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Vorwort zu Charles Kindleberger "Die Weltwirtschaftskrise"

02.08.2010  |  Prof. Dr. Max Otte
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Die Notenbanken Frankreichs und der USA sterilisierten die aus den Zahlungsbilanzüberschüssen stammenden Goldzuflüsse, was ebenfalls deflationäre Folgen hatte. 1930 erließ der Kongress der Vereinigten Staaten den Smoot-Hawley Tariff Act, der eine Spirale von Zollerhöhungen nach sich zog. Hoover hatte im Wahlkampf 1928 Schutzzölle für die amerikanischen Bauern vorgeschlagen und konnte nun die allgemeine Zollerhöhung nicht verhindern. Von nahezu drei Milliarden Dollar im Januar 1929 implodierte der Welthandel auf unter eine Milliarde 1932. 1939 scheiterte eine Weltwirtschaftskonferenz der Außenminister in London - U.S.-Präsident Roosevelt weigerte sich, den Dollar bei einem hohen Wechselkurs zu stabilisieren. Gleichzeitig beendete er den Goldstandard. Diese nahm anderen Ländern Exportmöglichkeiten und verlängerte die Krise.

Charles Kindleberger war ein Mann, der etwas zu sagen hatte und der das Publikum sofort in seinen Bann schlug. Ich hatte als junger Student das Glück, den damals 76jährigen bei einer Konferenz des Institute for International Economics 1986 in Washington zu hören, als er aus Charles MacKays Bericht über den Tulpenwahn vorlas. Kindlebergers Autorität war in einer Erfahrung begründet, die ihresgleichen sucht: Als Mitarbeiter des US-Finanz- und Außenministeriums sowie der Federal Reserve Bank und, vor dem Zweiten Weltkrieg, auch der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, war er an so ziemlich allen interessanten, wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen in Europa vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt gewesen - zum Beispiel als Büroleiter für deutsche und österreichische Fragen und als Berater für den Marshall-Plan im US-Außenministerium. 1984 kam er zum Massachusetts Institute of Technology (MIT) - einer Hochburg der mathematischen Ökonomie - wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte. Obwohl er zeitweilig sogar Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gewesen war, sprach er sich gegen zu viel Mathematik in der Ökonomie aus und sah sich als "historischen Ökonomen".

Kindlebergers zentrale Botschaft ist im Jahr 2010 wichtiger denn je. Seine Studie der Großen Depression sollte daher zur Pflichtlektüre für alle politisch Verantwortlichen und wirtschafspolitisch Interessierten werden:

Eine stabile Weltwirtschaft entsteht nicht "von selbst". Sie ist ein öffentliches Gut, das angesichts nationaler Egoismen bewusst bereitgestellt werden muss. Damit die Weltwirtschaft stabil sein kann, benötigt sie eine Führungsnation, einen wohlwollenden Hegemon oder "Stabilisator".


Die Aufgaben der Führungsnation sollten umfassen:
  • (1) die Aufrechterhaltung eines relativ offenen Marktes für "distressed goods" - also Märkte mit krisenhaften Entwicklungen (heute würden wir wohl Güter UND Dienstleistungsmärkte einbeziehen),

  • (2) die Bereitstellung von antizyklischen oder zumindest stabilen Krediten,

  • (3) die Stabilisierung von Wechselkursen,

  • (4) die Koordination der Geld- und Fiskalpolitik

  • (5) und die Funktion als Kreditgeber letzter Zuflucht, durch diskontierten Aufkauf von Vermögensgegenständen oder andere Arten der Bereitstellung von Liquidität in Krisen.

Gemessen an diesen Forderungen scheinen wir, zwei Jahre nach der heißen Phase der Finanzkrise im Jahr 2008, nicht ganz so schlecht dazustehen. Die Märkte sind bislang weitgehend offen geblieben; eskalierende Zollrunden scheinen derzeit nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Die Notenbanken und die Staaten haben, im Zuge der Bankenrettung, Liquidität bereitgestellt und Ramschpapiere gekauft. Allerdings waren dies eben keine „distressed goods“ sondern von Anfang an Vermögensgegenstände zweifelhafter Liquidität. Die 2008 von vielen Ländern verabschiedeten Konjunkturpakete sollen ebenfalls antizyklisch wirken. Deutschland hat mit dem Eurorettungspaket von 2010 antizyklisch Kredite bereitgestellt. (Damit ist allerdings der Umbau der Europäischen Union von einer Stabilitäts- zu einer Inflationsgemeinschaft in vollem Gange.)

Allerdings wurde vor allem die Finanzwirtschaft auf Kosten der produzierenden Unternehmen gestützt. In der Realwirtschaft wirken die Eigenkapitalvorschriften nach Basel II prozyklisch - also krisenverschärfend. Unternehmen im Mittelstand, die am dringendsten Kredite benötigen, erhalten nur schwer welche, während die Großbanken sich weiter bei den Notenbanken fast zum Nulltarif bedienen können. Das nahezu unregulierte Kartell der Ratingagenturen macht weiter wie bisher, also ebenfalls prozyklisch und krisenverschärfend. Und während die Finanzwirtschaft durch den Eurorettungsschirm gestützt wird, legen die europäischen Länder Sparpakete auf, deren Lasten vor allem die Bevölkerung trägt.

Kindleberger äußert sich kaum zur Frage der Regulierung der Finanzmärkte. In seinen fünf Punkten ist sie nur versteckt in Punkt Drei, der Regulierung der Finanzmärkte, enthalten. Vielleicht hat er dies als selbstverständlich und daher nicht erwähnenswert erachtet. Das Buch erschien zum ersten Mal 1973, als die Finanzmärkte noch weitgehend reguliert waren. Zwar hatte der Nixon-Schock - die einseitige Aufhebung der Konvertibilität des Dollars in Gold im Jahr 1971 - das aufgrund der Erfahrungen der Zwischenkriegszeit in Bretton Woods verhandelte System fester Wechselkurse erschüttert, aber insgesamt waren die Finanzmärkte noch weitgehend reguliert. An vielen Stellen des Buches wird klar, dass Kindleberger die großen Summen frei vagabundieren Kapitals und die gegenseitige Verschuldung der Nationen als eine Ursache der Großen Depression ansah. Der Hegemon muss also nicht nur für das Krisenmanagement sorgen, sondern auch für angemessene Regeln.

Hier sind wir auch heute noch nicht weiter gekommen. Chinas Devisenreserven wachsen. Zwar hat die Regierung einer vorsichtigen Aufwertung des Renmimbi zugestimmt, aber wird man diesen Kurs auch fahren, falls die Chinesische Lokomotive an Fahrt verlieren sollte? Ein Land oder eine Region muss (1) einen Markt für Güter offen halten, die ansonsten keinen Absatz fänden und auch (2) Vermögensgegenstände mit Abschlag kaufen (discounting), falls diese keinen Käufer mehr finden. Die amerikanische Notenbank hat Ramschpapiere in erheblichem Umfang gekauft, und auch die Europäische Zentralbank hat damit begonnen. Wer wird diese Funktion übernehmen? Wer wird die Führungsrolle bei der Regulierung der Finanzmärkte übernehmen, nachdem die von Obama als großer Erfolg bezeichnete Finanzreform die Finanzakteure letztlich weitermachen lässt wie bisher?

Die Welt ist noch nicht über den Berg, wenn wir auch bislang jene fatale Abwärtsspirale vermieden haben, die die Jahre nach 1929 charakterisierte. Hoffen wir, dass die Mächtigen dieser Welt verantwortungsvoll handeln. Wir selbst können uns nur einen dicken Mantel anziehen und hoffen, dass der Sturm an uns vorüber zieht. Streuen Sie Ihr Vermögen in Gold, Aktien mit stabilen Geschäftsmodellen und wenig Liquidität. Für den, der es sich leisten kann, sind Ackerland und ein zweiter Wohnsitz in einem stabilen Land sicher nicht verkehrt. (Wobei ich auch die Bundesrepublik und Österreich, trotz aller Kritikpunkte, als stabiler ansehe als die meisten Länder dieser Erde). Und dann beobachten Sie die Situation mit einer gewissen Gelassenheit - denn ändern können werden wir sie nicht, so oder so.

Gelassenheit und Weitsicht wünscht Ihnen, Ihr


© Prof. Dr. Max Otte



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