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Luftige Schätzungen

15.07.2012  |  Klaus Singer
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Zurück zu Spanien: Wenn das Land dann schließlich das Defizitkriterium erfüllt hat, kommt das Schuldenkriterium (60% des BIP) zum Zuge. Mit schrumpfender Wirtschaft und sinkenden Staatsausgaben ist die Staatsschuldenquote beispielsweise von 70 auf 90% angestiegen. Nach dem Schuldenkriterium muss der spanische Staat nun 20 Jahre lang 1,5% des BIP einsparen.

Mit dem Fiskalpakt sind Konjunkturprogramme nur noch sehr eingeschränkt möglich. Wenn in Krisen das BIP sinkt, wird auch der Potentialoutput niedriger eingeschätzt. Dadurch wird ein Teil des gestiegenen Defizits "strukturell", das mit Sparen beantwortet werden muss. Letztlich läuft dann wieder der Kreislauf an, der über sinkenden Konsum zu weiterer Wachstumsschwäche führt.

Es ist prinzipiell richtig, dass der Potentialoutput in einer Krise sinkt. Das liegt u.a. daran, dass auch ungenutzte Produktionsmittel verschleißen. Zudem veralten sie, weil die technische Entwicklung in einer Krise weitergeht. Allerdings wirken diese Effekte mit zeitlicher Verzögerung und es ist schwer, sie genau zu bestimmen.

Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher in Wien, weist zu Recht auf die Konsequenzen hin: "Es braucht nur genügend häufig Finanzkrisen geben und der Sozialstaat wird in Etappen abgebaut." Dabei geht es im Grunde nicht um den Abbau von sozialen Errungenschaften, sondern um die Umverteilung von Vermögen.

Immer wieder ist aus Brüssel das Argument zu hören, man müsse die "Märkte" beruhigen, nur durch Spardisziplin könne man sich dem Zinsdiktat der "Märkte" entziehen. Der in einer Demokratie eigentlich vorherrschende Primat der Politik, sprich des kollektiven Willens der Bürger, wird damit an den Nagel gehängt. Die Politik entmündigt sich, vor allem aber den Bürger, den Souverän. Das führt letztlich zu dem, worum das neoliberale Denken kreist, dem Markt in einer möglichst ungezügelten Form. Wirtschaftspolitik wird auf ein paar Regeln reduziert, die man auch von einem Computer abarbeiten lassen kann.

Ein Wirtschaftssystem ist aber dazu da, die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen, nicht die der Banken. Wirtschaft besteht zur Hälfte aus ökonomischen Gesetzen, zur anderen Hälfte aus Menschen. Diese Hälfte sollte die Wirtschaft aktiv gestalten, nicht umgekehrt. Wenn man Auto fährt, nimmt man die Hände ja auch nicht vom Lenkrad.

Natürlich sind die erreichten Schuldenstände unhaltbar. Sie sind unhaltbar geworden, weil das neoliberale Denken die Köpfe in Brüssel und anderswo schon lange befallen hat. Jetzt wollen dieselben Köpfe, die diesen Schlamassel herbeigeführt haben (u.a. durch Bruch der Maastrichter Schuldenkriterien und systematische "Deregulierung") wissen, wie es richtig geht?

Als die Staaten 2008 auch noch begonnen haben, Banken zu retten, wurde der Grundstein für die heutige Staatssolvenzkrise gelegt. Aber die Bankenrettungen gehen munter weiter – demnächst auch noch via ESM. Genau hier sollte man mal endlich sparen. Man darf gespannt sein, wie die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ESM und Fiskalpakt weitergehen.

EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia gibt schon mal einen kleinen Ausblick auf das, was mit der nächsten Bankenrettung auf uns zukommt (h/t Eurointelligence): Er schätzt die totalen Kosten aller EU-weiten Bankenrettungen auf 4 bis 5 % des EU-BIP. Die Summe der Garantien werde auf etwa 10% des BIP-27 kommen (2011: 12,64 Bill. Euro; Eurozonen-BIP (17 Länder) 9,4 Bill. Euro). Da nach den neuen EU-Beschlüssen Banken vom ESM direkt gerettet werden können sollen: Das alleine entspricht dem anfänglich angesetzten Kapital des ESM voll. Und dann sollen auch noch PIIGS gerettet werden...


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de




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