Vorwort zu Charles Kindleberger "Die Weltwirtschaftskrise"
02.08.2010 | Prof. Dr. Max Otte
Vorwort zu Charles Kindleberger "Die Weltwirtschaftskrise" (erscheint im Herbst 2010)
nachdem die heiße Phase der Finanzkrise durchgestanden ist und eine gewisse Stabilisierung der Weltwirtschaft eingesetzt hat, herrscht bei den Verantwortlichen dieser Welt große Ratlosigkeit. Im Herbst 2008 bestand Einigkeit, den Totalabsturz zu verhindern - immerhin. Banken wurden gerettet, Liquiditätsspritzen und Konjunkturprogramme in einem nie dagewesenen Ausmaß initiiert. Aber wie geht es weiter? Klar ist, dass die Weltwirtschaft keinesfalls gesund ist. Viele der Akutmaßnahmen in den Jahren 2008 bis 2009 bestanden aus der selben Medizin - billigem Geld und Schulden - die letztlich die Krise verursacht hat. Auch die Regulierung der Finanzmärkte kommt nicht wirklich voran. Wie also kann die Gefahr einer neuen Großen Depression, die immer noch sehr bedrohlich ist, gebannt werden?
Die Mächte dieser Welt sind uneins. Die Vereinigten Staaten, eindeutig das Ursprungs- und Verursacherland, setzen auf Schuldenfinanzierung, als ob es kein Morgen gäbe. Die (noch) führende Wirtschaftsnation der Welt ist ein "Imperium der Schulden", bei dem Bürger, Staat und Nation international verschuldet sind. Vom größten Gläubiger der Welt ist die größte Wirtschaftsmacht zur größten Schuldnernation geworden - und eine Änderung ist nicht in Sicht. Die Politik Amerikas zielt derzeit eindeutig auf Inflation, denn das Land hat das Privileg, international in seiner eigenen Währung verschuldet zu sein. Im Falle von Inflation zahlen also die Gläubiger - und das sind China, Japan und Deutschland.
Europa, das relativ gesehen deutlich besser dasteht als die USA, ist, wie fast immer, gespalten und verfolgt eine widersprüchliche Politik. Einerseits bedeutet der 750-Milliarden-Dollar-Rettungsschirm für den Euro (der eigentlich ein weiterer Rettungsschirm für die Banken gegen die Bevölkerung Europas ist) einen Einstieg in die Inflationsgemeinschaft: Der Außenwert des Euro wird, auf Kosten von noch mehr Schulden und einer Aushöhlung des Innenwertes, verteidigt. Andererseits verkünden die europäischen Nationen massive Sparpakete, die drohen, das zarte Pflänzchen des Aufschwungs zu ersticken.
China - das viele als Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts sehen - ist die größte Gläubigernation der Welt. Durch ein massives Konjunkturprogramm von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wurde das Wachstum bislang aufrechterhalten, aber auch in China mehren sich die Anzeichen für Überinvestitionen und Blasenbildung in vielen Sektoren. Wehe der Weltwirtschaft, wenn China auch kollabiert. Und Japan, das noch 1990 als "Wirtschaftsnation Nummer 1" gesehen wurde, kämpft seit zwei Jahrzehnten mit einer schleichenden Depression, aus der es trotz massiver Konjunkturprogramme, Niedrigzinspolitik und einer Staatsverschuldung von über 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht herauskommt. Mittlerweile wird ein höherer Teil des japanischen Staatshaushalts durch Aufnahmen von Schulden als durch Steuern finanziert. Noch werden die Schuldtitel von den japanischen Sparern gekauft. Aber wehe, wenn sich das einmal ändern sollte.
In dieser Situation ist Charles Kindlebergers Werk zur Weltwirtschaftskrise von geradezu erschreckender Aktualität. Die Parallelen zur heutigen Zeit sind bedrückend. Wir lernen, dass die Weltwirtschaftskrise keinesfalls plötzlich über die Welt hereinbrach, sondern dass die Hauptakteure jener Zeit - die USA, England, Frankreich und Deutschland - seit dem Ende des Ersten Weltkriegs kontinuierlich um die Gestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung rangen, die seit 1919 höchst instabil war.
Frankreich und England schuldeten den USA 8,7 Milliarden Dollar, während sie anderen Ländern Kredite in Höhe von 11,6 Milliarden Dollar gewährt hatten, um den Krieg zu finanzieren. Frankreich schuldete zudem England 3 Milliarden Dollar. Diese Schulden sind als "Interalliierte Kriegsschulden" bekannt. Deutschland litt unter einer erdrückenden Reparationslast, die von den Siegern nach Belieben erhöht werden konnte. John Maynard Keynes nahm als junger Ökonom an der Delegation teil, die in Versailles einen Friedensvertrag verhandeln sollte. Als er sah, welch katastrophale Wendung die Verhandlungen nahmen, trat er aus der Delegation aus und warnte bereits 1919 vor den Folgen, die das Dekret der Siegermächte haben würde. In der Folge bemühte sich Deutschland, den Vertrag zu revidieren, Frankreich bestand auf der Einhaltung und Revanche um jeden Preise - selbst um den der Besetzung des Ruhrgebiets - und England war bereit alle Reparationen zu erlassen, die über die Summe seiner Schulden gegenüber den USA hinausgingen. Die USA wiederum waren bereit, staatliche Schulden zu erlassen, bestanden aber auf Erfüllungen der kommerziellen Verpflichtungen, also der privaten aufgenommenen Schulden und Anleihen.
Kindleberger legt schlüssig dar, dass nicht die EINE Ursache oder die EINE falsche Theorie zur Krise führte. Weder Milton Friedmans monetaristischer Standpunkt, dass eine verfehlte Geldpolitik die Ursache sei, noch Paul Samuelsons Argumentation, dass die Krise eine Verkettung unglücklicher Zustände sei, lässt er gelten. Für Kindleberger fehlte es in der Zwischenkriegszeit eindeutig an politischer Führung und an dem Willen, eine solide internationale Wirtschaftsordnung zu gestalten. Nicht ein Kardinalfehler wurde begangen, sondern die Zeit von 1919 bis 1939 ist, nach Kindleberger, geradezu eine Aneinanderreihung von Fehlern.
Lange vor 1929 braute sich das Unheil zusammen. In den Jahren 1922 und 1923 hatte in Deutschland die Hyperinflation gewütet. 1924 führte der Dawes-Plan zu einer gewissen internationalen Beruhigung. Nun flossen aber viele private Gelder in Form von Krediten aus den USA nach Deutschland (und dann auch nach Lateinamerika). Im Jahr 1927 warnte der große Hjalmar Schacht, Präsident der Reichsbank, in einer Rede davor, dass die deutschen Kommunen diese Kredite vor allem für "Stadien, Schwimmbäder, Pools, öffentliche Plätze, Tagungsstätten, Hotels, Büros, Planetarien, Flughäfen, Theater, Museen und so weiter" ausgeben würden. Ab 1928, als die Spekulationsblase in den USA immer größer wurde und die Kredite nicht mehr so reichlich zur Verfügung standen, wuchsen die Sorgen, wie Deutschland seine Schulden refinanzieren könne. 1930 trat der Young-Plan in Kraft, 1932 wurde das Problem der deutschen Reparationszahlungen weitestgehend gelöst - tragischerweise war es da zu spät. Das Unheil nahm seinen Lauf.
Von 1925 bis 1926 hätte eine massive Spekulationsblase bei Grundstücken in Florida Warnung vor der Aktienblase von 1928 bis 1929 und dem Crash sein können, genauso wie die Technologieblase der Jahre 1998 bis 2000 als Warnung vor der Immobilienblase und anschließenden Finanzkrise hätte dienen können. Nach 1929 fielen die Exportpreise der rohstoffproduzierenden Länder auf bis zu 20 Prozent des Niveaus von 1929. Im Jahr 1931 führten in Österreich und Deutschland, die durch Kriegsfolgen und Inflation geschwächt waren, die Zusammenbrüche der "Creditanstalt" und der "Darmstädter und Nationalbank" zu Bankpaniken. 1925 kehrte England unter Schatzkanzler Winston Churchill zum Goldstandard mit der überhöhten Vorkriegsparität zurück, was einen deflationären Effekt hatte.
nachdem die heiße Phase der Finanzkrise durchgestanden ist und eine gewisse Stabilisierung der Weltwirtschaft eingesetzt hat, herrscht bei den Verantwortlichen dieser Welt große Ratlosigkeit. Im Herbst 2008 bestand Einigkeit, den Totalabsturz zu verhindern - immerhin. Banken wurden gerettet, Liquiditätsspritzen und Konjunkturprogramme in einem nie dagewesenen Ausmaß initiiert. Aber wie geht es weiter? Klar ist, dass die Weltwirtschaft keinesfalls gesund ist. Viele der Akutmaßnahmen in den Jahren 2008 bis 2009 bestanden aus der selben Medizin - billigem Geld und Schulden - die letztlich die Krise verursacht hat. Auch die Regulierung der Finanzmärkte kommt nicht wirklich voran. Wie also kann die Gefahr einer neuen Großen Depression, die immer noch sehr bedrohlich ist, gebannt werden?
Die Mächte dieser Welt sind uneins. Die Vereinigten Staaten, eindeutig das Ursprungs- und Verursacherland, setzen auf Schuldenfinanzierung, als ob es kein Morgen gäbe. Die (noch) führende Wirtschaftsnation der Welt ist ein "Imperium der Schulden", bei dem Bürger, Staat und Nation international verschuldet sind. Vom größten Gläubiger der Welt ist die größte Wirtschaftsmacht zur größten Schuldnernation geworden - und eine Änderung ist nicht in Sicht. Die Politik Amerikas zielt derzeit eindeutig auf Inflation, denn das Land hat das Privileg, international in seiner eigenen Währung verschuldet zu sein. Im Falle von Inflation zahlen also die Gläubiger - und das sind China, Japan und Deutschland.
Europa, das relativ gesehen deutlich besser dasteht als die USA, ist, wie fast immer, gespalten und verfolgt eine widersprüchliche Politik. Einerseits bedeutet der 750-Milliarden-Dollar-Rettungsschirm für den Euro (der eigentlich ein weiterer Rettungsschirm für die Banken gegen die Bevölkerung Europas ist) einen Einstieg in die Inflationsgemeinschaft: Der Außenwert des Euro wird, auf Kosten von noch mehr Schulden und einer Aushöhlung des Innenwertes, verteidigt. Andererseits verkünden die europäischen Nationen massive Sparpakete, die drohen, das zarte Pflänzchen des Aufschwungs zu ersticken.
China - das viele als Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts sehen - ist die größte Gläubigernation der Welt. Durch ein massives Konjunkturprogramm von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wurde das Wachstum bislang aufrechterhalten, aber auch in China mehren sich die Anzeichen für Überinvestitionen und Blasenbildung in vielen Sektoren. Wehe der Weltwirtschaft, wenn China auch kollabiert. Und Japan, das noch 1990 als "Wirtschaftsnation Nummer 1" gesehen wurde, kämpft seit zwei Jahrzehnten mit einer schleichenden Depression, aus der es trotz massiver Konjunkturprogramme, Niedrigzinspolitik und einer Staatsverschuldung von über 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht herauskommt. Mittlerweile wird ein höherer Teil des japanischen Staatshaushalts durch Aufnahmen von Schulden als durch Steuern finanziert. Noch werden die Schuldtitel von den japanischen Sparern gekauft. Aber wehe, wenn sich das einmal ändern sollte.
In dieser Situation ist Charles Kindlebergers Werk zur Weltwirtschaftskrise von geradezu erschreckender Aktualität. Die Parallelen zur heutigen Zeit sind bedrückend. Wir lernen, dass die Weltwirtschaftskrise keinesfalls plötzlich über die Welt hereinbrach, sondern dass die Hauptakteure jener Zeit - die USA, England, Frankreich und Deutschland - seit dem Ende des Ersten Weltkriegs kontinuierlich um die Gestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung rangen, die seit 1919 höchst instabil war.
Frankreich und England schuldeten den USA 8,7 Milliarden Dollar, während sie anderen Ländern Kredite in Höhe von 11,6 Milliarden Dollar gewährt hatten, um den Krieg zu finanzieren. Frankreich schuldete zudem England 3 Milliarden Dollar. Diese Schulden sind als "Interalliierte Kriegsschulden" bekannt. Deutschland litt unter einer erdrückenden Reparationslast, die von den Siegern nach Belieben erhöht werden konnte. John Maynard Keynes nahm als junger Ökonom an der Delegation teil, die in Versailles einen Friedensvertrag verhandeln sollte. Als er sah, welch katastrophale Wendung die Verhandlungen nahmen, trat er aus der Delegation aus und warnte bereits 1919 vor den Folgen, die das Dekret der Siegermächte haben würde. In der Folge bemühte sich Deutschland, den Vertrag zu revidieren, Frankreich bestand auf der Einhaltung und Revanche um jeden Preise - selbst um den der Besetzung des Ruhrgebiets - und England war bereit alle Reparationen zu erlassen, die über die Summe seiner Schulden gegenüber den USA hinausgingen. Die USA wiederum waren bereit, staatliche Schulden zu erlassen, bestanden aber auf Erfüllungen der kommerziellen Verpflichtungen, also der privaten aufgenommenen Schulden und Anleihen.
Kindleberger legt schlüssig dar, dass nicht die EINE Ursache oder die EINE falsche Theorie zur Krise führte. Weder Milton Friedmans monetaristischer Standpunkt, dass eine verfehlte Geldpolitik die Ursache sei, noch Paul Samuelsons Argumentation, dass die Krise eine Verkettung unglücklicher Zustände sei, lässt er gelten. Für Kindleberger fehlte es in der Zwischenkriegszeit eindeutig an politischer Führung und an dem Willen, eine solide internationale Wirtschaftsordnung zu gestalten. Nicht ein Kardinalfehler wurde begangen, sondern die Zeit von 1919 bis 1939 ist, nach Kindleberger, geradezu eine Aneinanderreihung von Fehlern.
Lange vor 1929 braute sich das Unheil zusammen. In den Jahren 1922 und 1923 hatte in Deutschland die Hyperinflation gewütet. 1924 führte der Dawes-Plan zu einer gewissen internationalen Beruhigung. Nun flossen aber viele private Gelder in Form von Krediten aus den USA nach Deutschland (und dann auch nach Lateinamerika). Im Jahr 1927 warnte der große Hjalmar Schacht, Präsident der Reichsbank, in einer Rede davor, dass die deutschen Kommunen diese Kredite vor allem für "Stadien, Schwimmbäder, Pools, öffentliche Plätze, Tagungsstätten, Hotels, Büros, Planetarien, Flughäfen, Theater, Museen und so weiter" ausgeben würden. Ab 1928, als die Spekulationsblase in den USA immer größer wurde und die Kredite nicht mehr so reichlich zur Verfügung standen, wuchsen die Sorgen, wie Deutschland seine Schulden refinanzieren könne. 1930 trat der Young-Plan in Kraft, 1932 wurde das Problem der deutschen Reparationszahlungen weitestgehend gelöst - tragischerweise war es da zu spät. Das Unheil nahm seinen Lauf.
Von 1925 bis 1926 hätte eine massive Spekulationsblase bei Grundstücken in Florida Warnung vor der Aktienblase von 1928 bis 1929 und dem Crash sein können, genauso wie die Technologieblase der Jahre 1998 bis 2000 als Warnung vor der Immobilienblase und anschließenden Finanzkrise hätte dienen können. Nach 1929 fielen die Exportpreise der rohstoffproduzierenden Länder auf bis zu 20 Prozent des Niveaus von 1929. Im Jahr 1931 führten in Österreich und Deutschland, die durch Kriegsfolgen und Inflation geschwächt waren, die Zusammenbrüche der "Creditanstalt" und der "Darmstädter und Nationalbank" zu Bankpaniken. 1925 kehrte England unter Schatzkanzler Winston Churchill zum Goldstandard mit der überhöhten Vorkriegsparität zurück, was einen deflationären Effekt hatte.