Prof. Wilhelm Hankel: Europa verlässt den Boden der Demokratie
19.11.2010 | Frank Meyer
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Frank Meyer: Wenn ich Ihnen so zuhöre, habe ich eher das Gefühl, Sie redeten nicht über Europa sondern über die Sowjetunion. Professor Hankel: Tja, ich habe in manchen meiner Publikationen sogar den Verdacht geäußert, dass die Kommission so etwas anstrebt wie das Politbüro Europas zu sein. Das mochte noch einen gewissen Sinn im Kalten Krieg haben, aber es hat überhaupt keinen Sinn in unseren Zeiten und schon gar nicht, wenn es darum geht, die innere Freiheit der Völker zu bewahren.
Frank Meyer: Wissen denn die Eurokraten in Brüssel, was sie tun?
Professor Hankel: Mein Eindruck ist, dass diese Leute wie alle, wenn sie an der Spitze sitzen, in erster Linie an ihre Machtposition und ihre Pfründe denken. Sie sind ja was geworden und verdienen ja auch viel Geld. Der riesige Beamtenapparat wie jeder Beamtenapparat dient loyal der Spitze. Man kann ihnen ja keinen Vorwurf machen: Wer in Brüssel als Beamter tätig ist, hat loyal zur Politik der Brüsseler Oberen zu stehen. Und das geschieht. Gefährlicher finde ich, dass die formell unabhängige Leitung der EZB, die ja geschworen hat, eine Politik der Bundesbank zu betreiben, und die es ja in ihrem Statut auch so stehen hat, dass die mit einem einzigen Beschluss ihre eigenen Statuten aufhebt, indem sie jetzt griechische und andere Schrottanleihen ankauft.
Frank Meyer: ...womit ja die EZB nichts anderes macht, als auch die amerikanische FED…
Professor Hankel: Also erstens mal hat die EZB ein anderes Statut als die FED, welche nicht ganz von Weisungen ihrer Regierung unabhängig ist. Ich wüsste auch gar nicht, welcher Regierung die EZB zu gehorchen hätte. Wir haben ja 16 Regierungen. Die EZB hatte von Statut und Anspruch her die Möglichkeit, sich all diesen Ansinnen, Schrottanleihen zu kaufen und fremde Haushalte zu finanzieren, sich zu distanzieren. Doch es zeigt sich, dass die EZB-Banker die Sendboten ihrer heimischen Regierung sind. Ich empfand es schon als sehr merkwürdig, dass der langjährige Vizepräsident der EZB, ein früherer Direktor aus der dortigen Zentralbank vorgegeben hat, nie etwas von den Schlendriansverhältnissen in Griechenland gewusst zu haben - auch nichts von den Statistikfälschungen, die alle über seinen Tisch gegangen sind. Man muss leider sagen, die EZB hat moralisch und charakterlich versagt. Sie könnte unabhängig sein, aber sie ist es nicht.
Frank Meyer: Herr Hankel, Sie können auf eine lange Karriere zurück blicken. Jetzt, wo Sie die die Früchte des Lebens genießen können, werden Sie noch einmal richtig aktiv. Wenn der Umgang Europas in eine Transferunion geschafft ist - was prognostizieren Sie Ihren Kindern und den Enkeln. Worauf müssen sie sich künftig einstellen?
Professor Hankel: Das beste Exempel für die eigenen Kinder und Enkel ist das eigene Leben. Ich als Vater und Großvater möchte den Kindern und Enkeln erst einmal klarmachen, dass man als alter Mensch nicht hinterm Ofen oder auf dem Sofa zu sitzen hat, sondern sich einmischen muss mit seiner Erfahrung - besonders dann, wenn die eigene Erfahrung sagt, dass die Sache schief läuft.
Alte Staaten in der Antike hatten ja ihren Rat der Alten. Das war eine kluge Institution, dass man die alten Leute nicht aufs Sofa setzt, sondern befragt. Da mich keiner offiziell befragt, und wir so etwas nicht mehr haben, mische ich mich freiwillig ein - auch um meinen Kindern und Enkeln ein Beispiel zu geben; vor allem aber, um zu verhindern, dass unsere Gesellschaft noch einmal in einen Abgrund fällt, wie wir ihn ja schon überstanden haben. Solche Dinge kann man verhindern. Das ist die Erfahrung eines langen Lebens.
Frank Meyer: Nehmen wir an, der Euro fällt eines Tages auseinander. Bedeutet das für Sie einen Aufbruch vielleicht sogar ohne einen Einbruch?
Professor Hankel: Das lässt sich nicht immer mit letzter Sicherheit sagen. Manchmal kann es so kommen, aber oft kommt es so, dass der Zusammenbruch der Aufbruch in eine neue Zukunft ist, in eine neue Welt ist. Das war bei allen bürgerlichen Revolutionen der Fall. Wenn wir noch einmal daran zurückdenken an die englische, die französische oder die amerikanische Revolution - stets brach ein altes, absolutistisches, undemokratisches Zwangsregime zusammen. Das war die Voraussetzung für einen Neubeginn in Freiheit und Demokratie. Ich denke, etwas Ähnliches sollte uns auch in Europa passieren.
Die Berufseuropäer nehmen ja überhaupt nicht zur Kenntnis, dass sich die Geschäftsgrundlage für die europäische Integration historisch völlig verändert. Gegründet wurden die europäischen Organe eigentlich als Ergänzungsapparate zur Nato und als Abwehr - und Verteidigungsinstrumente im Kalten Krieg. Wir haben keinen Kalten Krieg mehr. Europa wird weder militärisch bedroht noch wirtschaftlich. Die Gefahr, dass man sich gegen einen äußeren Feind abgrenzen muss, ist gottlob gebannt und ich bin sicher ein für allemal. Und wenn das so ist, dann wird der Weg frei für ganz andere Formen der Zusammenarbeit. Dafür brauchen wir keine Kommission in Brüssel. Das könnten die Staaten mit ihrem Regierungsapparat untereinander ausmachen. Sie könnten zum klassischen Völkerrecht zurückkehren, was ein viel besserer Weg wäre, Europa durch Verträge zu integrieren statt durch Zwang und Druck von oben.
© Frank Meyer