktienpreisen."

Ich habe diesen Abschnitt aus zwei Gründen zitiert. Zum einen, weil die Aussicht für die Weltwirtschaft weltweit Gültigkeit in der Wirtschaft hat. Und zweitens, weil die Argumente typisch sind für die Selbstzufriedenheit, mit der die amerikanische Wirtschaft immer beurteilt wurde, und noch wird, trotz der Konfrontation mit nie da gewesenen strukturellen Beeinträchtigungen.

Bei vielen Leuten, die von der "weichen Stelle" reden, sind die zuletzt beobachteten Schwächen eindeutig auf den sprunghaften Anstieg der Energiepreise und deren vorübergehenden Einfluss auf die Inflationsraten zurückzuführen. Andere optimistische Argumente berufen sich auf die eingedämmten Inflationserwartungen und immer noch beachtliche Flaute an den Produktions- und Arbeitsmärkten. Und nicht zuletzt betonen die Verantwortlichen bei der Fed immer noch, dass die Geldpolitik weiterhin "Raum bietet" und daher unterstützend auf ein wirtschaftliches Wachstum wirken wird.

Ich muss gestehen, dass ich die Beschränkung auf die steigenden Energiepreise als Ursache für stark vereinfachend halte. Meiner Ansicht nach leidet die Weltwirtschaft - und auch die amerikanische Wirtschaft - unter einer Reihe wesentlich größerer Probleme als die hohen Ölpreise. Diese fallen vielleicht sogar, sobald die Weltwirtschaft, oder große Teile davon, deutlich schwächer werden.

Ich sehe die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung durch eine andere Linse und soweit ich das Verhalten der Finanzmärkte beobachten kann, entsteht für mich der Eindruck, dass ich nicht allein stehe mit der Annahme einer länger andauernden und stärker betonten Schwäche in den Vereinigten Staaten.

Die Erholung an den Aktienmärkten ist auf halber Strecke unvermittelt gestoppt. Im Juni vergangenen Jahres schloss der Dow den Monat mit 10.300 Punkten. In letzter Zeit bewegt er sich bei ungefähr 10.100 Punkten. Die Anleger der letzten Monate sitzen auf Verlusten. Noch deutlicher wecken der Rückgang der Rendite für 10-jährige Schatzanleihen in den vergangenen Monaten von 4,6 Prozent auf vier Prozent, die Herausforderung durch die steigenden Inflationsraten und eine Verdreifachung der Bundesfondsraten von einem Prozent auf drei Prozent den Verdacht auf plötzliche Stimmungsschwankungen am Markt bezüglich der Aussichten für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten.

Während die amerikanische Wirtschaft deutlich einen Konjunkturrückgang verzeichnet, sind die wesentlich drängenderen Fragen die nach der Stärke und der Dauer dieses Rückgangs. Ich habe zuletzt detailliert beschrieben, dass der plötzliche Zusammenbruch am Aktienmarkt und der Rückgang der an Unternehmen gebundenen Investitionen im Jahr 2000 für alle, auch für die Fed, völlig überraschend kamen.

Ich muss nicht extra darauf hinweisen, dass ich diesen Fall nicht völlig zufällig erwähnte. Ich hatte meine Gründe. Zu dieser Zeit schien der Himmel über der amerikanischen Wirtschaft wolkenlos. Der Aktienmarkt stieg bis März massiv und dann sind die Wirtschaft und der Aktienmarkt urplötzlich eingebrochen.

Im Nachhinein haben sich der Vorsitzende der Fed, Alan Greenspan und seine Konsorten gerühmt, die mildeste Rezession Amerikas in der Nachkriegszeit durch ihre unmittelbare politische Reaktion bewältigt zu haben, obwohl der Aktienmarkt zusammenbrach.

Das ist mit Sicherheit ein weiterer Fall, der Mr. Greenspans Ansehen als größtem Zentralbanker der Welt gesteigert hat. Vor zwei Jahren fasste er die Ansichten der Fed über seine Politik zusammen, indem er bekannt gab, dass "unsere Strategie die Konsequenzen der Blase eher als die Blase selbst anzugehen, sich als sehr erfolgreich herausgestellt" habe.

(In der Rede vom 3. Januar 2003 zu "Risiken und Unsicherheiten bei der Geldmarktpolitik", die er vor dem Jahrestreffen der amerikanischen Wirtschaftsvereinigung in San Diego hielt.)

Ich habe diesen selbstzufriedenen Urteilen nie zugestimmt. Ich vermisse bei diesem Szenario schmerzlich die V-förmige Erholungskurve, die sich bei allen Erholungen in der Nachkriegszeit irgendwann zeigte und die in diesem Fall immer noch nicht aufgetaucht ist. Das endgültige Urteil wird die früheren Gewinne aus einer milden Rezession gegen die relativen späteren Verluste beim Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, bei der Beschäftigung und beim Einkommen gegen die ungewöhnlich schwache Erholung nach diesen drei Jahren seit 2001 abwägen müssen. Mit Sicherheit werden die späteren Verluste die anfänglichen, unwesentlichen Gewinne nicht ausgleichen.

Das ist jedoch nur einer der Gründe, warum ich die Geschichte von der "mildesten Rezession" für eine große Täuschung halte. Aber daraus resultiert direkt eine entscheidende Frage: Warum hat die ungewöhnlich aggressive Kombination aus geld- und steuerpolitischen Entscheidungen der Fed so gründlich versagt, als es darum ging, eine so deutliche Erholung zu schaffen, wie sie in der Nachkriegszeit immer zu beobachten war?

Meine knappe Antwort: Die Fed und Greenspan haben absichtlich eine Politik verfolgt, in der es darum ging, eine Blase gegen eine andere, noch viel größere, auszutauschen, der Immobilienblase. Indem man abrupt die Zinssätze auf niedrigstes Niveau hat sinken lassen, gelang es ihnen, eine Immobilienblase auszulösen und so die Verbraucher dazu zu bringen, die Kredit-und-Kauf-Orgie beizubehalten und noch auszubauen, diesmal auf Kosten von himmelstürmenden Immobilienpreisen.

Die allgemeine Mehrheit hält das für einen sagenhaften Erfolg. Tatsächlich ist es jedoch die schwächste Erholung, die die amerikanische Wirtschaft in der gesamten Nachkriegszeit erlebte, mit vielen fehlenden Arbeitsplätzen und mangelndem Einkommenswachstum. Das ist ein deutliches Scheitern. Darüber hinaus hat die aggressive Politik zugleich bewirkt, dass die ausgelöste unausgeglichene Erholung bestehende Ungleichgewichte der Wirtschaft noch verschärft hat.

Rezessionen sind eigentlich eine Zeit des Geschäftszyklus, in der die Unternehmen und die Verbraucher sich in Bescheidenheit üben, indem sie die vorangegangenen Exzesse bei den Krediten und bei den Ausgaben zurückfahren.

Während die Unternehmen ihre Ausgaben und Einstellungen zurückfuhren, zogen Regierung sowie Privathaushalte bei der Kreditaufnahme noch einmal an. Das wirtschaftliche Wachstum nahm zu, aber man sollte nicht übersehen, dass dieser "Erfolg" seine Kehrseite in dem nie da gewesenen Ungleichgewicht bei der Wirtschaft und bei den Finanzen hat.

Im Jahr 2000 beliefen sich die nationalen Ersparnisse - die gesammelten Ersparnisse von Regierung, Geschäften und privaten Haushalten - auf 817,6 Milliarden Dollar, oder 8,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die verschwenderische Politik der folgenden Jahre hat sie bis zum Jahr 2004 auf 212,7 Milliarden Dollar zusammenschrumpfen lassen, oder auf 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Ist es möglich, dass das und die Ungleichgewichte bei Handelsbilanz und Staatshaushalt das wirtschaftliche Wachstum zerstören und zu Verarmung führen? Darauf können sie wetten. Der größte und deutlichste Schaden entsteht aus dem stetig steigenden Handelsbilanzdefizit im Produktionssektor der Vereinigten Staaten. Die amerikanische Wirtschaft ist sozusagen deindustrialisiert. In diesem Bereich gingen seit 2000 drei Millionen Jobs verloren und immer noch verschwinden jeden Monat Stellen.

Und doch scheinen sich die amerikanischen Politiker und die meisten Wirtschaftswissenschaftler keine Sorgen zu machen. Aus dem, was sie in der Öffentlichkeit sagen, muss ich auf eine vollständige Begriffsstutzigkeit schließen. Erst kürzlich hat ein Senator der Fed die fehlenden Ersparnisse ein Zeichen für Optimismus genannt. Das steigende Handelsbilanzdefizit wird andererseits immer wieder ins positive Licht gerückt, mit dem Argument, dass die Flut der Importe sowohl von fremdem Kapital als auch von fremden Gütern die amerikanische Dynamik widerspiegelt.

In Wahrheit gilt aber wohl eher, dass die 15 Prozent (gemessen am Anteil des Bruttoinlandsproduktes) amerikanischer Importe, verglichen mit anderen industrialisierten Ländern ein eher geringer Wert ist. Für Deutschland liegt dieser Wert z.B. bei 33 Prozent und im Vereinigten Königreich bei 28 Prozent. Was Amerika im Vergleich zu diesen Ländern wirklich fehlt, sind Kapazitäten für einen wettbewerbsfähigen Export. Und das ist sicherlich in erster Linie ein Problem der fehlenden Investitionen im Produktionsbereich.


© Dr. Kurt Richebächer

Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor's Daily"



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