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Schulden, Wahnvorstellungen, Betrug

22.07.2005  |  Dr. Kurt Richebächer
In den Vereinigten Staaten ist der Keil zwischen dem Schuldenwachstum und dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mit Sicherheit das erschreckendste Phänomen in der Entwicklung von Wirtschaft und Finanzen. In Bezug zum zögerlichen Einkommenswachstum wird dieser Keil immer größer. Und doch zollt weder die Fed noch die bullige Allgemeinheit der Sache Aufmerksamkeit.

Aufgrund einer höheren Inflation, immer höheren kurzfristigen Zinssätzen und Zinseszinsen, ist eine ewig steigende Kreditmenge nötig geworden, um die Wirkungen von Ausgaben und Vermögenswertpreisen beizubehalten. Die Zeichen für eine schwächere weltweite Wirtschaft sind reichhaltig vorhanden, angeführt vom Herstellungssektor. Abwärtsüberraschungen sind alltäglich. Die amerikanische Wirtschaft bildet da keine Ausnahme.

Meine sehr kritische Einschätzung der amerikanischen Wirtschaft ist überwiegend von zwei extrem negativen Gedanken geleitet: Erstens: Das chronische Ungleichgewicht zwischen Ausgaben, Ersparnissen, Anlagen und Schuldenschaffung hat sich seit 2000 noch einmal stark verschlechtert. Zweitens: Sowohl die monetäre als auch die fiskalische Politik haben ihre stimulierenden Möglichkeiten bereits fast ausgeschöpft. Sie können nur noch wenig oder gar nichts mehr tun, wenn sich die Wirtschaft wieder auf eine Rezession zu bewegt.

Seit den Neunzigern haben die Verbraucherausgaben in den USA das Produktionswachstum überholt. Das Gegenstück dazu ist ein Zusammenbruch der Ersparnisse aus den laufenden Einkommen, wenig Investitionen, die sich auf Betriebe konzentrieren und ein in den Himmel steigendes Handelsbilanzdefizit. Tatsächlich gehen die meisten Kredite für Geschäfte in Zusammenschlüsse, Übernahmen oder Dividendenausschüttungen.

Das auffälligste Kennzeichen für die beschleunigte Divergenz zwischen Verbrauch und Output ist das explodierende Leistungsbilanzdefizit, das sich im Moment bei einer jährlichen Rate von knapp 800 Milliarden bewegt. Das ist das mehr als das Fünffache des Betrags von 109,5 Milliarden Dollar 1995.

Es scheint so, als müssten die amerikanischen Politiker und Ökonomen erst noch begreifen, dass ein solches Defizit der größte Killer für die Einkommen und die Profite einer Wirtschaft ist. Um das riesige, innewohnende Zerren an den Arbeitslosenzahlen und den Einkommen auszugleichen, hat die Fed die Geld- und Kredithähne so weit aufgedreht, um von anderer Stelle die häusliche Nachfrage zu schaffen.

Bei seiner Aussage vor dem Kongress am 9. Juni 2005 sagte Greenspan, die wirtschaftliche Situation in den USA stünde "auf hinreichend sicheren Füßen", sieht man sich aber die Zahlen für die Privateinkünfte und -ausgaben des folgenden Monats an (Laut BEA Burau of Economic Analysis) dann stelle ich eine dramatische Unordnung bei Einkommenswachstum und Ausgabenwachstum fest.

Die veröffentlichten Zahlen für die Gewinne bei verfügbarem Einkommen sind wirklich so verheeren, dass ich sie nicht recht glauben kann. Zwischen Dezember 2004 und Mai 2005 fiel das verfügbare Einkommen von 8.473 Milliarden auf deutlich geringere 8.211,6 Milliarden. Weil man zwischen Dezember und Januar von einer deutlichen Verzerrung ausgehen kann, will ich mich auf die vier Monate von Februar bis Mai konzentrieren. In dieser Zeit ist das verfügbare Haushalteinkommen um mickrige 37,7 Milliarden Dollar gestiegen, dass entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 1,5 Prozent. Das verfügbare Einkommen ist - zum Vergleich - 2004 um 3,7 Prozent gestiegen und 2003 um 2,3 Prozent. Es scheint mir vernünftig, hier von einem Einkommenseinbruch zu sprechen.

In der gleichen Zeit sind die Verbraucherausgaben um 75,7 Milliarden Dollar angestiegen, das aber mit einem deutlichen Abwärtstrend: Februar 32 Milliarden, März: 28,6 Milliarden; April: 18,1 Milliarden;
Mai - 3 Milliarden.

Wie es dazu kam, ist kein Geheimnis: Es hängt alles mit einer Wirtschaft zusammen, bei der das Wachstum der Nachfrage durch Einkommenssteigerungen zunehmend durch aufgeblasene Vermögenswertpreise ersetzt wurde, die die Rahmenbedingung für immer mehr Ausgaben auf Kredit bilden. Aber die Schaffung von Einkommen kommt nicht mehr hinterher; sie befindet sich auf dem Abstieg.

Auf einer Linie mit der österreichischen Theorie, halte ich die Kapitalausgaben für die kritische Masse beim kapitalistischen Prozess, der all die Dinge erzeugt, die zu wahrem Wohlstand führen. Zuerst einmal schaffen sie Arbeitsplätze, Einkommen und greifbaren Wohlstand auf Seite der Nachfrage, während die Betriebe und das Zubehör produziert werden. Dann, wenn sie errichtet sind, schaffen all diese Kapitalgüter Arbeitsplätze, Produktivität und Einkommen auf der Angebotsseite.

Es muss aber auch noch ein weiterer Punkt bedacht werden: Erstens, Kapitalanlagen finanzieren sich selbst und, zweitens, Abschreibungen und ihre Re-Investition schaffen einen endlosen Strom von Arbeitsplätzen und Einkommen, ohne dass Schulden hinzugefügt werden müssten. Anlagengetriebes Wirtschaftswachstum hat daher eine sehr geringe Schuldenneigung. Im Gegensatz dazu füttern sich unproduktive Regierungen und Verbraucherschulden über die Zinseszinsen selber.

In den Achtzigern gab es in Amerika einen drastischen Einbruch bei der Schuldenneigung. Vergleichbar mit den späten Zwanzigern, aber deutlich schlimmer. In beiden Fällen hatte es die gleichen Gründe: Steigenden Konsum und finanzielle Spekulationen.

Ich habe schon zuvor betont, dass die Aussicht für die Amerikanischen Wirtschaft derzeit die ganze Weltwirtschaft beschäftigt. Allgemein wird verbreitet, besonders von Greenspan, die amerikanische Wirtschaft sei so flexibel, "dass man davon ausgehen kann, dass die Ungleichgewichte ausgeglichen sein werden, noch bevor sie möglicherweise destabilisierend wirken können."

Das ist eine absurde These, weil Flexibilität wirklich das allerletzte ist, was die amerikanische Wirtschaft in den letzten Jahren unter Beweis gestellt hätte. Die einzige Flexibilität hat sie gezeigt, wenn es um die Erzeugung einer Immobilienblase ging und die damit in Verbindung stehende Kreditblase während alle anderen strukturellen Unausgewogenheiten sich zu neuen Extremswerten bewegt haben – die fehlenden Ersparnisse, die Inflation bei Vermögenswerten und das monströse Handelsbilanzdefizit.

Pünktlich hat sich auch das amerikanische Muster des wirtschaftlichen Abschwungs zwischen 2000 und 2001 deutlich von dem typischen und zyklischen Muster unterschieden. Alle vergangenen Rezessionen waren durch monetäre Knappheit ausgelöst worden, der Antwort der Fed auf steigende Inflationsraten. Aufgrund der knappen Kredite hatten dann sowohl Verbraucher als auch Unternehmen ihre durch Kredite finanzierten Ausgaben zurück zu fahren. Bei jedem wirtschaftlichen Abschwung gab es die gleichen Komponenten - dauerhafte Konsumgüter, Geschäftsanlagen und das Bauen von Wohnraum.

Aber dieser Abschwung ist anders als alles was man jemals in den Annalen der Geschäftszyklen erlebt hat. Während die Fed ihre Zinskürzungen von 1998 in der ersten Hälfte von 2000 rückgängig machte - und die Bundesfondsrate in drei Phasen von einem Gesamtwert von einem Prozent auf 6,5 Prozent anhob - sind die Kreditflüsse für Geschäfte und Privatpersonen eskaliert wie nie zuvor. Doch das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ging von 3,7 Prozent 2000, 2001 auf 0,8 Prozent zurück. Es war die erste Rezession, die sich unter den Bedingungen einer weitreichenden Kreditexpansion abspielte.

Was aber die Rezession von 2001 am deutlichsten von allen anderen unterschied, ist das Muster. Der Abschwung konzentrierte sich auf eine einzige Komponente der Nachfrage - auf die Unternehmensinvestitionen. Der Einbruch um 13,1 Prozent zwischen 2001 und 2002 ist der schärfste Einbruch der Nachkriegszeit. Ebenso ungewöhnlich stiegen die Verbraucherausgaben gleichzeitig um 5,8 Prozent an. Sicherlich hat die außerordentliche Entwicklung der Verbraucherausgaben dazu geführt, dass der wirtschaftliche Abschwung moderat ausfiel.

Auch die folgende Erholung unterschied sich diametral von den bisherigen Erfahrungen. Mit den niedrigsten Leitzinsen in fünfzig Jahren und dem größten fiskalischen Anreiz der Geschichte, war die Erholung dennoch die bei Weitem schwächste der Nachkriegszeit. Das am weitesten verbreitete Maß ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Es stieg während der Jahre 2001-2003 um 9,6 Prozent, im Vergleich zum durchschnittlichen Wachstum von 14 Prozent über die gleiche Zeitspanne in vorangegangenen zyklischen Erholungen der Nachkriegszeit.

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Zusammensetzung der Erholung entscheidend für die Haltbarkeit und die Kraft ist. Typischerweise erhielten die vergangenen Erholungen ihren unmittelbaren Zug aus der angestauten Nachfrage nach Unternehmensinvestitionen, langlebigen Gebrauchsgütern und Immobilien, die sich aus der vorangegangenen Geldknappheit ergeben hatte. Diesmal sind zwei Dinge extrem schief gegangen: Die Unternehmensinvestitionen haben sich nur schwach erholt und der Außenhandel hat ein explodierendes Defizit erzeugt.


© Dr. Kurt Richebächer

Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor's Daily"



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