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Marc Rich: Vom Flüchtlingsjungen zum Öltycoon

17.03.2011  |  Redaktion
Er entkam im letzten Moment den Nazis und stieg gegen den Widerstand der USA zum mächtigsten Rohstoffhändler der Welt auf: Marc Rich führte ein abenteuerliches Leben zwischen Macht, Moral und Weltpolitik. Buchautor Daniel Ammann über den Gründer des Rohstoffgiganten Glencore.

Der Anfang der Firma, die zur größten, zur erfolgreichsten und auch zur berüchtigtsten Rohstoffhändlerin der Gegenwart aufsteigen würde, hätte kaum bescheidener sein können: Fünf junge Händler, um die 40 Jahre alt, bezogen im Frühling 1974 eine kleine Wohnung im schweizerischen Städtchen Zug.

Die Einrichtung war spartanisch; das Geld fehlte an allen Ecken und Enden. Nicht einmal eines der damals wichtigsten Arbeitsinstrumente konnten sich die Händler leisten; einen Telex. Wollten sie ein Geschäft abschließen, mussten sie über die Straße zur lokalen Poststelle, um Offerten zu verschicken oder um Verträge zu empfangen.

Zehn Jahre später beherrschte die Marc Rich + Co die Branche. Die Firma handelte mit allen Metallen und Mineralien, die in der Erdkruste vorkommen; von Aluminium bis Zink. Bald gab es im Geschäft nur noch "Marc Rich und die 40 Zwerge", meinte ein Konkurrent in einer Mischung aus Respekt und Resignation. Marc Rich wurde zu einem der "reichsten und mächtigsten Rohstoffhändler aller Zeiten", wie die Financial Times einst fast ehrfürchtig schrieb, zum "King of Oil", wie mir einer seiner treusten Weggefährten sagte.

Diese erstaunliche Karriere machte Rich weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit. Er gilt als einer der diskretesten Händler überhaupt - und das in einer Branche, die für ihre Verschwiegenheit berüchtigt ist. Jahrelang sah man nicht mal eine Fotografie von ihm. Die Medien mussten sich mit Zeichnungen behelfen. Journalisten verweigerte er sich systematisch.

"Ehrgeiz", sagte mir Marc Rich, "mich treibt, wie die meisten anderen Menschen, Ehrgeiz an. Die Menschheit kam durch Ehrgeiz voran. Einige wollten höher klettern oder schneller rennen, andere wollten fliegen oder tauchen. Ich wollte Erfolg im Geschäft haben." Für mein Buch "King of Oil" sprach der geheimnisumwitterte Milliardär, der heute abgeschirmt in der Schweiz lebt, zum ersten Mal über seine Geschäfte und sein mitunter tragisches Leben: Über seine bittere Scheidung von Denise Rich Eisenberg etwa, die damals die teuerste der Welt war, oder über den frühen Tod seiner Tochter, von der er sich nicht mehr verabschieden durfte.

Um Erfolg zu haben, handelte Marc Rich, frei von moralischen Bedenken, mit fast allen, die mit ihm handelten: Mit Diktatoren und Demokraten, mit Kommunisten und Kapitalisten, mit Mullahs und Faschisten. Das machte ihn zum Milliardär - und zum Feindbild. Die Linke sieht ihn als Ausbeuter, an dessen Fingern "das Blut, der Schweiß und die Tränen der Dritten Welt" kleben, wie ein schweizerischer Parlamentarier einmal meinte. Für amerikanische Politiker ist er ein Landesverräter, "der mit so ziemlich jedem Feind der USA" Handel trieb, wie der einflussreiche Abgeordnete Dan Burton schimpfte.

Wer sich allerdings die Mühe macht, unvoreingenommen hinzuschauen, sieht eine der schillerndsten Karrieren des 20. Jahrhunderts, ein vielschichtiges, ambivalentes Leben voller scheinbarer Widersprüche, das sich Vereinfachungen entzieht.

Marc Rich machte Geschäfte mit den iranischen Islamisten, die Israel boykottierten. Ihr Öl aber verkaufte er dem jüdischen Staat und sicherte so dessen Überleben. Pikant: Offiziell sprach der Iran Israels Existenzrecht ab. Inoffiziell aber wussten die iranischen Funktionäre genau, dass Rich ihr Öl dem vermeintlichen Erzfeind lieferte. "Es war ihnen egal", sagte mir Rich, "die Iraner wollten einfach ihr Öl verkaufen." Marc Rich war zwanzig Jahre lang Israels wichtigster Öllieferant. Schon unter dem Schah hatte er Israel mit persischem Öl versorgt - über eine Pipeline von Eilat nach Ashkelon, die heimlich von Israel und Persien gemeinsam betrieben wurde.

Rich avancierte auch zum wichtigsten Lieferanten des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Das Erdöl aber, das er lieferte, stammte aus Ländern wie der Sowjetunion oder Saudi Arabien, die offiziell Südafrika boykottierten, im Geheimen aber via Rich überaus lukrative Geschäfte mit dem Apartheid-Regime machten.




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