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Wo stehen wir im Konjunkturzyklus?

12.02.2011  |  Klaus Singer
Entwerfen wir zunächst ein idealisiertes Bild. John J. Murphy, Altmeister der technischen Analyse, hat Anfang der 1990er Jahre auf ein Modell von Martin Pring zurückgegriffen. Es untersucht die Kursentwicklung von drei Sektoren der Finanzmärkte, Bonds, Aktien und Rohstoffe. Jede Phase des Modells wird durch Drehung der Preisbewegung eines Sektors charakterisiert. Es ergeben sich sechs idealtypische Konjunkturphasen:

In Phase 1 herrscht Rezession, der Rentenmarkt findet seinen Boden. Die Anleihekurse drehen nach oben, Aktienkurse und Rohstoffpreise fallen weiter. In Phase 2 lässt die Dynamik des Konjunkturabschwungs nach, die makroökonomischen Frühindikatoren stabilisieren sich allmählich. Die Zinsen geben deutlich weiter nach. Der Aktienmarkt erreicht seinen Boden, die Kurse drehen nach oben. Die Rohstoffpreise setzen ihre Abwärtsbewegung fort. Die Phase 3 bringt den Übergang in den Konjunkturaufschwung. Die Rohstoffpreise finden ihren Boden und schwenken in einen Aufwärtstrend ein. Die Aktienkurse legen weiter zu. Die Zinsen fallen noch weiter, Anleihekurse steigen noch weiter.

In Phase 4, dem konjunkturellen Aufschwung, zieht die Inflationsrate an. Zu Beginn dieser Phase erreichen die Zinsen ihren Tiefstand und steigen dann an, i.d.R. begleitet von ersten Zinserhöhungen der Notenbanken. Die Anleihekurse fallen, die Aktienkurse legen weiter zu. Die wirtschaftliche Belebung zieht die Rohstoffpreise hoch. In Phase 5 lässt die Dynamik des Aufschwungs nach. Die zunehmende Inflation führt zu weiteren Leitzinserhöhungen. Der Aktienmarkt erreicht seinen Gipfel. Rohstoffpreise und Zinsen steigen weiter, Anleihekurse fallen weiter. Die Phase 6 bezeichnet den Übergang in die Rezession. Die Rohstoffpreise gehen auf Talfahrt. Die Anleihekurse fallen noch weiter, die Zinsen steigen noch. Auch die Aktienkurse geben nach. Alle drei Asset-Klassen befinden sich in einer Abwärtsbewegung.

Das Pring-Modell beschreibt eine idealtypische Rotation zwischen den drei betrachteten Segmenten der Finanzmärkte. "An Hoch-, sowie an Tiefpunkten beginnen Anleihen als erste, Aktien als zweite und Rohstoffe als dritte zu drehen", stellt Murphy fest. Die Umkehr des Bondmarktes werde gewöhnlich durch eine Drehung der Rohstoffmärkte in die entgegengesetzte Richtung ausgelöst.

Das Modell ist Grundlage für den Chart (siehe Chart!). Allerdings ist die Phase 6 nach Pring/Murphy hier die Phase 0 - siehe den unteren Teil-Chart. Zu erkennen ist, dass das Modell bis Mitte der 1990er Jahre in der aufsteigenden Abfolge der einzelnen Phasen recht gut funktionierte (Pfeile). Bis dahin waren deutliche Konjunkturzyklen von drei bis vier Jahren Dauer festzustellen, nach 1995 ist eine solche Abfolge eines idealtypisches "Pring"-Musters in dieser Darstellung nicht mehr ohne weiteres erkennbar.

Warum das so ist? Ich denke, dass liegt an der zunehmend expansiven Geldpolitik der Notenbanken (Fed) mit den daraus folgenden Verzerrungen bei den Assetpreisen, einschließlich Kreditblasen und den Folgen. Das wird auch aus der Verschiebung der Verteilung der Phasen deutlich. Ab 1995 sind die Phasen 0 (6), 2 und 5 unterrepräsentiert, 1 und 3 sind überrepräsentiert, jeweils im Vergleich zur Zeit zwischen 1961 und 1994.

Nach 1995 stiegen Rohstoffe 68% der Zeit, zwischen 1961 und 1995 war das in 60% der Zeit so. Aktien sind nach 1995 in 80% der Zeit gestiegen (zuvor 70%). Anleihen legten nach 1995 in 61% der Zeit zu (zuvor 49%). Damit ergibt sich die deutlichste Verschiebung bei Anleihen.

Die Auswertung sieht die Konjunktur aktuell in Phase 3. Da monatlich eine Phasenauswertung erfolgt und das Erkennen einer nachhaltigen Richtung drei bis vier Monate benötigt, läuft das Ergebnis entsprechend nach. Die Auswertung der Phasen auf Tagesbasis zeigt denn auch, dass man aktuell eher Phase 4 veranschlagen sollte: Die Inflationsrate zieht an, die Zinsen beginnen zu steigen, die Anleihekurse fallen, die Aktienkurse legen weiter zu. Die Rohstoffpreise steigen.

Murphy rät, in dieser Phase Anleihen und zinssensitive Aktien in den Depots deutlich zu reduzieren. Gold und goldorientierte Anlagen als frühe Absicherung gegen Inflation kommen nach Murphy schon früher (in Phase 3) in Betracht.

Mit zinssensitiven Aktien sind bilanzschwache Unternehmen gemeint, gewöhnlich solche mit einer hohen Fremdkapitalquote. Dies ist gegenwärtig schön zu sehen: Große Aktienindices aus den entwickelten Industrieländern sind gefragt, Aktien aus den Emerging Markets seit dem Jahreswechsel nicht mehr: ETFs auf den MSCI-World (siehe Chart!), noch deutlicher auf den DAX (siehe Chart!) sind gefragt, ein ETF auf Emerging Markets, erst recht auf Lateinamerika nicht (siehe Chart!).

Auch das Bild des Kursverlaufs bei Anleihen entspricht der "Phase 4", wie der Chart eines ETFs auf Unternehmensanleihen zeigt (siehe Chart!).

Da die Märkte jedoch seit 15 Jahren vom idealtypischen Muster abweichen, zieht aber auch das, was Murphy hierzu schrieb: Der Anleger wird "darauf aufmerksam gemacht, dass etwas nicht stimmt und gewarnt, vorsichtiger vorzugehen."

Der Blick fällt - wie sollte es anders sein? - auf Anleihen. Die hatten von der Verschiebung vor/nach 1995 ja am deutlichsten profitiert. Zudem ist das weltweite Anleihe-Segment etwa doppelt so groß wie das der Aktien - dementsprechend wichtig ist es.

Zudem hat nach dem offenen Ausbruch der Finanzkrise ein Run auf Anleihen eingesetzt, der die 10-jährigen Renditen in den USA bis unter 2,4% im Oktober 2010, im Januar 2009 sogar bis auf 2,2% herunterzog. Finanziert wurde das durch Hilfsprogramme der Notenbanken, die Regierungen verschuldeten sich und legten keynsianische Stützungsprogramme auf.




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