Die USA stecken in der unmäßigsten Kreditinflation aller Zeiten
28.11.1999 | Dr. Kurt Richebächer
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Kreditpyramide führt zu IlliquiditätEine der Folgen dieser Entwicklung ist natürlich, dass Kreditschöpfung und Geldschöpfung in den USA wie nie zuvor auseinander klaffen. In der Wirkung auf Wirtschaft und Märkte besteht keinerlei Unterschied zur Kreditschöpfung der Banken, die mit Geldvermehrung verbunden ist. Wohl aber wird das Finanzsystem auf längere Sicht zwangsläufig illiquider, indem im Verhältnis zur Geldmenge eine immer größere Kreditpyramide entsteht. Ebenso sollte klar sein, dass die Bewegungen der Geldmengen unter diesen veränderten institutionellen Bedingungen ein völlig unzulänglicher Maßstab für die Geldpolitik geworden sind.
Womit wir zur wichtigsten Frage überhaupt in diesem Zusammenhang kommen:
Was genau war und ist die entscheidende treibende Kraft hinter dem langen Boom der amerikanischen Wirtschaft und der stürmischen Hausse des Aktienmarktes gewesen?
War es die Kreditblase, die wir beschrieben haben? Oder ist es der berühmte Paradigmenwechsel in der Wirtschaft als Folge von High Tech und Corporate Restructuring, den Wall Street und Herr Greenspan beschwören?
Halten wir als erstes nochmals fest:
Die Kreditexpansion, die in den letzten Jahren in den USA stattgefunden hat, ist ohne Beispiel in der Geschichte. Sie stellt alle bisherigen Bubble-Erfahrungen in den Schatten. Ebenfalls einmalig in der Geschichte ist es, dass alle Welt, nicht nur unabhängige Beobachter und Kommentatoren, sondern vor allem auch die verantwortlichen Geldpolitiker, über die entfesselten Kreditfluten einfach hinwegsehen. Sie werden nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Dazu sei festgestellt, dass sich die Fed in den zwanziger Jahren über den haussierenden Aktienmarkt bereits anfangs 1928 Sorgen zu machen begann und von da an bemüht war, ihn durch Zinserhöhungen frühzeitig zu bremsen. Erst recht aber wäre in der damaligen Fed niemand auf die Idee gekommen, die Aktienhausse gar mit den großen Errungenschaften der industriellen Revolution zu rechtfertigen, wie Greenspan es immer wieder mit Bezug auf Computer- und Informationstechnologie getan hat. Wall Street schwärmte zwar von einer neuen Ära, niemand aber in der Fed. Dabei erzielte die Industrie mit einer damaligen neuen Technologie, die primär die Produktionsanlagen verbesserte, ungleich höhere, messbare Produktivitätsgewinne als es heute mit der neuen Informationstechnologie geschieht.
Kein Verständnis für Mises und Hajek
Die Meinungsverschiedenheiten über die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung in den USA gehen letztlich jedoch weit über die Frage hinaus, ob die Aktienhausse der letzten Jahre eine inflatorische Bubble darstellt oder aber einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der Wirtschaft widerspiegelt. Anhaltende, größere Inflationsblasen in den Sach- und Finanzanlagen haben erfahrungsgemäß die unangenehme Eigenschaft, dass sie je nach Dauer und Ausmaß mehr oder weniger starke Verwerfungen in der ganzen Wirtschaft bewirken, die langwierige und schmerzvolle Anpassungsprozesse nach sich ziehen, nachdem die Bubble geplatzt ist.
Das ist allerdings eine Erkenntnis der Österreichischen Schule (Mises, Hayek), wofür die große Mehrheit der amerikanischen Nationalökonomen kein Verständnis hat. In der gängigen amerikanischen Wirtschaftsgeschichte hatte die Depression der dreißiger Jahre absolut nichts mit den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen der späten achtziger Jahre zu tun.
Schuld war allein eine zu restriktive Geldpolitik der Fed, nachdem die Aktienblase geplatzt war. Im gleichen Sinne werden die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Japan allein einer falschen Geldpolitik in der Gegenwart, nicht aber den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen und Verzerrungen aus den vorangegangenen Bubble-Jahren zugeschrieben.
BoJ mit selben Trivialitäten bombardiert
Für diesen Gedanken, für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung könne es zuerst eines möglicherweise langwierigen und schmerzvollen Anpassungsprozesses bedürfen, haben in Amerika weder Politiker noch Nationalökonomen etwas übrig. Jede wirtschaftliche Stockung ist ihrer Ansicht nach leicht und schnell zu beheben, indem die Notenbank einfach "Geld druckt". Das einzige, was ihnen dabei in den Sinn kommt, sind massive Offenmarkt-Käufe der Notenbank von Staatspapieren. Mit dieser simplizistischen Forderung wird die japanische Notenbank von maßgebenden amerikanischen Nationalökonomen seit Monaten bombardiert.
Dummes Zeug
Zurück zur Ausgangsfrage: Bubble oder neue Ära in den USA? Wie gesagt, die übliche Behauptung, eine Anlagen-Bubble sei schwer zu erkennen, bevor sie platzt, ist dummes Zeug. Entscheidendes und spielend leicht erkennbares Kriterium ist, wie gesagt, die jeweils laufende Kreditexpansion. Typisches, ins Auge springendes Kennzeichen jeder Inflationsblase in Sach- oder Finanzanlagen ist eine Kreditexpansion, die das Sozialproduktwachstum deutlich übersteigt. Es mag manchmal Grenzfälle geben, aber die gegenwärtige Entwicklung in den USA ist kein Grenzfall, sondern der extremste Fall, den es in dieser Hinsicht je gegeben hat, womit die Aktienhausse der vergangenen Jahre als besonders schlimme Inflationsblase oder Bubble qualifiziert ist.
Aber solche Bubbles finden nicht im luftleeren Raum statt. Wie gesagt, in aller Regel führt die inflatorische Kreditvermehrung direkt und indirekt zu mehr oder weniger starken Verzerrungen in den Strukturen der Wirtschaft. Aus der "asset bubble" wird auf diese Weise die "bubble economy". Im Falle Japans bewirkte die Bubble der späten achtziger Jahre im Aktien- und Immobilienmarkt einen Investitionsboom ohnegleichen in Industrieanlagen und kommerziellen Bauten. Selbst nach zehn Jahren haben die japanischen Unternehmen noch mit den damaligen massiven Fehl- und Überinvestitionen zu kämpfen. Von völlig anderer Art sind die Bubble-Auswirkungen der vergangenen Jahre auf die Wirtschaft in den USA. Auf dem Weg über die gewaltigen "wealth effects" des haussierenden Aktienmarktes zugunsten der privaten Haushalte ist vor allem der Konsum überstimuliert worden, übrigens ähnlich wie schon in den zwanziger Jahren, als in den USA der Konsumkredit erfunden wurde.
Wahrzeichen Handelsbilanzdefizit
Doch Herr Greenspan und die meisten amerikanischen Volkswirte sind außer Stande, in der maßlosen Kreditvermehrung, dem Zusammenbruch der privaten Ersparnisbildung sowie dem explodierenden Handelsbilanzdefizit bedenkliche Ungleichgewichte zu sehen, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Das riesige Defizit im Außenhandel wird ganz im Gegenteil als das Wahrzeichen einer vor Kraft strotzenden Wirtschaft gesehen und hingestellt. Handelsbilanzüberschüsse werden verächtlich als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche abgetan. Dass Volkswirtschaften mit starkem Wachstum dank hoher innerer Ersparnisbildung in der Regel starke Handels- und Zahlungsbilanzen aufweisen, ist ihnen völlig unbekannt.
Beispielloses Nebeneinander
Um es zu wiederholen und zu unterstreichen: Amerika ist der extremste Fall von "asset bubble" und "bubble economy", den es je gegeben hat. Das hat seinen Grund in dem beispiellosen Nebeneinander von völlig unkontrollierter Kreditexpansion und völligem Zusammenbruch privater Ersparnisbildung. Es bedeutet, dass die amerikanischen Märkte letztlich von zwei ungewöhnlichen und unsicheren Finanzierungsquellen abhängen. Das eine ist pures finanzielles Leverage, also kreditfinanzierte Anlagen, und das andere sind Auslandskäufe. Wobei das finanzielle Leverage bekanntlich in großem Umfang durch Refinanzierung in niedrig verzinslichen ausländischen Währungen stattgefunden hat, in Yen, Euro und Schweizer Franken. Hat die amerikanische Wirtschaft aber in puncto Ertragskraft und Produktivität erheblich gewonnen, wie Wall Street unter Berufung auf Hightech und Shareholder-Value-Primat zu behaupten pflegt? Darüber muss es doch objektive und unbestreitbare Statistiken geben. Ja, es gibt sie, aber ...